Belgische Nationalmannschaft:Rote Teufel, rote Köpfe

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Belgiens Kapitän Kevin De Bruyne, hier mit Frankreichs Kylian Mbappé, hob nach dem 0:2 gegen Frankreich zur Generalkritik an. (Foto: Franck Fife/AFP)

Im belgischen Fußball lodert der Streit: Nationaltrainer Tedesco zofft sich mit Torwart Courtois, Stürmer Lukaku fühlt sich schlapp, und nach dem 0:2 gegen Frankreich in der Nations League droht Kevin De Bruyne mit Rücktritt.

Von Sven Haist, London

„Ik stop“, ließ sich deutlich von Kevin De Bruynes Lippen ablesen: Ich höre auf! Der Kapitän der belgischen Nationalmannschaft war geladen, als er am Spielfeldrand im Gespräch mit Sportdirektor Frank Vercauteren die Leistung gegen Frankreich in der Nations League aufarbeitete. Immer wieder schüttelte der Spielmacher energisch den Kopf und wiederholte, dass er seine Karriere in der Nationalelf beenden wolle. Mit seiner Rücktrittsandrohung löste De Bruyne gewissermaßen einen Höllenbrand bei Belgiens Red Devils aus, den roten Teufeln.

Schon seit der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 lodert es im Team. Seinerzeit schied die Elf auch wegen heftiger interner Zerwürfnisse in der Vorrunde aus, daraufhin traten einige Spieler sowie der damalige Trainer Roberto Martínez ab. Martínez’ Nachfolger Domenico Tedesco sollte das Feuer löschen und einen Generationswechsel einleiten. Stattdessen kippte er Öl hinein: Gerade so zitterte sich Belgien im Sommer ins EM-Achtelfinale und schied gegen Frankreich verdient aus. Für die unambitionierte Spielweise wurde Tedescos Mannschaft nach dem letzten Gruppenspiel sogar gnadenlos ausgepfiffen. Und nun setzte es nach dem 3:1-Pflichtsieg gegen Israel die nächste empfindliche Pleite, wieder gegen Angstgegner Frankreich, diesmal ein 0:2 (0:1) in Lyon.

Mit glühend rotem Kopf schonte De Bruyne in seiner Analyse weder die Mitspieler noch den Trainer. Er sei einer der Ersten, der akzeptiere, dass die aktuelle Elf nicht mehr das Niveau von der WM 2018 habe, als die Belgier ins Halbfinale gekommen waren. Doch wenn es für die Spitze nicht reiche, müsse man zumindest alles geben und die Aufgaben erfüllen – was einige nicht getan hätten. Dies sei „inakzeptabel“. Was er meine? Das habe er in der Halbzeit klargemacht. Öffentlich werde er nichts sagen, er sei keine 18 mehr, zürnte der 33-Jährige.

Als der frühere belgische Nationalspieler Gilles De Bilde einwarf, dass das von Tedesco favorisierte hohe Pressing immerhin in der Anfangsphase funktioniert habe, fuhr De Bruyne ihn an, „taktisch nicht die richtigen Fragen“ zu stellen. Man stehe „mit zu vielen Spielern hinten drin“, klagte der Mittelfeldchef. Dadurch gebe es keine Verbindung nach vorn, nicht einmal in der zweiten Halbzeit sei das der Fall gewesen, als man zurücklag. „Es ist, wie es ist“, sagte der resignierte De Bruyne. Immer wieder rieb er sich die Augen.

De Bruyne ist der letzte Vertreter der WM-2018-Generation

De Bruynes Fundamentalkritik, die den Eindruck hinterließ, dass die Spieler überfordert sind, versuchte Tedesco zu relativieren. Für ihn sei De Bruyne ein Gewinnertyp, weshalb dessen Enttäuschung und Emotionalität normal seien. Ob er sich Sorgen mache, dass dieser tatsächlich abtreten könnte? „Darüber sollte man jetzt nicht reden. Alle müssen sich beruhigen“, befand Tedesco.

In der vergangenen Woche hatte De Bruyne in Aussicht gestellt, bis zur WM 2026 an Bord zu bleiben, sein Vertrag bei Manchester City läuft zum Saisonende aus. Sein letztes großes Ziel ist ein Titel mit Belgien, der ihm bisher verwehrt geblieben ist. Auf Klubebene hat De Bruyne bereits alle möglichen Pokale gewonnen. Im Duell mit Frankreich am Montag war er nun der letzte verbliebene Spieler aus der 2018er-Startelf. Die meisten seiner einstigen Weggefährten, darunter FC-Bayern-Trainer Vincent Kompany, haben ihre Karrieren beendet. Weil die nachkommenden Talente bisher eher nicht die hohen Erwartungen erfüllen konnten, stellt sich bei De Bruyne wohl eine gewisse Perspektivlosigkeit in der Nationalelf ein. Das erhöht den Druck auf Tedesco.

Seit dem EM-Achtelfinalsieg gegen Portugal 2021 hat Belgien kein Pflichtspiel gegen eine Nation gewonnen, die sich in der Weltrangliste unter den ersten 20 befindet. Trotzdem schien Tedesco die Bedeutung der aktuellen Nations-League-Runde eher zu unterschätzen. Obwohl er in seiner EM-Analyse berichtete, dass sein Team während der EM „keinen einzigen Moment der Freude verspürt“ und es auch an Stabilität gemangelt habe, verzichtete er auf die Nominierung mehrerer bekannter Routiniers – um Platz für neue Spieler zu schaffen.

Er will im Nationalteam unter Domenico Tedesco nicht mehr spielen: Real-Keeper Thibaut Courtois. (Foto: Pablo Garcia/AP)

Dazu kam das Zerwürfnis zwischen Tedesco und Thibaut Courtois (Real Madrid), einem der besten Torhüter weltweit. Tedesco hatte Courtois gegen sich aufgebracht, indem er ihm in einem für diesen persönlich wichtigen Spiel vor einem Jahr die Kapitänsbinde untersagt hatte – zugunsten von Romelu Lukaku und in Abwesenheit von De Bruyne. Courtois reiste beleidigt ab, Tedesco machte die Sache publik. Seitdem bestritt der 32-Jährige kein Spiel mehr für die Nationalelf und kündigte kürzlich an, unter Tedescos Leitung nicht zurückzukehren. Zuvor hatte Sportdirektor Vercauteren in Absprache mit Tedesco Kontakt zu Courtois aufgenommen. Sein Nachfolger Koen Casteels, angestellt beim Saudi-Klub Al-Qadisiyah, ist ein solider Rückhalt, kommt aber nicht an die Klasse des eitlen Vorgängers heran.

Die Pointe lieferte nun der von Tedesco durchgehend gestärkte Stürmer Lukaku. Der bat seinen Trainer, ihn für diesen Länderspielblock nicht zu nominieren – weil er sich laut Tedesco dafür nicht in der richtigen Verfassung wähnte. Der 31-Jährige war erst kurz vor Transferschluss zur SSC Neapel gewechselt, nachdem der FC Chelsea keine Verwendung mehr für ihn gefunden hatte.

Die Probleme des Teams versinnbildlichen die Querelen im belgischen Verband. In seiner seit Februar 2023 währenden Amtszeit hat Tedesco etwa mit drei verschiedenen CEOs zusammengearbeitet, ein vierter dürfte nach dem soeben erfolgten Rauswurf von Piet Vandendriessche bald folgen. Um die sportliche Kompetenz zu erhöhen, kam gleichzeitig mit Tedesco der in Russland lebende und früher dort auch trainierende Sportdirektor Vercauteren, 67, ehemals erfolgreicher Nationalspieler. Auch Tedesco coachte einst zwei Jahre Spartak Moskau. Vercauterens Vertrag läuft zum Jahresende aus und wird nicht verlängert. Den Verlust bedauerte Tedesco, dessen eigener Kontrakt schon vor der EM überraschend bis zur WM 2026 verlängert wurde.

Die Entwicklungen im belgischen Verband dürften auch von Kevin De Bruyne beeinflusst werden. Nach seiner Unterredung mit Vercauteren schritt er auf den Platz zurück und unterhielt sich mit Frankreichs Kylian Mbappé. Der klopfte ihm auf die Schulter und flüsterte ihm ein paar aufmunternde Worte zu – vielleicht, dass er noch nicht im Nationalteam aufhören soll.

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