Deutschland in der Nations League:Konfus und kurios vor dem eigenen Tor

Nations League 2020: Manuel Neuer und Antonio Rüdiger gegen die Schweiz

Hatten einiges zu besprechen: Torwart Manuel Neuer und Abwehrspieler Antonio Rüdiger.

(Foto: Getty Images)

Die deutsche Nationalelf überzeugt beim 3:3 gegen die Schweiz nach vorne - kassiert aber ungewöhnliche Gegentore. Der wahre Zustand von Löws Team bleibt ein Rätsel.

Von Martin Schneider, Köln

Im Amateurfußball gibt es ein Ritual, das immer mal wieder zu beobachten ist, wenn man am Wochenende die Asche-, Rasen- und Kunstrasenplätze der Republik besucht. Schlägt der Gegner eine Ecke und wird die erste Flanke abgewehrt, dann schreit ein Spieler, meistens der sogenannte Abwehrchef, laut "Raaaaauuuuuus". Das ist das Zeichen für alle Mitspieler, sich so schnell wie möglich vom eigenen Tor zu entfernen. Und wenn das schnell und koordiniert geschieht, stehen die gegnerischen Stürmer bei einem zweiten Flankenversuch entweder im Abseits - oder weit genug vom eigenen Tor weg für einen platzierten Kopfball.

Oft scheitert das an den Unzulänglichkeiten, die im Amateurfußball eben da sind, aber dass die deutsche Nationalmannschaft an sowas scheitert, das ist dann doch eher selten - so geschehen aber beim 0:1 der Schweiz am Dienstagabend. Ecke, abgewehrt, Abwehr rückt zu langsam raus, Kopfball, Gegentor. Manuel Neuer schaute, als könne er es nicht fassen.

Es war ein auf mehreren Ebenen kurioses Spiel, dieses 3:3 des DFB-Team in der Nations League in Köln gegen die Schweiz und man könnte es sich einfach machen und über die drei deutschen Tore reden, die allesamt sehr sehenswert waren: eine schöne Einzelleistung von Timo Werner, eine vielleicht noch schönere Einzelleistung von Kai Havertz, ein Hackentreffer von Serge Gnabry - sieht man auch nicht alle Tage.

Kimmich findet die Gegentore "alle etwas kurios"

Aber wenn Havertz mit seinen 21 Jahren nach dem Spiel eine "erwachsenere" Abwehrleistung anmahnt, dann weiß man, was das Thema der Stunde ist. Sieben Gegentore hat die deutsche Mannschaft in den drei Spielen gegen die Türkei, die Ukraine und nun gegen die Schweiz kassiert. "Für die Trainer war es ein interessantes Spiel", lautete Löws erster Satz in der virtuellen Pressekonferenz. Er habe Gutes, aber auch Fehler gesehen, man habe bewusst viel riskiert.

Löw entschied sich diesmal vor allem für eine Viererkette in der Abwehr - und wählte nach vielen Spielen mit Fünferkette diesmal die offensivere Variante. Doch die vier Verteidiger Robin Gosens, Matthias Ginter, Antonio Rüdiger und Lukas Klostermann haben in dieser Besetzung noch nie zusammen gespielt, Gosens und Klostermann laufen in ihren Klubs gar selten als Außenverteidiger einer Viererkette auf und genau so sah es dann auch aus.

Die Gegentore waren dann auch keinem Alleinschuldigen zur Last zu legen, es war vielmehr das Versagen von Abstimmung und Koordination innerhalb der Kette - perfekt zu sehen beim dritten Gegentor, als Rüdiger rausrückte und die Abläufe offensichtlich nicht stimmten. "Ich fand alle Tore etwas kurios. Das müssen wir besser verteidigen", wunderte sich auch Joshua Kimmich.

Wer hatte in der Abwehr eigentlich das Kommando?

Löw wurde dann nach dem Spiel mehrfach gefragt, wer denn eigentlich das Kommando hatte: Ginter? Rüdiger? Auf dem Platz war das nicht unbedingt zu erkennen, ganz im Gegensatz zum FC Bayern übrigens, wo David Alaba glasklarer Wortführer ist. Zweimal wich Löw entsprechenden Nachfragen aus, bis er dann sagte, dass Niklas Süle für diese Rolle vorgesehen ist. Den ließ Löw aber mit Verweis auf seine Kreuzbandverletzung auf der Bank. Der Bundestrainer betonte erneut, er würde gerne mit zwei Abwehrsystemen in das EM-Turnier gehen: Dreierkette und Viererkette. Stand jetzt funktioniert keine Variante reibungslos.

All das wurde auch vom erneut überraschend kritischen ARD-Experten Bastian Schweinsteiger angemahnt und dem Fernsehpublikum anschaulich vorgeführt. Die große Frage ist nun: Sind diese Fehler Teil des von Löw immer wieder angesprochenen Entwicklungsprozesses? Oder sollte die Mannschaft vielleicht mal so langsam anfangen, sie abzustellen?

Drei Spiele spielt das DFB-Team noch im November, ein Freundschaftsspiel gegen Tschechien, bei dem vor allem die Spieler des FC Bayern vermutlich wieder aufgrund der akuten Terminhatz pausieren müssen, und zwei Nations-League-Spiele gegen die Ukraine und in Sevilla gegen Spanien. Beruhigend für Löw: Spanien verlor das Spiel in Kiew überraschend mit 0:1, was den eigenen mühsamen 2:1-Sieg nachträglich ein wenig aufwertet.

Der wahre Zustand der Nationalmannschaft bleibt also ein kleines Rätsel. Sicher ist nur, dass Löw sich nicht aus der Ruhe bringen lassen wird. "Wir haben einen Plan, und den ziehen wir durch" - den Satz hat er in den vergangenen Tagen in verschiedensten Varianten gesagt. Und auch, dass ihn die Kritik von außen weiterhin nur mäßig beeindrucke.

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