Wücks Start als Nationaltrainer:Erstmal etwas riskieren

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Zutrauen, Vertrauen und Kommunikation: Der neue Trainer der DFB-Frauen, Christian Wück, war auch deshalb zufrieden, weil diese merken konnten, „dass wir keinen Quatsch erzählen, sondern versuchen, ihnen zu helfen“. (Foto: Paul Terry/dpa)

Bundestrainer Christian Wück beginnt seine Amtszeit mit einem spektakulären 4:3-Sieg gegen England im Wembley-Stadion. Bei den Spielerinnen scheint der mutigere neue Stil gut anzukommen.

Von Anna Dreher, London

Die Pressekonferenz war bereits beendet, da wollte Christian Wück noch etwas sagen. Es schien wichtig zu sein. „Mir wurde zugeflüstert“, sagte der Bundestrainer, „dass Sarina Wiegman morgen Geburtstag hat.“ Die englische Fußball-Nationaltrainerin war zwar nicht mehr im Saal, sie hatte ihre Eindrücke schon zu Protokoll gegeben zum eben beendeten Länderspiel im Wembley-Stadion, das die Deutschen 4:3 gewonnen hatten. Wück kannte Wiegman auch erst seit diesem Tag persönlich. Aber er schickte ihr trotzdem eine mündliche Grußkarte mit Schleife: „Ich wünsche ihr natürlich für morgen einen wundervollen Geburtstag, sie soll sich nicht die Laune verderben lassen von diesem Ergebnis.“

Viel Gesundheit und viel Zeit mit der Familie gab Wück seiner Kollegin noch für ihr neues Lebensjahr mit auf den Weg, viel Erfolg auch, allerdings nur bis zum nächsten Wiedersehen, eh klar. Wer Wiegman diese Wückwünsche nun überbringen sollte, sagte der 51-Jährige nicht mehr. Er verabschiedete sich mit einem Nicken und lächelte nach einem anstrengenden, aufwühlenden Arbeitstag. Hätten auf den tribünenartig angeordneten Sitzen vor den Journalisten in der ersten Reihe Wertungsrichter gesessen, sie hätten Wück sicherlich auch eine gute B-Note für eine gelungene Präsentation angezeigt. Nachdem zuvor schon die A-Note gestimmt hatte bei seinem Debüt auf einem der renommiertesten Trainerposten des Landes.

Deutsches Frauen-Nationalteam
:Ein Spektakel in Wembley zur Premiere

Christian Wück gewinnt sein erstes Spiel als Bundestrainer im Wembley-Stadion 4:3 gegen England. Bei der Aufstellung muss er mehr verändern als geplant, sein mutiger Offensivfußball beschert ihm ein wildes Debüt.

Von Anna Dreher

Es hatte viele Fragen rund um diesen Abend gegeben, zur ersten Aufstellung, zur Spielweise, zum Auftritt ganz allgemein. Manche sind offen geblieben, manche beantwortete Wück mit einem Punkt, andere mit einem Ausrufezeichen. Die wichtigen Antworten aber, und der Bundestrainer wollte das verstanden wissen, hatte nicht er gegeben. „Wir dürfen jetzt nicht den Fehler machen, das alles auf mich oder auf das Trainerteam oder auf den Neuanfang zu schieben“, sagte er zu Beginn der Pressekonferenz. „Umgesetzt haben es die Spielerinnen ganz alleine. Auch die, die eingewechselt wurden und die, die heute nicht zum Einsatz kamen.“

Dass in dieser Woche etwas passiert ist, seit sich das Nationalteam der Frauen am Montag erstmals in dieser Konstellation mit Wück als Chefcoach sowie Maren Meinert und Saskia Bartusiak als Assistenztrainerinnen versammelt hatte, war nicht zu übersehen. Trotz nur weniger gemeinsamer Einheiten und trotz eines Umbruchs, nachdem dieses Jahr gleich vier Führungsspielerinnen zurückgetreten und neue Trainer angetreten sind, trotz der Absagen von Etablierten, die angeschlagen oder verletzt fehlen, hatten die Deutschen derart eindrucksvoll mutigen, gierigen und dynamischen Offensivfußball gezeigt, als gäbe es all diese Einschränkungen nicht. Gegen den Europameister England. Im mit fast 48 000 Menschen gefüllten Wembley-Stadion.

„Er fährt einen Ansatz, der vielleicht etwas risikobehafteter ist, aber sehr mutig ist“, sagt Giulia Gwinn

Auch die in der zweiten Halbzeit nach und nach vollzogenen Wechsel, insgesamt waren es sechs, brachten keinen größeren Bruch im Spiel. Es wirkte ein bisschen so, als hätten Wück, Meinert und Bartusiak eine Wunderkerze angezündet, die auf dem Rasen mit lauter kleinen Feuerwerken zischte und funkelte. Hinter Wücks Antwort auf die Frage nach seiner Fußballidee stand jedenfalls ein Ausrufezeichen.

In diesem Spiel, als Neuauflage des EM-Finals von 2022 am selben Ort emotional zusätzlich aufgeladen, passierte so viel, dass man leicht den Überblick verlieren konnte. Schon die Stichwortliste gerät lang: Drei Elfmeter, drei aberkannte Abseitstore, Pfosten- und Lattenschüsse, ein Patzer von Torhüterin Ann-Katrin Berger, als sie den Ball nach eine Flanke einfach fallenließ. Giulia Gwinn, Kapitänin an diesem Abend, erzielte das 0:1 und 0:2, Klara Bühl erhöhte, Georgia Stanway brachte England wieder auf 2:3 heran, womit übrigens alle fünf Tore zu dem Zeitpunkt durch Spielerinnen des FC Bayern erzielt wurden. Sara Däbritz traf wiederum zum 4:2, ehe Lucy Bronze Bergers Fauxpas ausnutzte. Aber überhaupt: Eine 3:0-Führung nach einer halben Stunde, was ging dem Bundestrainer da durch den Kopf? „Es läuft“, erzählte er später. „Das war das erste Gefühl nach dem 3:0.“

Giulia Gwinn, hier bei ihrem Treffer zur 2:0-Führung, überzeugte gegen England wie ihre Mitspielerinnen mit viel Zug zum Tor und starken Abschlüssen. (Foto: Zac Goodwin/dpa)

Zutrauen, Vertrauen und Kommunikation sind die drei Schlagworte für Wück, die auch schon in den Wortschatz seiner Spielerinnen übergegangen sind, und alle drei scheinen bei seiner Premiere gegriffen zu haben. Debütantin Giovanna Hoffmann wirbelte im Angriff direkt auffällig, Spielmacherin Linda Dallmann nutzte die Bühne, um zu zeigen, was für eine feine Kickerin sie ist – um nur zwei Beispiele zu nennen. „Er fährt einen Ansatz, der vielleicht etwas risikobehafteter, aber sehr mutig ist“, sagte Gwinn zum Stil des neuen Trainers. „Wir hatten schon die ganze Woche einen guten Vibe. Alle haben gebrannt. Jede Spielerin war bereit, den Mut zu fassen.“ Gerade in der Defensive unterscheide sich Wücks Herangehensweise von Vorgänger Horst Hrubesch, „dass wir nicht diesen Sicherheitsfußball spielen und gefühlt immer fünf Spielerinnen hinter dem Ball haben wollen“. Das, so war herauszuhören, hat die Spielerinnen überzeugt.

Ohne den Ergebnisdruck der vergangenen Monate – geprägt von der Qualifikation für die EM 2025 sowie den Olympischen Spielen – wirkten die Deutschen befreiter. Und vielleicht hatte Wück seinen Fußballerinnen auch in der richtigen Dosis die richtigen Dinge mitgegeben. Viele Seitenverlagerungen, schnelles Umschalten, Positionen halten, Räume nutzen, das wollte Wück sehen – und sah eine weitgehend stringente Umsetzung. „Es ist wichtig, dass die Spielerinnen merken, dass wir keinen Quatsch erzählen, sondern versuchen, ihnen zu helfen“, sagte er. „Wir wollen der Mannschaft dieses Selbstvertrauen geben, dass nur wir uns selbst schlagen können.“ Damit sprach er all jene Situationen an, die auch zu Toren der Engländerinnen führten. Die gewagtere Ausrichtung der Defensive bei fehlender Eingespieltheit hatte ihren Preis. Aber es war eben auch erst Spiel Nummer eins.

Nia Künzer, die als Sportdirektorin für Frauenfußball beim Deutschen Fußball-Bund den Bundestrainer-Posten besetzt hat, war erleichtert, dass das neue Kapitel so unterhaltsam und erfolgreich begonnen hat. Aber natürlich geht es darum, wie gut sich diese Geschichte jetzt fortsetzt, nach dem Auf und Ab der vergangenen Jahre. „Sie wissen ja selbst, dass das Thema Kontinuität uns schon länger begleitet, da wollen wir an heute Abend anknüpfen“, sagte Künzer. „Das ist auf jeden Fall schon ein gutes Gefühl, so zu starten. Wir haben uns bestimmte Meilensteine vorgenommen und sicherlich war dieses Spiel einer der ersten, sozusagen. Aber wir haben noch einen Weg zu gehen.“

Dieser Weg geht schon am Montag (18.10 Uhr, ZDF) in Duisburg gegen Australien weiter. Wieder mit Veränderungen: Sara Däbritz und Sydney Lohmann mussten angeschlagen abreisen, Lina Magull wurde nachnominiert. Und wie ernst es ihm ist, betonte der Bundestrainer zur Sicherheit vorher noch. Denn dass dieser Abend auch das Abschiedsspiel der langjährigen Kapitänin Alexandra Popp ist, „machen wir natürlich sehr gerne“, sagte Christian Wück. „Aber für mich und für die Mannschaft dient das Spiel, um die nächste Entwicklung zu machen.“ Und da gilt es, keine Zeit zu verlieren.

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