NBA-Finale:Messias auf Mission

Lebron James,  Paul Millsap, Kent Bazemore

Wenn Clevelands Anführer LeBron James (M.) zum Korb zieht, können seine Gegenspieler wie Atlantas Millsap (l.) und Bazemore oft nur Spalier stehen.

(Foto: Tony Dejak/AP)

LeBron James war zwar schon oft im NBA-Finale - aber in Cleveland ist sein Antrieb so groß wie noch nie.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

LeBron James humpelte durch die Umkleidekabine der Cleveland Cavaliers, in der rechten Hand hielt er eine Flasche Champagner. Die hatte er sich verdient, hatte er mit seinem Klub doch die Halbfinalserie gegen die Atlanta Hawks gewonnen und damit die NBA-Finals gegen die Golden State Warriors erreicht. James war nicht aufzuhalten auf seinem Weg, er marschierte an allen vorbei, legte seine Arme um zwei Mitspieler und flüsterte: "Die großen Drei." Die Menschen sahen sich verwundert an, hatte James doch nicht die Kollegen Kyrie Irving und Kevin Love in die muskulösen Arme geschlossen, sondern Mike Miller und James Jones.

Es soll Sportler geben, die ihre Klubs so wählen, dass sie in ihrer Karriere möglichst viele Pokale gewinnen. Im Fußball bietet sich da der FC Bayern an, im Handball der THW Kiel, beim Wasserball ist ein Wechsel zu den Wasserfreunden Spandau 04 Berlin anzuraten. In der NBA sollte sich ein Akteur derzeit nicht unbedingt auf einen Klub festlegen - er sollte vielmehr prüfen, wo LeBron James gerade spielt. Jones geht nun mit James in die fünfte Finalserie in Serie, Miller ist nach einem Sabbatical bei den Memphis Grizzlies immerhin zum vierten Mal innerhalb von fünf Jahren dabei. Zwei Mal (2012 und 2013) gewannen die drei gemeinsam in Miami den Titel.

Diese Umarmung von James ist nicht nur der erfolgreichen Vergangenheit geschuldet, sondern durchaus als symbolisch für die Gegenwart zu interpretieren - die offiziellen großen Drei der Cavaliers haben ja kaum zusammengespielt in diesen Playoffs. Love fällt nach seiner Schulterverletzung in der ersten K.o.-Runde mehrere Monate aus, Irving laboriert an einer Knieverletzung, sein Einsatz in der ersten Finalpartie in der Nacht zum Freitag in Oakland ist fraglich. "Wenn kein Wunder passiert, dann werde ich wohl nicht bei 100 Prozent sein", sagt Irving: "Wir müssen von Tag zu Tag sehen."

So grotesk das klingen mag: Diese Verletzungen haben sich für die Cavaliers zumindest bislang nicht nachteilig ausgewirkt. Love und Irving sind - und das ist eine freundliche Beschreibung - eher unterdurchschnittliche Verteidiger; aufgrund ihrer Ausfälle bekamen die unermüdlichen Arbeiter Matthew Dellavedova, Timofey Mozgov und Tristan Thomson mehr Einsatzzeit. Die Defensiveffizienz (erlaubte Punkte pro 100 Angriffe des Gegners) sank deshalb in den Playoffs auf 98,5 - in der Hauptrunde waren es noch 104,1 gewesen.

Er will Cleveland den ersten Titel seit 1964 bringen - länger wartet keine andere US-Großstadt

"LeBron verlangt von uns keine besonderen Dinge oder dass wir die Verantwortung für alles übernehmen", sagt Jones: "Er verlangt lediglich, dass jeder seinen Teil beiträgt - immer ein bisschen." Diese Mentalität gilt auch für die Offensive, der typische Playoff-Spielzug der Cavaliers geht so: James bekommt den Ball jenseits der Dreierlinie, seine Mitspieler verdrücken sich nach außen und öffnen mehrere Schneisen zum Korb für ihren Anführer. Der pflügt mit der Energie einer Ein-Mann-Naturgewalt nach vorne, zieht mehrere Gegenspieler auf sich und wirkt dabei bisweilen wie eine Comicfigur, die sich auch dann nach vorne bewegt, wenn sich drei Feinde an den Beinen festklammern. Wenn er nicht selbst abschließt oder gefoult wird, passt er den Ball nach außen zu seinen Mitspielern, die sich eben nicht verdrückt, sondern in Position für einen Drei-Punkte-Wurf bewegt haben. Was James von ihnen verlangt: Sie müssen diesen offenen Wurf versenken und danach ordentlich verteidigen. Nicht mehr, nicht weniger.

"Ich habe mich vor allem mental entwickelt. Ich weiß nun, dass ich nicht mehr alles alleine machen muss und dass ich meinen Mitspielern vertrauen kann", sagt James: "Mein Antrieb allerdings war noch nie so groß wie jetzt." Er ist nun 30 Jahre alt, seiner Rückkehr nach Cleveland nach vier Jahren in Miami hatte er vor der Saison in einem Beitrag auf der Internetseite von Sports Illustrated messianische Bedeutung beigemessen: "Meine Beziehung zum Nordosten von Ohio ist größer als Basketball. Das habe ich vor vier Jahren nicht verstanden. Ich verstehe es jetzt. Ich komme nach Hause." Der Messias will mit seinen tapferen Jüngern den ersten Titel für diese Stadt seit 1964 erreichen: Damals gewannen die Browns die Meisterschaft in der Footballliga NFL, länger wartet keine amerikanische Großstadt mit einem Profiteam auf einen Titel. Dazu allerdings müssen die Cavaliers nicht nur den zweitbesten Scharfschützen dieser Liga stoppen - Klay Thompson, der nach einer im Halbfinale gegen Houston erlittenen Gehirnerschütterung spielen dürfte. Sondern auch den besten: Stephen Curry stellte sowohl in der Hauptrunde (286) als auch in den Playoffs (bislang 73) neue Rekorde für erfolgreiche Drei-Punkte-Würfe auf.

Nach einer Trainingseinheit wurde LeBron James darauf angesprochen, wie die Cavaliers denn gedenken, diesen Stephen Curry aufzuhalten. "Nun, es ist so ähnlich wie bei mir", sagte James und legte eine lange Pause ein, damit auch ja niemand die Fortsetzung verpasste: "Es ist nicht möglich."

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