Süddeutsche Zeitung

NBA:Paul Zipser: Plötzlich im Gewand von Michael Jordan

Bayern-Basketballer Paul Zipser ist ein Phänomen. Obwohl der 22-Jährige erst seit zwei Jahren regelmäßig in der Bundesliga spielt, wechselt er nun zum NBA-Klub Chicago Bulls. Ist er gut genug?

Von Matthias Schmid

Natürlich war Paul Zipser in dieser Woche ein Thema in den amerikanischen Basketballforen. Doch richtig einig waren sich die Freunde der Chicago Bulls nicht, bei diesem legendären Klub, dem in den Neunzigerjahren Michael Jordan mit sechs Meistertiteln zu Weltruhm verhalf. Sie waren unsicher, ob dieser Paul Zisper oder Zipster, wie sie ihn despektierlich nannten, ob dieser Nationalspieler aus Germany ihrem Klub wirklich weiterhelfen könne. Schließlich hatten die Bulls in der vergangenen Saison zum ersten Mal seit langer Zeit wieder die Meisterrunde der nordamerikanischen Basketball-Profiliga NBA verpasst. Man sollte ihm nicht gleich einen garantierten Zweijahresvertrag aushändigen, spotteten einige.

Seit Freitag müssen sich die Bulls-Fans allerdings damit arrangieren, dass Paul Viktor Louis Zipser in den nächsten zwei Jahren im Kader des traditionsreichen Klubs stehen wird. Zipser unterschrieb nach dem obligatorischen Medizincheck einen Kontrakt bis 2018. "Ich bin natürlich unglaublich glücklich und aufgeregt, dass es jetzt wirklich geklappt hat", sagte Zipser hinterher: "Ich werde alles versuchen, meine Chance auch zu nutzen."

Schon ein paar Tage vor der Vertragsunterzeichnung war bekannt geworden, dass die Bulls Paul Zipser - sie schrieben den Namen in ihrer Pressemitteilung übrigens korrekt - an sich binden wollen, nachdem sie ihn ein paar Wochen davor beim Draft, der Talentbörse der NBA, an 48. Stelle ausgewählt hatten. Doch trotz aller positiven Anzeichen war Zipser vor seinem Abflug in den US-Bundesstaat Illinois vorsichtig geblieben. Er traute der ganzen Sache noch nicht so recht. "Für mich ist es wichtig, einen garantierten Vertrag zu bekommen", hatte der 22-Jährige im Interview mit spox.de erklärt. Er ist keiner dieser Gambler, dieser Zocker, die ihr ganzes Leben auf den Kopf stellen, um den Traum von der NBA Wirklichkeit werden zu lassen.

Die Bulls-Macher sind von seinen Fähigkeiten begeistert

Zipser, geboren und aufgewachsen in Heidelberg, ist ein ruhiger und besonnener Mensch, der erst nachdenkt, bevor er spricht. Er neigt nicht zur Hybris, großspurige Parolen kommen ihm schon gar nicht über die Lippen. Er hätte sich gut vorstellen können, ein viertes Jahr in München zu verbringen und auf seine nächste NBA-Gelegenheit zu warten. Beim FC Bayern besaß er ja noch gültige Arbeitspapiere bis 2017.

Die Bulls-Verantwortlichen um Manager Gar Forman und Trainer Fred Hoiberg hatten Zipser allerdings schon länger beobachtet und wussten, dass er ein athletischer Flügelspieler ist, mit schnellen Beinen und einem feinen Händchen für den Distanzwurf, er kann ebenso furchtlos und in Höchstgeschwindigkeit zum Korb ziehen und in der Verteidigung mehrere Postionen verteidigen. Doch allein auf die hübschen Videos mit den Best-of-Szenen wollten sie sich nicht verlassen. Sie luden ihn deshalb im Frühsommer nach Italien ein, ins sogenannte Eurocamp. Bei der Schau der besten europäischen Basketballer wurde ihre gute Meinung bestätigt. Zipser war dort einer der auffälligsten Profis und wurde zum wertvollsten Spieler ausgezeichnet. "Wir hatten die Chance, ihn anzuschauen. Ivica Dukan, der für unser internationales Scouting verantwortlich ist, war extrem von ihm überzeugt", erzählt Forman.

Der Zeitpunkt für einen Umzug von München an den Michigan-See könnte sich nicht nur wegen der Lobeshymnen für Zipser als günstig erweisen, sondern auch weil die Bulls gerade nach der missratenen Saison mit einer Generalüberholung ihres Kaders beschäftigt sind. Viele Spieler kommen und gehen. Auch Basketballprominenz. Kurz vor dem Draft schloss sich Spielmacher Derrick Rose, ein früherer MVP der Liga, den New York Knicks an; auch der französische Center Joakim Noah musste gehen. Dafür kamen die ehemaligen Champions Dwyane Wade und Rajon Rondo. Für junge Talente, zumal einen so vielseitig einsetzbaren 2,03 Meter großen Spieler wie Zipser, ist das eine spannende Zeit, weil sich in diesem Umbruch möglicherweise ungeahnte Möglichkeiten auftun, möglicherweise sogar ein fester Platz in der Rotation.

"Ich denke, dass es schon etwas einfacher ist, bei einem Team in solch einer Situation Fuß zu fassen als bei einem Team, das erfolgreich und komplett eingespielt ist", sagte Zipser gegenüber spox.de. Vor allem die Aussicht mit dem zwölfmaligen Allstar Wade gemeinsam auf dem Parkett spielen zu dürfen, verwandelt Zipser für einen kurzen Moment wieder in ein Kind, das an Weihnachten staunend vor dem Gabentisch steht. "Als ich von seiner Verpflichtung erfahren habe, war mein einziger Gedanke nur: Wow! Das ist eine Riesen-Sache."

Eingeschüchtert von der schönen neuen Welt, die er kennen lernen wird, ist er trotzdem nicht. "Wade soll ein Super-Typ sein, der auch junge Spieler ranführt. Das wäre eine perfekte Situation für mich", sagt Zipser. Beim FC Bayern sind sie natürlich traurig, dass ihr Hochbegabter den Klub verlässt. Aber auch sein bisheriger Trainer beim FC Bayern, Svetislav Pesic, traut ihm eine tragende Rolle in der besten Basketballliga des Planeten zu. "Ich bin 100 Prozent sicher, dass er ein richtiger NBA-Spieler wird", sagt der Serbe.

Zunächst spielt Zipser in der Nationalmannschaft

Dass Pesic ihm noch persönlich zum Jobwechsel gratulieren kann, ist sehr wahrscheinlich. Zipser kehrt an diesem Wochenende wieder nach München zurück. Wann er ganz nach Chicago übersiedeln wird, weiß er selbst noch nicht. Zipser wird zunächst einmal mit der Nationalmannschaft die EM-Qualifikation (31. August bis 17. September) spielen, so ist es "mit den Bulls besprochen", sagt er. Dort wird er auch auf Dennis Schröder treffen, der es bei den Atlanta Hawks schon in die Startformation geschafft hat. Wie er das angestellt hat, dürfte eine von vielen Fragen sein, die Zipser derzeit umtreibt. Und dennoch wird Schröder davon absehen, ihm auf jede seiner Fragen eine verbindliche Antwort zu geben, schon aus Selbstschutz. Schließlich begegnen sich die beiden schon bald als Kontrahenten in der NBA.

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