NBA:Stiller Spitzbub

Steve Kerr

Auf gutem Wege, den Meisterschafts-Coup vom letzten Jahr mit seinen Golden State Warriors zu wiederholen: Basketball-Trainer Steve Kerr.

(Foto: Marcio Jose Sanchez/AP)

Meistertrainer Steve Kerr tut so, als hätte er mit dem Erfolg der Golden State Warriors wenig zu tun - das ist natürlich Unfug.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Manchmal wirkt Steve Kerr wie der Polizist bei einem Verkehrsunfall, der die Leute auffordert, sie mögen doch bitteschön weitergehen. Das passiert immer dann, wenn der Trainer der Golden State Warriors seinen Einfluss beschreiben soll auf diese Mannschaft, die gerade mit 73 Siegen in der regulären Saison den scheinbar ewigen Rekord der Chicago Bulls aus der Spielzeit 1995/96 gebrochen hat. Kerr reagiert auf solche Fragen mit einem Ach-komm-Abwinken. Er habe diesen wunderbaren Kader doch von seinem Vorgänger Mark Jackson geerbt, die Akteure hätten viele Partien alleine gewonnen, und sowieso würden die Assistenten all die Arbeit machen. Also: Gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen.

Natürlich gibt es da was zu sehen, die Warriors sind derzeit der aufregendste Sportverein der Welt - nicht nur wegen des Rekords, sondern auch deshalb, weil sie eine komplette Sportart grundlegend verändern: Es ist beim Basketball mathematisch sinnvoller, vermehrt auf Drei-Punkte-Würfe zu setzen, wenn man seine Akteure hinter der Linie effizient genug freispielt und diese dann auch oft genug treffen. Genau das tut Golden State auf noch nie gesehen Art. Sie haben dafür Stephen Curry, der zur Not auch aus elf Metern Entfernung trifft. Sie haben Klay Thompson, der nicht weniger präzise wirft. Dazu den furchtlosen Verteidiger Andre Iguodala und den mit einer grandiosen Spielintelligenz gesegneten Draymond Green.

Nur 30 Spiele in der Startformation, aber fünf Meistertitel als Spieler

Sie haben aber auch Kerr, 50. Der kommt mit seinen bescheidenen Antworten und dem Spitzbuben-Lächeln so rüber wie der Typ, der nicht fassen kann, was er da für ein Glück gehabt hat im Leben. Das war schon vor 20 Jahren so, Kerr war damals ein Mitglied der Rekord-Bulls. Die hatten Michael Jordan, den wohl besten Spieler der Geschichte. Den ähnlich begabten Scottie Pippen. Den verrückten Dennis Rodman. Hin und wieder kam ein schmächtiger Kerl mit blonden Haaren aufs Spielfeld und warf ein paar Dreier in den Korb. Gerne auch mal den entscheidenden Wurf wie im sechsten Spiel der Finalserie 1997.

Die Bulls fielen nach dem Titel 1998 auseinander, Kerr wechselte nach San Antonio. Dort gab es die so genannten "Twin Towers" David Robinson und Tim Duncan, den flinken und ballgewandten Avery Johnson und den treffsicheren Sean Elliott. Hin und wieder kam ein schmächtiger Kerl mit blonden Haaren aufs Spielfeld und warf ein paar Dreier in den Korb. Gerne auch mal bedeutende wie die im sechsten Spiel der Western Conference Finals 2003 gegen die Dallas Mavericks, auf dem Weg zur Meisterschaft.

Effizient, erfolgreich - aber stets zurückhaltend und bescheiden

Kerr absolvierte 910 Partien in seiner Karriere, bei nur 30 davon stand er von Beginn an auf dem Feld. Er beendete seine Karriere jedoch mit fünf Meisterschaftsringen und der besten Drei-Punkte-Quote (45,4 Prozent) in der Geschichte der Liga. Er war effizient, erfolgreich - und dennoch stets zurückhaltend und bescheiden.

Wenn Kerr doch einmal über sich spricht, dann vergleicht er sich lieber mit dem Polizisten bei einem Unfall, der die Beweise sichern muss. Sein Vorbild, der Trainer Jeff Van Gundy, habe ihm vor einigen Jahren - Kerr arbeitete damals als TV-Experte - geraten, sämtliche Erlebnisse zu notieren und später zu sortieren: "Ich habe ein Word-Dokument angelegt und losgeschrieben - manchmal nur ein paar Notizen am Tag, manchmal viele Seiten." Er schrieb über die Arbeitsweise seiner ehemaligen Trainer Phil Jackson (Chicago) und Gregg Popovich (San Antonio), über den Umgang mit Mitspielern wie Jordan, Duncan und Rodman. Über Spielzüge nach Auszeiten, die Sitzordnung in der Umkleidekabine oder darüber, ob Ersatzspieler nach Partien eine Trainingseinheit absolvieren sollten.

All die Notizen fasste er vor zwei Jahren zusammen zu einer Power-Point-Präsentation seiner Philosophie, mit der er sich als Trainer bewarb. Phil Jackson, Präsident der New York Knicks, wollte ihn unbedingt - die Golden State Warriors jedoch lockten ihn mit einem Kader, der eher seiner Philosophie entsprach, dass eine Mannschaft häufiger gewinnt, wenn die Mitglieder miteinander spielen. Natürlich ist das eine Binsenweisheit, die jedoch viele NBA-Vereine noch immer nicht kapiert haben und jeden Sommer Hunderte von Millionen Dollar auf diesen einen Wunschspieler regnen lassen, anstatt einen ausgewogenen Kader zu basteln.

Viele Philosophien vermischt

Kerr mischte die Philosophien seiner ehemaligen Mentoren, vor allem aber nahm er sich selbst nicht so verdammt ernst, wie es viele NBA-Spieler und -Trainer tun: Er verkohlt sich selbst ("Natürlich ist Iguodala böse, wenn ihn der blöde Trainer nicht von Beginn an auflaufen lässt"), er relativiert seine Leistung ("Ich habe Glück. Diese Mannschaft kann jeder trainieren") und die komplette NBA: "Wir verdienen unser Geld mit Basketball? Das ist doch ein Witz! Man darf bei allem Streben nach großartigen Leistungen niemals vergessen, wie absurd das alles ist."

Es funktioniert: Im vergangenen Jahr wurden die Warriors Meister, der sechste Ring für Kerr. In diesem Jahr brachen sie den Rekord der Bulls. Kerr verpasste wegen einer Rückenoperation die ersten 43 Saisonspiele und wurde von Assistent Luke Walton vertreten, dennoch dürfte er zum besten Trainer der Saison ausgezeichnet werden. Nun beginnen die Playoffs, für Golden State gegen die Houston Rockets. Niemand glaubt, die Warriors könnten in der Best of 7-Serie scheitern: Im ersten Spiel in der Nacht zum Sonntag schlugen sie die Rockets gleich mal eindrucksvoll mit 104:78. So gut wie jeder rechnet damit, dass es im Halbfinale zum Duell mit den Spurs kommt, die die reguläre Saison mit 66 Siegen (der fünftbesten Bilanz der NBA-Geschichte) abgeschlossen haben.

"In Chicago ist unter dem Meisterschaftsbanner von 1996 die Bilanz von 72:10 vermerkt", sagt Draymond Green: "Sollten wir in diesem Jahr nicht Meister werden, dann wird es keinen Banner mit 73:9 darauf geben. Ohne Titel ist der Rekord nicht viel wert." Was Steve Kerr darüber, musste er nicht sagen. Er musste noch nicht einmal lächelnd abwinken. Sein ehemaliger Kollege Scottie Pippen hatte gesagt, dass die Bulls von damals die Warriors von heute aus der Halle fegen würden. Also trug Kerr beim Rekordspiel: Scottie-Pippen-Socken.

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