Der erste Sieg über eine deutsche Nationalmannschaft seit 16 Jahren und der höchste im 41. Duell war gerade in trockenen Tüchern, da verabschiedete sich der niederländische Fußball feierlich von seiner erfolglosen jüngeren Vergangenheit. In einem sich rasch leerenden Amsterdamer Stadion beschied man in tiefster Nacht den ehemaligen Nationalspielern Dirk Kuijt und Rafael van der Vaart offiziell: "Tot ziens" - auf Wiedersehen. Van der Vaart hatte sein finales Länderspiel bereits vor fünf Jahren bestritten, aber weil die Niederlande seither von sechs Bondscoaches trainiert wurden (Louis van Gaal, Guus Hiddink, Danny Blind, Fred Grim, Dick Advocaat, Ronald Koeman), starb seine latente Hoffnung aufs späte Comeback endgültig erst jetzt - mit 35 Jahren.
Der Königlich-Niederländische Fußball-Bund hatte die Verabschiedung der beiden Fußballer in folgendem Wortlaut angekündigt: "Rafael van der Vaart und Dirk Kuijt haben Fußballfans auf der ganzen Welt und besonders Oranje-Fans in Ekstase versetzt." Etwas treffender erschien aber van der Vaarts persönliche Bilanzierung, als er sagte: "Leider haben wir nie einen Titel gewonnen."
2010 hatte die Elftal mit diesen beiden Spielern unter dem Trainer Bert van Marwijk letztmals kurz vor einem Triumph gestanden; es wäre der zweite gewesen nach dem EM-Titel 1988 in Deutschland. Aber das Endspiel der Weltmeisterschaft in Johannesburg ging in der Verlängerung mit 0:1 gegen Spanien verloren. Ryan Babel, damals 23 Jahre alt, heute 31, war am Samstagabend der letzte verbliebene Nationalspieler, der 2010 zum niederländischen WM-Kader gehört hatte. Babel bildet mit 52 Länderspielen jetzt gewissermaßen den Weisenrat in einer jungen Nationalmannschaft, Daley Blind (57) und Georginio Wijnaldum (51) ergänzen ihn darin.
Manuel Neuer:Plötzlich nur noch ein ganz normaler Torwart
Sein Auftritt beim 0:3 gegen die Niederlande zeigt: Der einst überirdische Bällefänger Manuel Neuer ist fehlbar geworden. Und die Torwart-Konkurrenz wartet schon.
Das Demütigende für die deutsche Mannschaft an dieser 0:3-Niederlage in Amsterdam war, dass die Niederländer ihren Generationswechsel in diesem Spiel knallhart fortgesetzt und trotzdem haushoch gewonnen haben. Sechs der 14 eingesetzten Spieler waren 23 Jahre oder jünger (Matthijs de Ligt, 19, Frenkie de Jong, 21, Steven Bergwijn, 21, Arnaut Danjuma Groeneveld, 21, Denzel Dumfries, 22, Nathan Aké, 23). Drei von ihnen feierten sogar ihr Debüt in der Elftal (Bergwijn, Dumfries, Groeneveld). Gegen eine derart grüne Oranje-Mannschaft hätte man der deutschen Auswahl mit nur vier Spielern mit 23 Jahren oder jünger (Brandt, 22, Sané, 22, Werner, 22, Kimmich, 23) und nur einem Debütanten (Uth, 27) ein etwas schmeichelhafteres Ergebnis zugetraut.
Einige der Niederländer wussten hinterher genau, wie sich die Deutschen fühlen, denn so war es ihnen in den vergangenen vier Jahren ja selbst ergangen: Trotz eines durchaus mutigen und offensiven Spielstils hatten sie so gut wie alle relevanten Spiele verloren und dadurch sowohl die EM 2016 als auch die WM 2018 verpasst. Mit dem im vergangenen Februar installierten Ronald Koeman schien man sich dann für einen Bondscoach entschieden zu haben, der flexibler auf die taktischen Erfordernisse des modernen Fußballs reagiert. Aber was machte der 55-Jährige in gleich beiden Nations-League-Spielen in Frankreich und gegen Deutschland? Er gab dem niederländischen Fußball sein eigentlich schon mit Patina überzogenes Nationalheiligtum 4-3-3 zurück und zeigte, dass das bisweilen als angestaubt diskreditierte System nichts von seiner Effektivität verloren hat - wenn man es denn gut umsetzt.
Ein Endergebnis, das "fast schon zu gut" war
Elf Tage vor diesem Länderspiel hatte Ajax Amsterdam mit einem 4-2-3-1 in der Champions League ein 1:1 beim FC Bayern München ertrotzt, nun gewann die Nationalelf im 4-3-3 mit 3:0 gegen Deutschland - und gemeinsam war beiden doch so unterschiedlichen Spielen, dass der defensive Bayern-Block mit Mats Hummels, Jérôme Boateng und Joshua Kimmich in der Rückwärtsbewegung einen schwachen Eindruck erweckte. Zwei Mal gut für Oranje.
Koeman war hinterher sehr erleichtert, weil das vorangegangene Spiel in Frankreich trotz guter Leistung noch mit 1:2 verloren gegangen war. "Schon da haben wir aber gut gespielt", erinnerte er nun explizit, doch erst dieser Triumph über die Deutschen ermutigte ihn zu euphorischen Prognosen: "Wir sind nach schwierigen Zeiten mit einer talentierten Mannschaft auf einem guten Weg." Gegen das DFB-Team habe seine Mannschaft "sehr gut verteidigt, um jeden Meter gekämpft und bei den Kontern die Räume genutzt". Memphis Depay (87.) und Wijnaldum (92.) hatten zwei späte Konter zur finalen Demütigung genutzt. Das Endergebnis fand Koeman dann aber "fast schon zu gut", womit er auf die Höhe anspielte, die den Matchverlauf eher nicht passend wiedergibt. "Aber manchmal", sagte er mit einem kühlen Lächeln, "braucht man eben auch ein bisschen Glück." Es war genau jenes Glück, das den Niederländern vier Jahre lang gefehlt hatte - und das jetzt den Deutschen ausgegangen zu sein scheint. Diese Version besitzt vorerst Gültigkeit bis zum 42. deutsch-niederländischen Duell am 19. November in Gelsenkirchen.