Als Robert Andrich zu Beginn der zweiten Halbzeit mit seinem unübersehbaren Blond aufs Feld lief, begann auf der Tribüne das übliche Suchspiel. Wenn Andrich jetzt eingewechselt würde, wer müsste dann dafür draußen bleiben? Eine sehr naheliegende Möglichkeit drängte sich auf, zumal der Bundestrainer Julian Nagelsmann auf seinem Weg zum Pragmatiker schon recht weit gekommen ist. Bestimmt hatte sich Nagelsmann also für einen sogenannten positionstreuen Wechsel entschieden, dem defensiven Mittelfeldspieler Andrich würde demnach einer der beiden anderen defensiven Mittelfeldspieler, Aleksandar Pavlovic oder Angelo Stiller, weichen müssen. Ein zweiter Blick brachte allerdings die Erkenntnis, dass Pavlovic und Stiller nur wenige Meter hinter Andrich aufs Feld liefen. Würde Andrich also in der Abwehr spielen, wie manchmal in Leverkusen?
Der defensive Mittelfeldspieler Andrich spielte am Ende im defensiven Mittelfeld, neben Angelo Stiller. Und Aleksandar Pavlovic übernahm jene Position, die früher mal die Traumposition aller Mittelfeldspieler war, die Zehn, jenen Ort, an dem traditionell die großen Dirigenten ihr Pult stehen haben. Für Pavlovic kam das allerdings nicht unbedingt einer Beförderung gleich, denn seine Dirigentenkunst kommt in den rückwärtigen Räumen besser zur Geltung. Pavlovic kann super Pässe spielen, aber er ist kein Offensivgeist, der vorne seine Geistesblitze verteilt. Er ist einer, der das große Ganze lieber von weiter hinten denkt und den Weg des Balles zu den Offensivgeistern organisiert. Nagelsmann weiß das natürlich, aber was sollte er machen? Nachdem er den offensiven Florian Wirtz mit einer noch nicht näher definierten Sprunggelenksverletzung vom Feld nehmen musste, hatte ihm sein dezimierter Kader keine andere Option mehr gelassen. Wirtz droht übrigens eine Pause.
„In der ersten Halbzeit hatten Alex und ich viel Kontrolle über das Spiel“, sagt Angelo Stiller
Das, was Nagelsmann sehen wollte, sah er also nur 45 Minuten lang, aber das genügte, um zumindest mal eine Ahnung zu bekommen. Nagelsmann ist Bundestrainer in der Gegenwart, aber weil das nächste große Turnier, die WM 2026, erst in zwei Jahren steigt, ist er gelegentlich auch als Zukunftsforscher tätig. Er muss einerseits die Aktualität coachen, in der Spieler wie Pascal Groß, 33, und Robert Andrich, 30, in der Nachfolge von Toni Kroos das hintere Mittelfeld befehligen, aber es gehöre auch zu seiner „Verantwortung als Trainer, nicht alles nur auf Spieler zu setzen, die in zwei Jahren 35 sind“. So muss der Bundestrainer im Moment das eine tun, ohne das andere zu lassen. Er muss Groß/Andrich seine Wertschätzung vermitteln und gleichzeitig Pavlovic, 20, und Stiller, 23, auf eine mögliche Übernahme der Amtsgeschäfte vorbereiten. Hinter vorgehaltener Hand heißt es beim DFB, in einer hochgerechneten Startelf für die WM 2026 bildeten Pavlovic/Stiller bereits das Wunschduo. Vielleicht wird es also später einmal heißen, dass der Mittlere Ring des Münchner Rasens der Ort war, an dem die gebürtigen Münchner Pavlovic und Stiller erstmals zusammenfanden.
„In der ersten Halbzeit hatten Alex und ich viel Kontrolle über das Spiel“, sagte Stiller nach einer unspektakulären, aber vor allem defensiv hochseriösen Leistung. Der Vizekapitän Antonio Rüdiger hat später noch die großen technischen Fertigkeiten und die noch größere Ruhe der beiden Zukunftssechser gelobt, die kurz davor sind, schon Julian Nagelsmanns Gegenwartssechser zu werden.