Nationalspieler Mario Götze:Turbo-Kapitalismus im Reihenendhaus

Vor dem Spitzenspiel der Dortmunder beim FC Bayern rückt erneut Mario Götze in den Fokus. Die Begehrlichkeiten um den Nationalspieler nehmen surreale Formen an, seine Familie versucht den Hype zu bremsen. Es geht auch um die Frage, ob Borussia Dortmund bereits ein "großer Verein" ist.

Freddie Röckenhaus, Dortmund

Die Szene ist immer die gleiche, nach jedem Spiel. In den Mixed-Zonen der Stadien, in denen Borussia Dortmund spielt, recken sich Mikrophone und Aufnahmegeräte in eine Richtung, als wolle gleich die Bundeskanzlerin den Austritt Deutschlands aus der Euro-Zone bekanntgeben.

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Begehrt, immer mehr: Mario Götze (rechts).

(Foto: AFP)

Vor der Phalanx steht dabei nur ein verschmitzt und freundlich lächelnder junger Mann, der Fragen gern mit interessanten Gegenfragen erwidert, mit der Rhetorik eines Vorsitzenden einer politischen Jugendorganisation: Mario Götze, gerade 19, und zufällig einer der talentiertesten deutschen Fußballer der Gegenwart. Weshalb der groteske Hype um ihn kaum aufzuhalten ist.

Keiner scheint das zu wollen, aber die Geschichte hat ihre Eigendynamik. "Wenn ich dem Spiel von Mario und der Mannschaft zusehe", bringt es Götzes Vater Jürgen auf eine Formel, "dann freue ich mich unheimlich. Aber alles andere drumherum macht mir Angst."

Marios Vater ist Professor für Informations- und Datentechnik mit Forschungsschwerpunkten wie "numerische lineare Algebra" oder "parallele Algorithmen". Vor gut 14 Jahren bekam Jürgen Götze einen Ruf an die Universität Dortmund. Und im Gepäck brachte die Familie auch den damals knapp fünfjährigen Mario mit nach Dortmund. Ein Zufall des Lebens.

Professor Götze war Anfang der neunziger Jahre als Wissenschaftlicher Assistent auch an der TU München tätig, den Rest kann man sich ausrechnen. Da Jürgen Götze Hochschullehrer ist, wird ihm wohl mehr als anderen Fußballer-Vätern eine beherrschende Rolle zugetraut. Manche sagen, das stimme so nicht. Er sei einfach nur intelligenter als die meisten Väter von talentierten Fußballern.

Die Begehrlichkeiten und das Gespinst aus Spekulationen um diesen hochbegabten Fußballer nimmt unterdessen ziemlich surreale Formen an. Dabei versichert Marios offizieller Berater Volker Struth, dass in all dem "nicht so viel Temperatur" sei, wie oft geschrieben werde. "Es gibt keine offiziellen Angebote, schon deshalb, weil ich mit niemandem überhaupt spreche. Ich habe dem BVB mein Wort gegeben, dass es keinerlei Gespräche mit anderen Vereinen gibt."

Ganz unrecht kann es dem Berater Struth allerdings nicht sein, dass sich die Medien in England, Spanien und Italien im üblichen Überbietungs-Wettbewerb befinden, um immer neue Mitbieter zu zitieren, im Gerangel darum, wer den jungen Spielmacher denn einmal übernehmen wird; ob erst zum Vertragsende 2014 oder schon früher, jedenfalls gegen eine astronomische Ablösesumme. Im Moment scheint es, als müsse jeder Scheich, Öl-Tycoon oder Bau-Magnat sich über Götze äußern: Ich will ihn auch! Ich biete mit! Ich bin der Größte!

Professor Götze ist froh, dass Sohn Mario eine "gesunde Ignoranz" diesen Dingen gegenüber habe. In einer Beurteilung scheinen sich BVB-Manager Michael Zorc, Berater Volker Struth und Marios Vater einig zu sein: "Mario will einfach nur kicken und sonst erstmal gar nichts." Fast wortgleich sagen das alle drei.

Bodenständig und vernünftig

Aber für Zorc und Borussia Dortmund stellen sich manche Fragen dennoch ganz anders als für den Weltstar in spe und seine beiden Berater. Der Trubel um Götze heizt sich an der Frage auf, dass Dortmund eben kein sogenannter "großer Verein" sei. Es sei so etwas wie ein Naturgesetz, dass im Fußballgeschäft ein Klub wie der amtierende Meister keinen Anspruch erheben könne, einem wie Mario Götze, der seit zehn Jahren beim BVB spielt, eine angemessene Plattform zu bieten. Von der Bezahlung ganz zu schweigen. Investoren wie Chelseas Abramowitsch haben den Fußball zum Versuchslabor des Turbo-Kapitalismus gemacht.

Dabei spielt Götze nicht für Taschengeld. Derzeit soll der Jung-Nationalspieler allein mit seinem zehnjährigen Werbevertrag mit Nike etwa 1,5 Millionen pro Jahr verdienen. Dazu soll er inzwischen auch beim BVB zu den Spitzenverdienern gehören, mit über zwei Millionen Euro Jahressalär. BVB-Manager Zorc will sich dazu nicht äußern, sagt aber: "Wir haben unsere Gehaltshygiene bisher eingehalten. Aber jeder unserer Spieler ist auch daran interessiert, dass Mario weiter bei uns spielt. Davon haben alle etwas."

Soll wohl heißen, dass Dortmund den Kampf nicht kampflos aufgeben wird. Hinter den Kulissen wird ausgelotet, welches Gehalt man mit Hilfe von Sponsoren stemmen könnte, um Götze langfristig zu halten. Zorc sagt auch: "Ein Spieler wie Mario wird am Ende seiner Karriere so oder so genug verdient haben. Das kommt von allein."

Die Frage nach dem "großen Klub", zu dem sein Sohn angeblich unvermeidlich streben müsse, beantwortet Jürgen Götze im Stile eines Mathematikers: "Wenn ich mir die deutsche Tabelle und die englische anschaue, dann ist derzeit die Wahrscheinlichkeit, dass Arsenal sich in der nächsten Saison für die Champions League qualifiziert, wesentlich geringer als beim BVB.

Im Moment stellt sich das mit dem großen Klub also andersherum dar." Arsenal buhlt derzeit am konkretesten um Götze. Marios Aussage, seine Karriereplanung sehe regelmäßige Einsätze in der Champions League vor, dürfe "nicht zu der beinahe automatischen Folgerung führen", dass er das nicht auch in Dortmund tun könne. Sagt Vater Götze.

Jürgen Götze wirkt im Gespräch so bodenständig und vernünftig, dass man nur schwer versteht, warum es kaum einer für möglich hält, dass Sohn Mario noch länger als ein, höchstens zwei Jahre in Dortmund spielen könnte. Manche unterstellen Götze senior, "zum BVB ein sehr unsentimentales Verhältnis" zu haben.

Viele argwöhnen, dass Vater Götze seinen Sohn nüchtern beraten werde, dorthin zu gehen, wo es in kurzer Zeit sehr viel zu verdienen gebe. "Das Wichtigste", sagt hingegen Jürgen Götze, "ist für Mario, dass er spielen kann. Wenn ich zu großen Klubs gehe, gibt es da undurchsichtige Hierarchien, da weiß man nicht, was passiert. Hier in Dortmund spielt er, wenn es normal läuft, immer."

Dass die Götzes ein bisschen anders ticken könnten, als es das Fußball-Milieu von ihnen beinahe zwanghaft erwartet, verwirrt offenbar nicht nur den BVB. Marios Vater würde am liebsten bis 2014 warten, um erst dann neue Pläne zu machen. Aber wenn Dortmund schon früher Vorschläge für eine Verlängerung des Kontraktes machen würde, sei das ja legitim. "Es wäre ja komisch, wenn Dortmund ihn nicht halten wollte."

Im Reihenendhaus im beschaulichen Dortmund-Lücklemberg, wo Mario ein 45-Quadratmeter-Studio im Dachgeschoss bewohnt, reden sie über all diese Dinge angeblich so gut wie gar nicht. "Schon sehr viel über Fußball, aber nicht über all dieses Drumherum", sagt der Vater. Mario geht weiterhin ins schicke, aber preiswerte Selbstbedienungs-Restaurant Vapiano, stellt sich mit seinen alten Schulkumpels brav in der Reihe an, wird dabei kaum angesprochen und kann ein erstaunlich normales Leben leben, im Glanze stiller Bewunderung. Das scheint ihm als Lebensqualität auch etwas wert zu sein.

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