Es war ein wunderbarer Pass, den Seth Curry um exakt 20.20 Uhr auf seinen Teamkollegen Enes Kanter spielte. Völlig frei war der, und er nahm dieses schöne Zuspiel auch gekonnt auf. Nur: Kanter war gerade gar nicht im Spiel. Er wartete an der Seitenlinie auf Essen, Wasser und Medikamente - Dinge, die er als Muslim während des Fastenmonats Ramadan erst nach Sonnenuntergang zu sich nehmen darf (an diesem Abend in Oakland/Kalifornien um 20.21 Uhr). 105:98 führten seine Portland Trail Blazers zum Zeitpunkt dieses grotesken Fehlpasses, am Ende verloren sie diese zweite Partie der Halbfinalserie gegen die Golden State Warriors noch mit 111:114.
Kanter ist einer dieser Akteure, die nicht auf der Verpackung von Videospielen zu sehen sind oder in den Anderthalb-Minuten-Zusammenfassungen mit den spektakulärsten Dunkings und wildesten Würfen einer Partie. Sie sind dennoch sehr wichtig im Basketball, weil sie unter den Körben wühlen, Rebounds pflücken und beim Dribbling der Kollegen im Laufweg der Gegner stehen. Bei den Warriors ist Andre Iguodala der Mann für die unliebsamen Aufgaben, im anderen Halbfinale Marc Gasol (Toronto) und Eric Bledsoe (Milwaukee). Doch haben diese drei Akteure in den NBA-Playoffs gemeinsam nicht so viel erlebt wie Kanter allein.
Es begann vor drei Wochen, als sich der Center während der Erstrunden-Partie gegen Oklahoma die linke Schulter auskugelte und trotz lädierter Bänder bis zum Ende durchhielt. Er spielt seither mit starken Schmerzen. Eine Runde später gegen die Denver Nuggets kam es noch schlimmer: Während der spektakulären dritten Partie (Portland gewann nach vier Verlängerungen) dehnte er die Bänder noch stärker, am Ende trug er den linken Arm im Trikot, weil er ihn nicht mehr heben konnte, hatte aber 18 Punkte und 15 Rebounds geschafft und sagte: "Manchmal muss man eben Opfer bringen."
Zwei Tage später begann der Fastenmonat, Kanter darf tagsüber keine Schmerzmittel zu sich nehmen. Er steht deshalb jeden Tag um halb vier Uhr morgens auf, stärkt sich und wartet bis zum Abend, dass ihm jemand eine Flasche Wasser, Medikamente und sechs Sandwiches mit Erdnussbutter und Marmelade reicht. "Ich fühle mich großartig, weil ich verstehe, wie innere Stärke zum Erfolg führen kann", schrieb Kanter kürzlich in einem Essay für die Zeitung Washington Post. Er schrieb darin aber auch: "Ich verarbeite die beunruhigenden Nachrichten meiner Familie und Freunde aus der Türkei, wo eine Nation unter dem autoritären Regime leidet."