Der Teufel steckt bekanntlich im Detail, und wer sich dieses 113-Seiten-Dokument der nordamerikanischen Basketballliga NBA ansieht, der entdeckt so viele Teufelchen, dass er darauf schließt, die Fortsetzung der Saison im US-Bundesstaat Florida werde zur Hölle. 22 der 30 Vereine sollen teilnehmen, sie sollen drei Monate lang in drei Hotels (Yacht Club, Gran Destino und Grand Floridian) im Freizeitpark Disney World leben, über den quasi eine Glocke gestülpt werden soll. Die Vorbereitung soll Anfang Juli beginnen, spätestens am 13. Oktober soll der Meister feststehen.
Sportlich ist gegen das Konzept (es werden acht Partien der regulären Saison nachgeholt, dann beginnen die Playoffs) kaum etwas einzuwenden, auch aus gesundheitlichen Gründen dürfte es wenig Bedenken geben - selbst US-Chefvirologe Anthony Fauci sagt: "Sie könnten damit recht erfolgreich sein." Die NBA hat tatsächlich an so ziemlich jede Eventualität gedacht und deshalb ein paar skurrile Freizeitregeln (keine Doppel beim Tischtennis, keine Kopfhörer bei Computerspielen, stets neue Päckchen beim Kartenspiel) aufgestellt, doch genau da dürfte das Problem liegen: Es könnte tatsächlich funktionieren - aber wollen die Spieler, dass es klappt? Ist es das wert?
Jeder Verein darf 35 Leute nach Florida schicken, davon maximal 17 Spieler. Profisportler sind heutzutage daran gewöhnt, eine Entourage von Mitarbeitern (Ernährungsberater, Fitnesstrainer, Manager) überallhin mitzunehmen - nun sind pro Verein 18 Begleiter erlaubt, viele Positionen von der NBA (Cheftrainer, Zeugwart, Physiotherapeut, Sicherheitspersonal) vorgegeben. Gäste sind nur begrenzt (ein zusätzliches Hotelzimmer pro Spieler) und nach rigorosen Tests erlaubt; genau darüber wird nun debattiert.
Friseur, Computerspiele, Yoga - wenig für drei Monate Freizeitgestaltung
Der Alltag von NBA-Profis ist aufgrund der Vielzahl von Spielen (der Meister absolviert meist mehr als 100), dazu strapaziöser Reisen und Engagements abseits des Spielfeldes extrem strukturiert. Die meisten Akteure sind deshalb froh, wenn sie während der Saison mal ein paar ruhige Minuten genießen können. Was aber sollen sie tun, wenn sie drei Monate lang mit 769 anderen NBA-Angestellten in diesem Freizeitpark eingesperrt sind? Es soll Ablenkungen wie zum Beispiel Friseurbesuche, Golfturniere und Yoga-Stunden geben (die NBA will auch Services anbieten, bei denen die Spieler über ihre Sorgen und Ängste sprechen können) - vielleicht keimt aber auch die Versuchung, Kollegen zu einem Vereinswechsel zu bewegen.
Gewöhnlich haben NBA-Akteure während der Saison aufgrund des Spielplans nicht viel miteinander zu tun; nun sollen 374 Profis mehr als zwölf Wochen lang in Laufweite voneinander entfernt wohnen. Sie werden Tischtennis (kein Doppel) oder Karten (mit stets neuem Päckchen) spielen, sie werden sich dabei unterhalten. "Das wird Tamperpalooza im Gran Destino", sagte ein NBA-Angestellter dem Sportportal The Athletic. "Tampering" nennen die Amerikaner den Versuch, jemanden außerhalb offizieller Verhandlungen zum Wechsel zu bewegen. Das ist in der NBA streng verboten, doch dürfte die Versuchung groß sein, dem Kollegen beim Computerspiel-Zocken einzuflüstern, wie großartig das doch wäre, wenn er zum eigenen Verein käme und dort um den Titel spielte. Wer würde es kontrollieren?
Die Manager der 22 anwesenden Vereine dürften sich häufiger treffen als sonst, auch sie könnten beim gemeinsamen Spaziergang (die NBA hat den Plänen Bilder beigelegt, wie man Abstand halten kann) über Tauschgeschäfte sprechen - wäre das nicht ungerecht gegenüber Managern, die nicht dabei sind? Dasselbe gilt für Spieler wie Steph Curry von den Golden State Warriors, der nicht nur als grandioser Aufbauspieler gilt, sondern als formidabler "Recruiter" - also als Meister in der Kunst, Hochbegabte für seinen Klub zu begeistern? Die Warriors und Curry werden zwar in Orlando nicht dabei sein - die Versuchung des Abwerbens schon.
Die Probleme bei der Saison-Fortsetzung dürften deshalb weniger auf dem Parkett liegen (NBA-Chef Adam Silver sagte, die Saison würde auch bei einem positiven Test fortgeführt) als vielmehr abseits davon. Die NBA hat es den Spielern freigestellt, ob sie antreten oder verzichten wollen. Akteure, deren Vereine nicht nach Florida reisen werden, bekommen 25 Prozent weniger Gehalt. Wer trotz einer Einladung fern bleibt, der bekommt pro Partie, die er verpasst, 1,08 Prozent weniger Gehalt mit einer maximalen Reduktion von 15,12 Prozent.
Bis 24. Juni müssen die Spieler den Vereinen mitteilen, ob sie spielen wollen, und mancher Top-Akteur ist unschlüssig. Es gibt in den USA derzeit nicht nur eine Pandemie, sondern auch Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt. Dwight Howard etwa, Center bei den Los Angeles Lakers, veröffentlichte ein Statement, in dem steht: "Ich wünsche mir nichts mehr, als meine erste NBA-Meisterschaft zu gewinnen. Die Einigkeit meiner Leute ist jedoch eine noch viel größere Errungenschaft. Kein Basketball, bis das nicht geklärt ist."