Ivan Rakitić, geboren im Schweizerischen Rheinfelden, hatte vor der Partie in Spanien kroatische Fußballgeschichte geschrieben. Der 30-Jährige vom FC Barcelona gehört nun dem kleinen Kreis kroatischer Nationalspieler an, die auf mindestens 100 Länderspiele zurückblicken können. Am Dienstagabend hat er dafür vor dem Spiel ein Trikot mit der symbolischen Rückennummer 100 überreicht bekommen. Rakitić lächelte dabei so selig wie ein Vater, der gerade die Geburt seines ersten Kindes miterlebt hat.
Mehr als 90 Minuten später war das Lächeln aus seinem Gesicht gänzlich verschwunden, mit hängenden Schultern und schlurfendem Gang verließ er den Rasen. Rakitić hatte einen Abend erlebt, der ihn so leicht nicht loslassen dürfte. Es war eine fürchterliche Partie, Kroatien hat zum Auftakt der Nations League im spanischen Elche mit 0:6 verloren - es ist die höchste Niederlage in der Geschichte des kroatischen Fußballverbandes überhaupt.
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"Wir haben im Kollektiv versagt", gab der Mittelfeldspieler anschließend zu, "wir waren weit entfernt von unserer Topform." Er und Kapitän Luka Modrić mussten hinterher eine Vorführung im doppelten Sinne erklären, einen Absturz von Wolke sieben direkt auf den harten Boden der Tatsachen. Es war ein Klassenunterschied zwischen den beiden Mannschaften zu erkennen, die eine völlig gegensätzliche WM gespielt hatten. Während die Spanier im Achtelfinale im Elfmeterschießen an Russland gescheitert waren, trug die Kroaten ihr verblüffender Teamgeist bis ins Finale nach Moskau, das sie dann gegen Frankreich 2:4 verloren. Die Spieler wurden nach der Rückkehr in die Heimat so überschwänglich gefeiert, als hätten sie den WM-Titel gewonnen. In der Stunde des absoluten Tiefpunkts erinnerte Modrić noch einmal an diesen Höhepunkt: "Es ist unakzeptabel, dass wir auf diese Art und Weise unseren guten Ruf verspielen, den wir uns erst so hart verdienen mussten."
Die WM in Russland hatte in der Tat zu einer konstruierten Wirklichkeit geführt, die mit den tatsächlichen Kraftverhältnissen nichts zu tun hat. Spanien, der Weltmeister von 2010, bleibt auch nach dem frühen Aus eine Großmacht im internationalen Fußball, während das kleine Kroatien gegen große Mannschaften weiter den Außenseiter geben muss. Diese Weltsicht hat auch Modrić verinnerlicht, der zugibt: "Wenn wir nicht an unsere Leistungsgrenze kommen, haben wir es gegen jede Mannschaft der Welt schwer."
Dann kommt auch noch unfreiwillig Komik ins Spiel
In der Anfangsphase starteten die Kroaten, die auf Mittelstürmer Mario Mandzukic verzichten mussten, der nach der WM - wie auch Torhüter Danijel Subasic - aus dem Nationalteam zurückgetreten ist, mit viel Enthusiasmus. Drei gute Torgelegenheiten vergaben sie, bis Saúl Ñíguez per Kopf nach einer feinen Außenristflanke von Daniel Carvajal zur spanischen Führung traf (24.). Erst das 1:0 ließ die verunsicherten Spanier ruhiger, selbstbewusster und mutiger agieren. Und nach dem zweiten Tor von Marco Asensio (33.) kam auch noch unfreiwillig Komik ins Spiel.
Es passte wunderbar zum Bild des missratenen Abends der Kroaten, dass nach einem Lattentreffer Asensios der Ball vom Rücken des kroatischen Torhüters Lovre Kalinic über die Linie prallte (35.). Das sah sehr unglücklich aus, ja fast grotesk. Die Kroaten standen fortan neben sich, passten einfachste Bälle zu den Gegenspielern und "spielten nur für sich, statt für die Mannschaft", wie Modrić kritisierte. Am Ende musste Europas jüngst gekürter "Fußballer des Jahres" sogar froh sein, dass die Partie nach weiteren Treffern von Rodrigo Morena, Sergio Ramos und Isco nicht zweistellig für die famos aufspielenden Spanier endete.
"Es wäre jetzt zu leicht, auf alles einzuhauen", sagte Modrić. "Wir müssen im nächsten Spiel einfach wieder ganz anders auftreten, so wie bei der WM." Doch der nächste große Gegner wartet schon: In der Nations League geht es nun gegen England, das gegen Spanien ebenfalls das Nachsehen hatte - doch nur mit 1:2.