Orlando Magic hat eine gute Chance, im Frühjahr 2026 den NBA-Titel zu gewinnen. Das klingt im Frühjahr 2025 natürlich gewagt; jetzt, wo die Franchise der deutschen Basketball-Brüder Moritz und Franz Wagner in der „Best-of-seven“-Serie 1:3 zurückliegt und vor dem Auswärtsspiel in Boston am Dienstag vor dem Aus in der ersten Playoff-Runde der Profiliga NBA steht. Normalerweise ist das die große Zeit für Woran-hat’s-gelegen-Fragen, Kritik an den Verantwortlichen und Rufe nach (personellen) Veränderungen.
Wer sich allerdings genauer ansieht, wie die Saison verlief und die Partien gegen Boston, immerhin Titelverteidiger und Titelfavorit, und wer darüber hinaus betrachtet, was im Sommer passieren könnte, der kann zum Urteil kommen, dass Orlando so ziemlich alles haben wird, was ein Titel-Team benötigt.

Isaiah Hartenstein in der NBA:Perfekte Zeit, perfekter Ort?
Der deutsche Basketballer Isaiah Hartenstein erlebt die beste Saison seiner NBA-Karriere – beim derzeit erfolgreichsten Team der Liga. Oklahoma City Thunder hat einen Spieler wie ihn gesucht.
Was es braucht? Zunächst einmal: mindestens zwei herausragende Spieler. Dass die vorhanden sind, haben der 95:93-Sieg am Freitag und die 98:107-Niederlage am Sonntag (in der es weniger als vier Minuten vor dem Ende 91:91 hieß) gezeigt. In Franz Wagner, der erst 32 Punkte, sieben Rebounds sowie acht Vorlagen schaffte und zwei Tage später 24-6-7 in diesen Kategorien. Und in Paolo Banchero, dem 29 und 31 Punkte gelangen. 58 Punkte pro Playoff-Partie haben die beiden bislang erreicht, das ist die beste Ausbeute aller NBA-Star-Duos; besser zum Beispiel als die von LeBron James und Luka Dončić von den Los Angeles Lakers (57,1).
Wagner ist 23, Banchero sogar erst 22, die beiden sind erst auf dem Weg zur jeweiligen Karriere-Bestform. Genau das versuchte Trainer Jamahl Mosley kürzlich zu vermitteln, als er den genervten Banchero während einer Partie zur Seite nahm und ihm erklärte, dass er all den Frust der aktuellen Erfahrungen im Gedächtnis speichern und als Motivation sehen solle. Denn es stimmt schon: Viel frustrierender hätte diese Spielzeit kaum laufen können. „Wir haben uns als Team so viel vorgenommen, und natürlich habe ich über meinen persönlichen Beitrag nachgedacht“, hatte Banchero kürzlich gesagt: „Kam aber alles ganz anders.“
Wie es kam: Banchero fehlte nach einem Bauchmuskel-Riss 36 Partien, Wagner mit der gleichen Verletzung 22 Spiele. Und es kam noch schlimmer: Ein Meisterkandidat braucht eine dritte Säule und einen Typen, den man „Emotional Leader“ nennt; einen Dennis-Rodman-artigen Haudegen. Hat Orlando, doch Jalen Suggs, 23, und Moritz Wagner fallen nach schweren Verletzungen aus. Was das gegen Boston bedeutet, ist nicht zu übersehen.
Sie wollen die gefährlichen Dreierschützen der Celtics bewachen, haben dann aber keinen Turm unter dem Korb – und Boston nutzt das routiniert aus: Die großen Leute Jayson Tatum, Al Horford und Kristaps Porzingis blocken auf Höhe der Dreierlinie die Laufwege für Mitspieler frei und rücken danach sofort zum Korb. Dieses „Roll“ bei einem der Grund-Spielzüge im Basketball (Pick and Roll) führt beim dezimierten Orlando dazu, dass Banchero gegen den elf Zentimeter größeren Porzingis unter dem Korb verteidigt, foulen muss und dem Gegner einen Korb mit Zusatz-Freiwurf beschert. Wenn so was immer wieder passiert, kann man eine „Best-of-seven“-Serie nicht gewinnen.
Moritz Wagner war auf dem besten Weg, als bester Einwechselspieler ausgezeichnet zu werden
„Ist das nicht toll für Boston, dass sie aufgrund der Tiefe in der Lage sind, dem Einwechselspieler Porzingis in wichtigen Momenten zu vertrauen?“, sagte NBA-Legende Kenny Smith in der Halbzeit. Man konnte sich nur vorstellen, mit welcher Wut solch eine Aussage in der Magic-Kabine aufgefasst würde. Moritz Wagner war vor dem Kreuzbandriss mit fast 13 Punkten und fünf Rebounds pro Partie schließlich auf dem besten Weg gewesen, am Ende der Saison als „Best Sixth Man“, also als bester Einwechselspieler ausgezeichnet zu werden.
Die Seuchen-Saison in Zahlen: Insgesamt 174 Partien fielen die fünf Stammspieler plus Moritz Wagner aus. Pro Spiel der 82-Partien-Saison fehlten also im Schnitt zwei Säulen. Doch so bitter das gerade ist, umso besser sind die Aussichten, wenn in der nächsten Saison alle wieder gesund sind.
Das Team bleibt zusammen, sämtliche Verträge gelten über den Sommer hinaus. Der von Franz Wagner (227 Millionen Dollar für fünf Spielzeiten) tritt überhaupt erst dann in Kraft. Am Wochenende zeigte er, dass er der vielleicht vielseitigste NBA-Spieler derzeit ist. Er kann alles – außer Dreier, da steht in diesen Playoffs mit 21,8 Prozent eine schlechtere Quote als vergangene Saison. Obwohl er gerade an diesem Wurf gefeilt hat, fehlt der Rhythmus, an dem er wegen der Bauchmuskel-Verletzung auch nicht arbeiten konnte.
Was ebenfalls für Orlando spricht, ist die zweitbeste Defensive der NBA. Und die Verteidigung gewinnt bekanntlich Meisterschaften. Was Orlando braucht, ist Entlastung von der Dreierlinie und mehr Tiefe unter dem Korb. Wie passend, dass sie im Sommer bei der Talentbörse in den ersten beiden Runden jeweils zweimal Wahlrecht haben werden – ein Bonus aus Tauschgeschäften der Vergangenheit.
Sie haben wirklich alles auf Erfolg in der Zukunft ausgelegt in Orlando. Diese Zukunft könnte nun aber mit einem Jahr Verspätung beginnen. Sie können beim Draft am 25. Juni also entweder Talente holen – oder das Wahlrecht als Gegenwert beim Versuch, die Puzzleteile für die kommende Saison zusammenzustellen.
Erst mal hat die talentierte Mannschaft allerdings noch die Chance, die Serie gegen Boston zu verlängern. In der Nacht zum Mittwoch (2.30 Uhr deutscher Zeit) findet Spiel fünf statt.