England in der Nations League:Ein Abstieg in Ehren

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Auch eine gute Idee: Hier wechselt Trainer Southgate (rechts) den Torschützen Mason Mount ein. (Foto: Hannah Mckay/Reuters)

Beim 3:3 gegen Deutschland zeigt Englands Team, dass es unter Druck bestehen kann. Das hat auch mit der Arbeit von Trainer Gareth Southgate zu tun - und trotzdem steht er massiv in der Kritik.

Von Sven Haist, London

So einfach wirft Gareth Southgate nichts um. Wie zum Beweis für die eigene Standhaftigkeit bewahrte Englands Nationaltrainer im letzten Gruppenspiel dieser Nations-League-Runde gegen Deutschland jederzeit die Contenance. Weder war Southgate nach dem zwischenzeitlichen 0:2 zu Tode betrübt noch nach dem 3:2 himmelhoch jauchzend - ganz im Gegensatz zu seinen wankelmütigen Landsleuten im Wembley-Stadion, die nach dem späten Ausgleichstreffer der Deutschen nicht mehr wussten, wie sie das 3:3 einstufen sollten. Die Zeitung The Telegraph fasste den Gemütszustand in typisch britischer Übertreibung zusammen: "Ekstase ... und Agonie!"

Auf kaum etwas (außer vielleicht das Üben von Elfmetern) hat Southgate, 52, in seiner sechsjährigen Amtszeit mehr Zeit verwendet, als seine Mannschaft von den unsteten La­unen der Nation zu emanzipieren, die nichts zwischen Hochmut und Demut zu kennen scheint.

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Denn als Ursache dafür, dass England seit dem Heimsieg bei der WM 1966 keinen Fußballpokal mehr gewann, analysierte Southgate bei seinem Einstieg den Mangel an Teamspirit, Führungsstärke, Disziplin und Stabilität. An diesen Tugenden feilt er seitdem. Das Ergebnis ließ sich am Montag bestaunen - zum genau richtigen Zeitpunkt, acht Wochen vor Beginn der WM in Katar: Sein Team hat ziemlich viel grit, wie es im Englischen heißt, zu Deutsch: Schneid.

Die Fans pfeifen, die Leitmedien arbeiten sich an Southgate ab: Er sei "noch nie ein guter Trainer" gewesen, findet die "Times"

Ohne diese Charakterstärke wäre es wohl nicht möglich gewesen, im Härtetest gegen die Deutschen zurückzuschlagen. Vor allem nicht unter dem Aspekt, wie die englischen Fans und Medien mit dem Trainer und einigen Profis in den Vorwochen umgesprungen sind. Zur Erinnerung: Nach 22 Pflichtspielen ohne Niederlage in der regulären Spielzeit erlitt England zuletzt einen gut begründbaren Dämpfer in Form von sechs sieglosen Partien (darunter drei Remis gegen Deutschland und Italien), die hauptsächlich auf eklatante Personalsorgen zurückzuführen waren. Trotzdem pfiffen die Fans Southgate aus und forderten seine Absetzung. Auch die Leitmedien arbeiteten sich an ihm ab: Die BBC nannte den Abstieg der Engländer in die B-Klasse der Nations League "beschämend", die Times fand, Southgate sei "noch nie ein guter Trainer" gewesen. Seinem Coaching fehle es an "Entschlossenheit", er riskiere, eine "gute Spielergeneration" zu vergeuden. Seriously?

Und was machen wir jetzt mit diesem merkwürdigen Abend? Die Nationaltrainer Hansi Flick und Gareth Southgate (von links) tun ihr Bestes nach dem 3:3 von Wembley - und lächeln tapfer. (Foto: Paul Chesterton/Imago)

Mal im Ernst, nach der Entlassung des nur 67 Tage währenden Trainerflops Sam Allardyce lag Englands Nationalteam im Herbst 2016 am Boden (Stichwort Demut!). Seitdem hat Southgate dem Mutterland des Fußballs allmählich auf die Beine verholfen. 2021 führte er England erstmals in ein EM-Finale, das gegen Italien im Elfmeterschießen verloren ging, aber im Land zu Recht einen Gefühlsrausch auslöste. Mit diesem Erfolgserlebnis schien die Öffentlichkeit jedoch nicht umgehen zu können. Statt Dankbarkeit war plötzlich das überzogene Anspruchsdenken zurück (Hochmut!). Anschaulich wurde das im Duell mit Erzrivale Germany, als England innerhalb von zwölf Minuten ein Dreierpack durch Luke Shaw (71.), Mason Mount (75.) und Harry Kane (83., Elfmeter) gelang. Die Fans lagen sich in den Armen, das Bier spritzte durch die Luft, es herrschte Volksfeststimmung wie bei der EM vor einem Jahr.

Diese Spielsequenz ziehen die Kritiker nun als Beleg heran, Southgate müsste seine Elf doch nur nach vorn stürmen lassen. Aus ihrer Sicht besitzt England eine hochbegabte Angriffsreihe, die im Hurrastil immer ein Tor mehr schießen würde, als die wacklige Abwehr zulassen könnte. Die Argumentation hält Southgate - der als Nationalspieler einst mit noch renommierteren Mitspielern stets an teaminterner Überheblichkeit scheiterte - für zu kurz gegriffen. Seine Erfahrung hat ihn gelehrt: Mit Harakiri-Taktik lässt sich vielleicht mal ein Rückstand drehen oder eine Partie gewinnen. Aber sicher kein Turnier.

Aus diesem Grund widerstand Southgate auch gegen Deutschland dem Drängen der Medien, seine Prinzipien über Bord zu werfen: Er hielt an seiner Dreierabwehr fest, vertraute Haudegen wie Harry Maguire, verzichtete auf den vor allem nach vorn ausgerichteten Liverpooler Rechtsverteidiger Trent Alexander-Arnold und ließ aus einer geordneten Defensive agieren. Daraus resultierte zunächst ein ordentlich anzusehender Konterfußball. Später, als England nach einem von Maguire verschuldeten Elfmeter in Rückstand geriet, intensivierte er die Angriffsbemühungen mit der Einwechslung des Torschützen Mount. Das Spiel hätte Southgate eine gute Position geliefert, um sich hinterher gegen die maßlose Berichterstattung aufzulehnen. Stattdessen sagte er, seine Spieler seien "fantastisch" gewesen, hätten "individuell und kollektiv Verantwortung" übernommen - und "diese ganze Erfahrung" (der Vortage) habe das Team wachsen lassen.

Da man bei der WM ohnehin "mit Druck" konfrontiert werde, fügte Southgate hinzu, sei es "besser", ihn schon jetzt gespürt zu haben. Dies dürfte seine wichtigste Erkenntnis sein - und dass er ein Team aufgebaut hat, das wie ihn selbst nichts so schnell umwirft.

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