DFB-Debüt von Keeper Baumann:Nummer eins in Geduld

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Hoffenheims Torwart Oliver Baumann (rechts) könnte in seiner Karriere sogar noch deutscher Rekordkeeper werden – also jener mit den meisten Bundesligaeinsätzen. (Foto: Uwe Anspach/dpa)

Seit Jahren gilt Oliver Baumann als einer der besten deutschen Torhüter, aber im Nationalteam spielte immer Manuel Neuer. Der ist nun zurückgetreten, Marc-André ter Stegen ist verletzt – und so ergibt sich für den Hoffenheimer eine große Chance.

Von Christoph Ruf, Stuttgart

Natürlich war es wieder Oliver Baumann, der nach dem unglücklichen 1:1 beim VfB Stuttgart den Medien-Parcours durchlaufen musste. In der neunten Minute der Nachspielzeit hatte Stuttgarts Ermedin Demirovic tatsächlich den Ausgleich geschafft – im Nachschuss eines Hand-Elfmeters, den Baumann zunächst prima gehalten hatte. Nichts war es also mit dem zweiten Hoffenheimer Saisonsieg, der nach einer guten Leistung und dem Treffer von Valentin Gendrey fast schon sicher zu sein schien.

Baumann ist seit vielen Jahren eines der wenigen Gesichter, das die Öffentlichkeit mit seinem Arbeitgeber verbindet. Die Interviews nach dem Spiel gehören für ihn zum Alltag, seit er 2014 von Freiburg nach Hoffenheim wechselte. Am Sonntag hat er dabei mit viel Sinn für die Metaebene noch mal durchblicken lassen, was er von der schwelenden Hoffenheimer Trainerdiskussion hält. „Einen großen Entwicklungsschritt“ habe er ausgemacht, „alle haben füreinander gekämpft und verteidigt“.

Eine Mannschaft, die gegen den Trainer spielt, tritt anders auf, wollte Baumann damit sagen. Und genau so hat er das in den vergangenen Wochen immer wieder auch explizit gesagt. Wie die Vereinsführung über die nähere Zukunft von Coach Pellegrino Matarazzo denkt, ist hingegen seit Wochen nicht zu erfahren. Nach dem nicht nur von den Fans kritisierten Rausschmiss von Sportvorstand Alexander Rosen gibt es niemanden mehr im Machtzentrum der TSG, der sich zum Kerngeschäft äußert. Außer Matarazzo, der sich aus naheliegenden Gründen nur vorsichtig äußert. Und eben Baumann, der am Sonntag auch deshalb ganz passabel gelaunt wirkte, weil er bald mit stolzen 34 Jahren sein Nationalmannschaftsdebüt geben darf. 

Genau das war ihm in den fast 15 Jahren seiner Profikarriere bislang verwehrt worden. Baumann, der schon in der U18 für die Bundesauswahl nominiert worden war, hat nun einmal das Pech, im Jahr 1990 geboren zu sein. Er war also 16 Jahre alt, als Manuel Neuer sein erstes Bundesligaspiel bestritt. Jener Neuer, der 2009 als Nationalkeeper debütierte und dort auch noch heute seinen Platz hätte, wenn er nicht selbst vor einigen Wochen seinen Rücktritt erklärt hätte. Aber das war bekanntlich längst nicht die einzige Wendung, die zur ungewohnten Situation im deutschen Tor vor den Länderspielen in Bosnien-Herzegowina am Freitag und gegen die Niederlande am Montag beitrug.

Baumann gilt als Zögling von Christian Streich beim SC Freiburg

Die Partien, für die Bundestrainer Julian Nagelsmann am Montag seinen Kader in Herzogenaurach begrüßte, sind die ersten seit der schweren Knieverletzung von Marc-André ter Stegen, dem deutschen Epochen-Torhüter hinter Neuer und planmäßigen Stammkeeper bei der WM 2026. Auch Kevin Trapp, die langjährige Nummer drei, ist derzeit verletzt und wird obendrein bei Eintracht Frankfurt vom Brasilianer Kauã Santos bravourös vertreten. Bernd Leno vom FC Fulham sagte Nagelsmann ab, weil er nicht auf der Bank sitzen wollte. „Sie haben mir gesagt, dass ich dabei wäre, aber kein Spiel bekomme. Deshalb habe ich mich dazu entschieden, in London zu trainieren“, sagte er der Bild.

Stattdessen dabei sind Janis Blaswich von RB Salzburg als Nummer drei, sowie Baumann und der Stuttgarter Alexander Nübel, 28, die sich just am Sonntag in der Bundesliga gegenüberstanden. Dass Baumann beim DFB mindestens ein Mal zum Einsatz kommt, darauf hat sich Nagelsmann bereits festgelegt. Der Hoffenheimer habe es nach langer Wartezeit „verdient, mal ein Länderspiel zu kriegen“.

Baumann, das war dem Urteil seiner Trainer zufolge lange Zeit stets „einer der besten deutschen Torhüter“, aber es wäre ihm niemals eingefallen, laut über das Unrecht der Welt zu lamentieren und mehr Berücksichtigung im Nationalteam einzufordern. Gut möglich, dass ihm da auch sein Naturell entgegenkommt. Baumann gilt als jemand, den keine Selbstzweifel übermannen, wenn er zwei Abende am Stück vorm heimischen Fernseher verbringt. Das reizarme Klima seiner Heidelberger Wahlheimat passt zudem bestens zur Sozialisation im ebenfalls beschaulichen Freiburg.

Dort, beim Sportclub, ist „der Oli“ fußballerisch groß geworden: als Zögling von Christian Streich, den der langjährige Trainer von den Jugendmannschaften bis hoch zu den Profis zog, wo er schon in der Saison 2010/11 Stammkeeper war. Baumann ist der beste, da kompletteste Keeper, der in diesem Jahrhundert beim Sportclub ausgebildet wurde. Im Gegensatz zu Nachfolgern wie Alexander Schwolow oder dem jungen Noah Atubolu (der noch dazulernen darf) ist er nicht nur auf der Linie, sondern auch im Stellungsspiel stark.

Fußballerisch hat er sich in den vergangenen Jahren erheblich verbessert. Auf der Linie macht ihm eh kaum einer etwas vor, grobe Patzer unterlaufen ihm nicht öfter als den Keepern, die in der Hierarchie vor ihm stehen. Und einen kleinen Trost für die Entbehrungen auf der großen Bühne gibt es nun doch für den grundsoliden Torsteher aus Breisach am Rhein. Oliver Kahn bringt es auf 557 Bundesligaspiele, der vier Jahre ältere Manuel Neuer auf 505. Und Baumann? Seit er am 8. Mai 2010 sein erstes Bundesligaspiel in Dortmund machte, sind 466 weitere dazugekommen, 130 für Freiburg und 336 für Hoffenheim. Wenn Baumann so weitermacht, könnte er irgendwann im Jahr 2027 deutscher Rekordtorhüter sein. Und wenn jetzt nichts mehr dazwischenkommt, wird er dann sogar längst sein erstes Länderspiel absolviert haben. 

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