NBA und Corona:Jeden Tag ein neuer Fall

Miami Heat v Portland Trail Blazers

Der Lette Davis Bertans (am Ball) war einer der ersten NBA-Profis, die ihren Verzicht auf die Saison-Fortsetzung in Florida verkündet haben

(Foto: ELSA/AFP)

Die NBA will bald wieder spielen - ausgerechnet in Florida, das sich in den USA zum neuen Corona-Hotspot entwickelt. Die ersten Spieler verzichten freiwillig.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Was soll schon passieren? Das dachten viele Trojaner, als ihnen die Griechen ein hölzernes Pferd vor die Stadtmauern gestellt hatten. Das Schlimmste war doch überstanden, die feindlichen Truppen waren verschwunden. Es gab Bedenkenträger, den Priester Laokoon etwa oder die Königstochter Kassandra, und eine gewissenhafte Abwägung zwischen bestmöglichem Szenario (eine Art Denkmal auf dem Stadtplatz) und größtmöglicher Katastrophe (Zerstörung der Stadt) hätte wohl dafür gesorgt, dieses Ding lieber mal draußen zu lassen. Es kam jedoch, wie es kam - und man sollte diese Geschichte kennen, will man verstehen, was im amerikanischen Sport gerade passiert.

Die Basketball-Profiliga NBA zum Beispiel möchte ihre Saison am 30. Juli im US-Bundesstaat Florida fortsetzen, sie hat dafür ein Konzept erarbeitet, das aufgrund der Liebe zum Detail als Blaupause für die Besiedlung eines fremden Planeten dienen könnte: Es ist sogar festgelegt, dass Akteure beim Freizeit-Tischtennis kein Doppel spielen sollen. Das klingt alles sinnvoll, und die Basketball-Bundesliga hat ja auch gerade gezeigt, wie eine Rest-Saison aussehen könnte an einem Ort, über den für die Sportler eine Glocke gestülpt wird. Was soll schon passieren?

Nun, es könnte eine ganze Menge passieren. Die NBA zeigt trotz des durchdachten Konzepts, wie schwer sich der amerikanische Sport tut, einen adäquaten Umgang mit der Corona-Pandemie zu finden. NBA-Geschäftsführer Adam Silver sagte in dieser Woche bei einem Telefonat mit Journalisten: "Wir haben nicht jedes Szenario durchgespielt - wir werden sehen müssen, wie es läuft und dann spontan Entscheidungen treffen." Wenn im wirklich sehr guten Konzept der NBA schon Fragen offen bleiben, wie soll dann die Baseballsaison mit Partien in 30 Stadien funktionieren? Die Turnierserie der Nomaden-Sportarten Golf und Tennis? American Football mit 32 Teams? Sind das nicht Trojanische Pferde, die der US-Sport da bewusst hereinzieht?

Etliche NBA-Profis verkünden, den Rest der Saison aussitzen zu wollen

"Wir alle wissen, dass es richtig wäre, nicht zu spielen", sagt zum Beispiel Aufbauspieler Fred Van Vleet vom NBA-Titelverteidiger Toronto Raptors, und er meint damit nicht nur die Gefahren der Pandemie. Es geht nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd durch einen hellhäutigen Polizisten auch um Rassismus und Polizeigewalt: "Schreckliches Timing - hätten sich mehr meiner Kollegen gegen den Start ausgesprochen, hätte ich auch nicht gespielt. Aber so ist 2020 nun mal für uns alle." Das klingt nicht hoffnungsfroh, sondern eher resigniert. Davor wurden schon die Bedenken von Kyrie Irving beiseite geschoben, so wie einst die Einwände von Laokoon und Kassandra ignoriert worden waren.

Die NBA will den Akteuren der 22 teilnehmenden Klubs (die restlichen acht haben keine Chance mehr auf eine Playoff-Teilnahme) erlauben, bei den acht Partien der restlichen Hauptrunde und auch danach statt ihres Namens eine Botschaft auf die Trikots drucken zu lassen. Was soll schon passieren? Im besten Fall dürften es positive Forderungen sein nach Chancengleichheit für alle Menschen, unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht oder sexueller Orientierung. Im schlimmsten Fall könnte es zu gesellschaftlichen oder gar politischen Verwerfungen kommen: Der türkische Center Enes Kanter von den Boston Celtics findet, dass sich "Erdogan Sucks" als Botschaft an den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gut machen würde. Jo Morant von den Memphis Grizzlies schlug wegen seiner Rückennummer die Botschaft "F..k 12" vor - die Zahl steht für die Rauschgiftabteilungen der Polizei.

Genau da zeigt sich, warum die Wiederaufnahme des Spielbetriebs ein Trojanisches Pferd sein könnte: Man kann es so gut meinen, wie man möchte, und man kann für scheinbar jede Eventualität planen - es kann dennoch etwas Unvorhergesehenes passieren, nicht nur bei der Wahl der Botschaften, sondern auch bei der Corona-Pandemie. Gerade beginnt in den USA die zweite Welle der Infektionen, vor der viele gewarnt haben, besonders hart trifft es die Bundesstaaten Florida (wo die NBA spielen wird), New York (wo zwei Tennisturniere stattfinden sollen, unter anderem die US Open) und Kalifornien (mit vier NFL- und fünf MLB-Teams, dazu zwei Golfturnieren im August).

16 positive Ergebnisse in der ersten Testrunde

Bei den ersten Corona-Tests von 302 NBA-Akteuren in der vorigen Woche gab es 16 positive Resultate, seitdem kommt fast täglich ein neuer dazu: Bei den Brooklyn Nets verkündeten DeAndre Jordan und Spencer Dinwiddie, sich infiziert zu haben. Am Dienstag sagte David Griffin, Präsident der New Orleans Pelicans, dass sich drei Spieler angesteckt hätten und nicht sicher sei, ob der 65 Jahre alte Trainer Alvin Gentry nach Florida reisen werde.

Willie Cauley-Stein (Dallas), Avery Bradley (Los Angeles Lakers) und Trevor Ariza (Portland) haben aus diversen familiären Gründen verkündet, den Rest der Saison auszusitzen; wie auch Davis Bertans, John Wall (beide Washington), Kyrie Irving (Brooklyn) und DeMarcus Cousins (derzeit ohne Team), die nach Verletzungen antreten könnten, aber lieber verzichten.

Die Klubs mussten ihre jeweiligen Kader bis zum 1. Juli melden, von nun an wird jeder Spieler, der positiv auf das Coronavirus getestet wird, wie ein verletzter Akteur behandelt, der erst nach Quarantäne und einem negativen Test zum Team zurückkehren darf. Vom 7. Juli an werden die Mannschaften nach Orlando reisen und dort in drei Hotels untergebracht; die Finalserie wird Mitte Oktober ausgetragen. "Die größere Frage ist natürlich, was wir tun, sollte es eine signifikante Ausweitung innerhalb unserer Blase geben", sagt Silver: "Wir haben noch nicht entschieden, wo wir die Grenze ziehen. Wir wollen erst einmal vor Ort sein und sehen, wie Tests und Vorschriften funktionieren."

Das klingt vernünftig, offenbart jedoch die massiven Probleme im US-Sport: Alle - ob nun beim Basketball, Baseball, Football, Tennis oder Golf - wollen, dass es endlich weitergeht. Alle haben Konzepte erarbeitet, die - Stand jetzt - vernünftig klingen; alle hoffen, dass es klappen wird. Die bittere Wahrheit ist jedoch, dass derzeit niemand weiß, was sich beim Start am 23. Juli (MLB), 30. Juli (NBA), 6. August (PGA Championships im Golf), 24. August (US Open im Tennis) oder 10. September (NFL) in diesem Trojanischen Pferd befinden wird, das alle gerade so eifrig ins innere ihrer jeweiligen Sport-Mauern ziehen.

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