Süddeutsche Zeitung

NBA-Finals:Wie Steve Kerr die Warriors starkredet

Golden State gewinnt gegen die Celtics 104:94 und braucht nur noch einen Sieg zum Titel. Trainer Steve Kerr beweist erneut, dass es niemanden gibt, der die NBA und die Psyche von Basketballern besser versteht.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Aus aktuellem Anlass folgen hier die Sätze, die Steve Kerr seinen Spielern in der Halbzeitpause der fünften Partie der NBA-Finalserie gegen die Boston Celtics gesagt hat: "Seht ihr, wie dieses Spiel funktioniert?", fragte der Trainer der Golden State Warriors und beantwortete die rhetorische Frage selbst: "Wenn ihr euch bewegt, wenn ihr einander vertraut - plötzlich rollt die Lawine, und genauso werden wir gegen dieses Team gewinnen: In der Defensive, da habt ihr sie schon, und da dürft ihr nicht nachlassen. Bewegt ihr euch, vertraut ihr einander, schafft ihr diesen Schritt von gut zu großartig? Das wird darüber entscheiden, ob wir das hier hinkriegen."

Damit ist diese Partie erzählt, die Warriors schafften diesen Schritt von gut zu großartig, nach einer Schwächephase zu Beginn des dritten Viertels; sie gewannen 104:94. In der Best of 7-Serie führen sie 3:2 und brauchen noch einen Sieg zum Titel. Die sechste Partie findet in der Nacht zum Freitag (3 Uhr dt. Zeit) in Boston statt.

Die Warriors gewannen, obwohl Steph Curry, der in der vierten Partie noch eine der grandiosesten Leistung der Finals-Geschichte (43 Punkte) hingelegt hatte, nicht einen seiner neun Versuche von der Dreierlinie traf.

Es waren andere, die glänzten; Andrew Wiggins zum Beispiel (26 Punkte, 13 Rebounds), Gary Payton junior (15 Punkte mit nur acht Würfen) oder Jordan Poole (14 Zähler mit acht Versuchen). Sie hielten Boston mal wieder unter 100 Punkten, mit laufintensiver Defensive, bei der die Spieler sich gegenseitig vertrauen müssen - weil sie sich beim Übergeben oder Doppeln darauf verlassen müssen, dass wirklich alle aufmerksam mitmachen und jederzeit helfen können. All das ist ein Beispiel dafür, wie Kerr diese Mannschaft eingestellt hat für diese Finalserie.

Kerr spielte in den 90ern mit Jordan, Pippen und Rodman bei den Chicago Bulls - und er gewann reihenweise Titel

Die herausragendste Eigenschaft von Kerr ist nicht, dass er wahrscheinlich mehr über diesen Sport und diese Liga weiß als jeder andere Mensch auf der Welt. Wer im Ende-90er-Team der Chicago Bulls mit Michael Jordan, Scottie Pippen und Dennis Rodman gespielt hat und dann eine völlig andere Definition von Basketball bei den San Antonio Spurs mit David Robinson und Tim Duncan erlebt hat, der kann von sich behaupten, sämtliche Extreme des NBA-Spektrums zu kennen. Kerr ist dabei auch der einzige Spieler der vergangenen 50 Jahre, der vier Titel nacheinander gewonnen hat.

Seine herausragendste Eigenschaft ist nicht einmal, dass er deshalb ein einzigartiger Spielerversteher ist - weil er weiß, was diese Liga einem abverlangen kann und wie Akteure ticken. Die Gespräche mit seinen Spielern sind deshalb legendär, weil er scheinbar die Persönlichkeit wechselt. Bei Steph Curry benimmt er sich wie der stolze große Bruder, Klay Thompson gibt er den väterlichen Freund. Draymond Green darf ihn als Taktik- und Psychologie-Kumpel betrachten - der ihn am Ende von Spiel vier auf die Bank setzt und es ihm danach so erklärt, dass Green es akzeptiert. Gewöhnlich akzeptiert Green nur die Analyse von Green.

Der Coach findet: Die Profis sollen das Spiel ernst nehmen - sich selbst aber bitteschön nicht

Kerr vermittelt den Spielern über Botschaften an die Öffentlichkeit, dass es nur Basketball ist, worum es in der NBA geht - nach dem Amoklauf kürzlich in Uvalde war er es, der den meisten Amerikanern aus der Seele sprach. Er zeigt seinen Spielern, und er lebt ihnen auch vor, dass sie das, was sie da tun, ernst nehmen sollen - sich selbst aber bitteschön nicht. Ein Satz, den man häufig hört von ihm: "Es ist nur ein Spiel."

Das führt zur herausragenden Eigenschaft des 56-Jährigen: Er hinterfragt sich, und er erzählt den Leuten bereitwillig, wenn er einen Fehler bei sich gefunden hat. Welcher Trainer ist heutzutage so kritikfähig? Es ist beeindruckend, wie er zum Beispiel nach der dritten Partie der Finalserie sagte, dass er Kevon Looney zu lange auf der Bank gelassen habe: "Absolut mein Fehler." Wie reagiert so ein Spieler, der vielleicht ein klein wenig sauer war über die Einsatzzeit, wenn der Chef sagt: Stimmt, mein Fehler - korrigiere ich? Wie Looney am Montagabend reagierte: vier Rebounds, drei Zuspiele, und mit ihm auf dem Parkett schafften die Warriors zwölf Punkte mehr als Boston.

Nach dem Spiel wechselte Kerr dann wieder munter die Persönlichkeit. Über Wiggins sagte er: "Er hat so eine wichtige Rolle in unserem System gefunden - er weiß, wie sehr wir ihn brauchen." Über Curry: "Ach, wir wussten, dass so ein Spiel kommen würde. Er war richtig sauer, als ich ihm gesagt habe, dass er dennoch weiter Dreier werfen soll." Und über Green, der nicht so richtig in Schwung kommt in dieser Serie: "Ich würde das, was er uns gibt, für nichts tauschen." Wie immer also: Für die Warriors-Spieler ist es nicht das, was sie hören wollen - aber das, was sie hören müssen.

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