Süddeutsche Zeitung

Letztes NBA-Spiel von Dirk Nowitzki:24 Stunden Wahnsinn um den Lausbuben

  • Dirk Nowitzki absolviert seine 1667. Partie in der NBA - es ist seine letzte.
  • In der Halle des größten Rivalen feiern ihn die Fans und verabschieden ihn in den Sportler-Ruhestand.
  • Für Nowitzki sind es erneut berührende Momente. "Ein Sportler stirbt zwei Mal", sagt Nowitzki.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Wenn sie in der Halle der San Antonio Spurs, dem erbitterten Rivalen der Dallas Mavericks im US-Bundesstaat Texas, die Vorstellung der gegnerischen Spieler unterbrechen, um die Laufbahn von Dirk Nowitzki zu würdigen - dann passiert etwas mit einem. Sie zeigten am Mittwochabend nicht nur die tollsten Momente dieser unfassbaren Karriere, sondern auch jene Augenblicke aus insgesamt 78 Partien gegen die Spurs, in denen Nowitzki ganz besonders geglänzt hat - was ungefähr so ist, als würden sie in Gelsenkirchen die schönsten Spielzüge des legendären Dortmunders Michael Zorc gegen Schalke 04 feiern.

Es ist die 1667. Partie von Nowitzki in der nordamerikanischen Profiliga NBA, die letzte seiner 21 Jahre währenden Profilaufbahn, und seine Schwester Silke beschreibt bei Twitter, was da genau passiert am Mittwochabend - mit Nowitzki selbst und mit allen, die diese Laufbahn in den vergangenen 21 Jahren auf irgendeine Weise begleitet und verfolgt haben.

Sie veröffentlicht das Bild ihres Bruders in jenem Moment, als er am Dienstagabend in Dallas nach der Partie gegen die Phoenix Suns seinen Rücktritt als Profisportler zum Saisonende verkündet hat, darüber stellt sie ein blaues Herz und den wunderbaren Satz: "An athlete dies twice." Ein Sportler stirbt zwei Mal.

Nowitzki - das unterscheidet ihn von anderen - hat nie polarisiert

Es hat in Deutschland schon andere fantastische Athleten gegeben, derart viele, dass eine Liste mit Namen darauf völlig unsinnig wäre, weil sie wohl unvollständig bliebe und jeden beleidigen würde, der nicht darauf vermerkt ist. All diese grandiosen Sportler haben Erfolge gefeiert und den Beobachter erahnen lassen, wie sich das wohl anfühlt, wenn einer weiß, dass es in dem, was man da tut, in diesem Moment auf der ganzen Welt keinen Besseren gibt. Die beliebtesten Sportler sind jene mit Ecken und Kanten, die den Zuschauer mitnehmen auf eine Reise, die nach Niederlagen gar schrecklich leiden, die aufgrund ihrer Persönlichkeit auch mal polarisieren und über dieses emotionale Spektrum andeuten, dass es hinter dem Sportler auch noch einen Menschen gibt. Warum fühlt sich dieses letzte Spiel von Nowitzki dann so anders an?

Es sind verrückte 24 Stunden gewesen in der besten Basketballliga der Welt, und vielleicht lässt sich dieses letzte Spiel von Nowitzki umso besser verstehen, wenn man die Ereignisse aus den anderen NBA-Hallen in Relation dazu betrachtet. Es beginnt am Dienstagnachmittag in Los Angeles, wo Basketball-Legende Magic Johnson völlig überraschend seinen Rücktritt als Präsident der Lakers verkündet und die Entscheidung zwar wie immer charmant und eloquent begründet, letztlich jedoch sagt: "Ich habe alles richtig gemacht."

Schuld am Misserfolg in dieser Saison und den derzeit nicht wirklich prächtigen Aussichten auf künftigen Erfolg sind laut Johnson die anderen (Trainer Luke Walton, Manager Rob Pelinka, die strengen NBA-Regeln), er sei nur das Opfer seiner eigenen Nettigkeit. Wie er da so steht vor der Lakers-Umkleidekabine und die Welt aus seiner Sicht erklärt, da wird den Leuten klar, warum die deutschen Akteure Moritz Wagner und Isaac Bonga ihre jeweils erste NBA-Spielzeit in einem derartigen Chaos absolvieren mussten. Johnson hinterlässt einen Scherbenhaufen, den er selbst so hingeschmissen hat, und es ist die beste Aktion in seiner zwei Jahre dauernden Amtszeit, dass er die Halle schon vor Beginn des letzten Saisonspiels verlässt.

Beinahe gleichzeitig absolviert Dwyane Wade in Miami das letzte Heimspiel seiner Laufbahn. Er hatte das vor Monaten angekündigt und diese Saison zu seiner persönlichen Abschiedstournee werden lassen, mit Fototerminen und Huldigungen in jeder Arena. Das sei ihm gegönnt, und doch bleibt ein fader Beigeschmack, wenn sich einer derart selbst feiert und nach seinem letzten Spiel die Stadt Miami zum "Wade-Bezirk" erklärt. Verwundert es wirklich, dass so einer beim letzten Spiel seiner Karriere einen Tag später in Brooklyn erst dann so richtig beklatscht wird, als seine berühmten Freunde LeBron James, Chris Paul und Carmelo Anthony die Leute dazu auffordern?

Nowitzki hat unfassbare Erfolge gefeiert in seiner Karriere, er ist 2007 zum wertvollsten Spieler der Liga gewählt worden, hat 2011 den Titel gewonnen. Er hat dafür gesorgt, dass die Leute in Deutschland nachts aufgestanden sind und mit ihm gefiebert haben, und er hat sie auch mit sich leiden lassen, bei der dramatisch verlorenen NBA-Finalserie 2006 oder bei der Erstrunden-Niederlage eine Saison später gegen die Golden State Warriors, nach der Nowitzki aus Frust ein Loch in die gegnerische Arena prügelte - dieses Stück Wand nehmen die Warriors übrigens als Artefakt mit ins Museum der neuen Halle.

Nowitzki hat Ecken und Kanten, aber, und das unterscheidet ihn von so vielen legendären Sportlern: Er hat niemals polarisiert. Er ist ein Lausbub geblieben, der es, wie er im Film "Der perfekte Wurf" sagt, noch immer nicht fassen kann, dass er Millionen von Dollar dafür bekommt, dass er "relativ gut 'nen Ball in ein Körbchen reinschmeißen kann". Der im gleichen Film nach einer Begegnung mit Altkanzler Helmut Schmidt sagt: "Studier' ich ein bisschen BWL, hab' ich ihm vorgelogen." Der als Reaktion auf all die Fitness-Fotos anderer NBA-Profis auf Twitter ein Bild von sich auf einem klapprigen Fahrrad veröffentlicht. Jetzt mal ehrlich: Gibt es jemanden, der Dirk Nowitzki nicht mag?

Die Leute rufen noch einmal: "MVP!"

All das wird einem bewusst, wenn man Nowitzki dabei zusieht, wie er in San Antonio gegen Ende der Partie zum letzten Mal 'nen Ball in ein Körbchen reinschmeißt. Er schafft 20 Punkte und zehn Rebounds, es ist das 411. so genannte "Double Double" seiner Karriere. Als er kurz darauf ausgewechselt wird, da rufen die Leute: "MVP!" Nowitzki hat gegen die Spurs sechs teils dramatische Playoff-Serien absolviert, die Fans sollten ihn, das Gesicht der Mavericks, alleine aufgrund der Rivalität der beiden Basketball-Franchises geradezu verabscheuen. Sie feiern ihn jedoch fröhlich als einen der besten Spieler der Geschichte.

"Ein Sportler stirbt zwei Mal", sagt Nowitzki dann nach seiner letzten Partie als NBA-Profi, und genau das passiert am Mittwochabend - mit Nowitzki selbst und mit allen, die diese Laufbahn in den vergangenen 21 Jahren auf irgendeine Weise begleitet und verfolgt haben: Der Sportler ist gestorben, möge der Mensch ein langes und erfülltes Leben führen.

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