Süddeutsche Zeitung

Kampf um Playoff-Plätze:In der NBA hat der Überlebenskampf begonnen

Die Playoffs in der US-Basketballliga stehen erst noch an, trotzdem tun sich schon jetzt erstaunliche Duelle auf. Das bringt Einschaltquoten - aber auch die Gefahr, dass Topspieler wie James, Doncic und Curry die wichtigste Saisonphase verpassen.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Hitzig war die Partie zwischen den Golden State Warriors und den New Orleans Pelicans. 48 Minuten lang gab es immer wieder Gerangel und Rudelbildungen, unsportliche und technische Fouls, allerhand Trash-Talk - und ein unglaubliches Comeback der Warriors, die zur Halbzeit mit 17 Punkten zurückgelegen hatten. Dann zeigten sie, was sie so einzigartig macht: Draymond Green polterte und pöbelte, die Rollenspieler Jordan Poole (21 Punkte), Donte DiVincenzo (13) und Jonathan Kuminga (13) verkörperten das Jeder-im-Kader-ist-wichtig-Mantra dieser Franchise, die mit vier Meisterschaften und sechs Finalteilnahmen das vergangene Basketball-Jahrzehnt geprägt hatte.

Und, natürlich: Stephen Curry, der auch mit 35 in seiner Heimhalle in San Francisco Erdbeben auslösen kann: 39 Punkte legte er auf, die Warriors gewannen noch 120:109.

Die Partie hatte alles, was diese Sportart so faszinierend macht, wie sich das nun mal für ein ordentliches Playoff-Duell gehört. Aber, Moment: Es ist Ende März, die Ausscheidungsrunde der nordamerikanischen Profiliga NBA beginnt ja erst am 15. April. Warum in aller Welt also bearbeiteten sich diese beiden Teams am Dienstagabend derart intensiv, als wäre es die entscheidende siebte Partie der Finalserie? Nun, sowohl Titelverteidiger Golden State als auch die Pelicans gehören zu jenen neun Teams der Westen Conference, die sich derzeit im Schwebezustand zwischen Titelchance und Verpassen der Playoffs befinden. "Beide Teams kämpfen um nicht weniger als ums Überleben. Sie sind angespannt, fast verzweifelt", sagte New-Orleans-Trainer Willie Green: "Die Playoffs haben für diese Teams längst begonnen, und diese Niederlage tut weh."

Im Westen sieht es so aus: Die Denver Nuggets dürften Platz eins und Heimrecht bis einschließlich Halbfinalserie sicher haben; die Memphis Grizzlies und Sacramento Kings duellieren sich um Platz zwei. Danach heißt es "Drei, Vier, Zwei", und das bedeutet: drei Plätze, die zur direkten Playoff-Qualifikation berechtigen. Vier Teams werden in einem Play-in-Turnier die restlichen beiden der acht Teilnehmer erspielen. Zwei werden die Playoffs am Ende der regulären Saison verpasst haben.

Die Setzliste für dieses Play-in-Turnier ist ebenfalls wichtig, die Struktur sieht vor: Platz sieben spielt daheim gegen Platz acht, der Sieger wird in den Playoffs an Platz sieben gesetzt sein und gegen die Nummer zwei spielen. Der Verlierer dieser Partie spielt gegen den Sieger des Duells "Neun gegen zehn" (der Verlierer dieser Partie ist raus) um den letzten verblieben Playoff-Platz. Das ist ziemlich kompliziert - aber es garantiert in jeder der beiden Conferences, aus denen sich die NBA zusammensetzt, jeweils drei Partien schon vor Playoff-Beginn, in denen es um alles geht. Und das sorgt für Einschaltquoten. Wie prima für die NBA, dass es zwei Wochen vor diesen Play-in-Partien in fast jeder Partie um diese Setzliste geht - und damit: um alles.

Wie eine Fußball-WM ohne Neymar, Lionel Messi und Karim Benzema

Aus Vermarktungsgründen ist diese Konstellation die bestmögliche. Die Zeit der sportlich irrelevanten Spiele ist nun vorbei. Nach den Turbulenzen zum Ende der Transferperiode sind die Kader fix, und es gibt auch keine schöpferischen Pausen für die besten Spieler. Das hatte zuvor derart groteske Auswüchse angenommen, dass die Los Angeles Times den Umgang der NBA-Teams mit ihren Stars in einem Comic persiflierte: Was, wenn Eltern ihre Kinder so schonen würden? Zu sehen ist ein Vater, der in der Schule anruft: "Also, meine Tochter ist gestern komplett in der Schule gewesen, deshalb braucht sie heute frei, schafft morgen nur die Unterrichtsstunden drei und vier - und dann gucken wir von Tag zu Tag. Wir müssen sie behutsam an ihr volles Unterrichtspensum ranführen."

Auf der anderen Seite ist die Konstellation aus Marketing-Sicht gefährlich, denn von neun Kandidaten im Westen werden sich vier nicht für die Playoffs qualifizieren. Stand jetzt wären die Dallas Mavericks und damit die Stars Luka Doncic und Kyrie Irving ausgeschieden. Die Lakers mit LeBron James und Anthony Davis müssten beide Play-in-Spiele gewinnen, um drin zu sein, die Warriors könnten auf die Pelicans treffen. Auch deshalb war die Partie am Dienstag so hitzig. Möglich sind also Playoffs ohne James, Doncic und Curry, was einer Fußball-WM ohne Neymar, Lionel Messi und Karim Benzema gleichkäme.

Sportlich bedeutet das alles auch: Eine Partie wie zuletzt jene zwischen Minnesota und Lakers, die zum Muss-man-sehen-Leckerbissen ausgerufen wird, ist das Duell zweier Vereine mit nahezu ausgeglichenen Bilanzen. Ist das wirklich ein Leckerbissen - oder wird da künstlich Spannung erzeugt? Das Play-in-Turnier wurde erst 2020 wegen der Corona-Bubble eingeführt und nur wegen der tollen Einschaltquoten beibehalten.

Wie gut, dass Warriors-Wühlbüffel Draymond Green nicht nur auf dem Spielfeld gerne redet. ("Das ist mein Ding. Die haben mit dem Trash-Talk angefangen und nicht kapiert, dass uns das stärker macht.") Er sagt auch abseits davon seine Meinung: "Natürlich mag ich Spiele, in denen es um was geht. Das Play-in-Ding würde ich mir aber lieber schenken", findet Green, "direkt in die Playoffs, und dann geht die Saison so richtig los."

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