Süddeutsche Zeitung

DFB in der Nations League:Deutscher Klassenerhalt am grünen Tisch

Das Exekutivkomitee der Uefa reformiert den Modus der Nations League. Damit bleibt Deutschland der Abstieg in Europas zweite Liga erspart - es ist ein willkürliches Rettungsmanöver.

Kommentar von Philipp Selldorf

Soweit bekannt, hat es an der Otto-Fleck-Schneise keine Freudenfeier und nicht einmal ein Glas Sekt für alle Mitarbeiter gegeben, als das Exekutivkomitee der Uefa am Dienstag beschloss, den Modus der Nations League zu reformieren und damit Deutschland den Abstieg in die B-Klasse zu ersparen. Auch der Bundestrainer reagierte reserviert auf die Nachricht, obwohl sie seine Biografie zumindest faktisch von dem Makel reinigt, sein Team in Europas zweite Liga gewirtschaftet zu haben. Er sei "überrascht", lautete seine erste Reaktion. Manager Oliver Bierhoff fand gar Worte des Bedauerns für den Gnadenakt, denn nun, so stellte er fest, werde es wegen des um zwei Partien erweiterten Spielplans der Nations League bis zur WM 2022 kaum noch Gelegenheit für Testspiele geben - letztere sind für den DFB einträglicher als die von der Uefa veranstalteten, zentral vermarkteten Wettbewerbsspiele.

Der Uefa-Eingriff erinnert an einen Vorgang, der sich nach der Saison 1964/1965 in der Bundesliga abspielte. Schalke 04 war damals Letzter geworden und beweinte den Abstieg. Bis der DFB beschloss, die Liga um zwei auf 18 Teilnehmer zu erweitern - und Schalke so vor dem Niedergang bewahrte. Der Beschluss des DFB-Bundestages ging als "Lex Schalke" in die Historie ein, als willkürliches Rettungsmanöver für einen populären Verein, auf den man nicht verzichten wollte.

Die Uefa erläuterte nun, die Änderung des Wettbewerbsmodus folge einem "Berstungsprozess". Dieses rätselhafte Wort dient jedoch nicht als Tarnkappe für eine "Lex Deutschland", sondern beschreibt den Wunsch der 55 Mitgliedsländer nach einer Vergrößerung der Gruppen in den oberen Ligen A, B und C. Bisher spielten in den jeweils vier Gruppen pro Spielklasse drei Teams gegeneinander. Künftig werden es vier sein. Während also Schweden, Ukraine, Bosnien-Herzegowina und Dänemark in die erste Liga (A) aufsteigen, dürfen Deutschland, Polen, Island und Kroatien ihren Platz in der Eliterunde behalten. In der zweiten und dritten Spielklasse gilt das gleiche Verfahren, während die Division D, das Sammelbecken für Europas Fußballzwerge, nur noch sieben Teilnehmer umfassen wird.

Die Uefa reklamiert mehrere Vorteile der Reform: Künftig gebe es mehr Wettbewerbs- als Testspiele, das sei sportlich attraktiver, auch "der kommerzielle Wert" werde höher sein. Zudem garantiere das Verfahren "mehr sportliche Fairness", weil am letzten Spieltag alle Gruppenangehörigen zur gleichen Zeit spielen könnten.

Eine gewisse Strafe für den Abstieg bleibt den Deutschen allerdings nicht erspart. Das DFB-Team wird bei der im März 2020 stattfindenden Auslosung nicht gesetzt sein, sondern aus einer hinteren Position zugeteilt. Es droht eine schwere Gruppe. Andererseits könnte es sein, dass sich die nun doch andauernde Zugehörigkeit zur ersten Liga positiv auf die WM-Qualifikation 2022 auswirken wird, bei der nur die Gruppenersten die direkte Zulassung erhalten, während die Gruppenzweiten in Entscheidungs- alias Zitterspiele eintreten werden.

Doch in solchen, in die ferne Zukunft gerichteten Dimensionen denkt der Bundestrainer nicht. Joachim Löws distanzierte Bewertung des Klassenerhalts am grünen Tisch hat womöglich nicht nur damit zu tun, dass die Nations League immer noch ein eher abstraktes Wettbewerbsgebilde ist. Er weiß darüber hinaus auch gar nicht, ob er bei der nächsten Runde im Spätsommer und Herbst 2020 überhaupt noch im Amt sein wird. Zwar unterhält Löw mit dem DFB eine Vertragsbeziehung, die bis zur ominösen Katar-WM 2022 reicht, doch ob er diesen Vertrag erfüllen wird oder darf, das hängt vom Abschneiden bei der EM 2020 ab, dessen sind sich alle Beteiligten bewusst.

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SZ vom 26.09.2019/jbe
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