Nationalspieler:Bitte nicht einknicken, Thomas Müller

Italien - Deutschland

Es ist wirklich wunderbar, dass Thomas Müller die Mauer der Konformität durchbricht.

(Foto: dpa)

Es ist wunderbar, dass der Nationalstürmer kontroverse Meinungen äußert, selbst wenn er dafür Gegenwind bekommt. Der Fußball verkommt sonst zu einer gleichförmigen verbalen Suppe.

Kommentar von Martin Schneider

Irgendwann im April dieses Jahres sah es so aus, als würde Thomas Müller einknicken. Er stand in München vor den Mikrofonen, gerade war das erste Testspiel des Jahres gegen Italien zu Ende gegangen und Müller sagte: "Ich habe mal wieder feststellen müssen, dass man mit der Wahrheit in Deutschland nicht so weit kommt. In Zukunft werde ich mich wieder zurückhalten, mir eine kleine Notlüge ausdenken, dann läuft es vielleicht besser für mich in den nächsten zwei Tagen."

Damals hatte er nach einem Freundschaftsspiel gegen England gesagt, dass man sich dabei "ertappt, dass man vielleicht den einen oder anderen Schritt ohne Ball zu wenig macht." Und dass Freundschaftsspiele "nicht den ganz großen Wert" haben. Die Aufregung war in manchen Teilen, Blättern und Internetseiten der Republik groß. Muss er ein Länderspiel nicht ernster nehmen? Gerade gegen England? Er wird schließlich bezahlt!

Fußballer haben irgendwann einfach aufgehört, ihre Meinung zu sagen

Die gute Nachricht: Thomas Müller ist nicht eingeknickt. Er sagt immer noch zuweilen ehrlich, was er denkt, auch wenn er seine Meinung dafür um die Ohren gehauen bekommt - wie jetzt mit seiner Frage, ob so ein Länderspiel gegen San Marino "unbedingt nötig" sei. Und obwohl das aus seiner Sicht in der Situation, in der er es gesagt hat (ein nasser Kellergang in Serravalle nach einem 8:0 gegen einen überforderten Gegner), durchaus eine Frage war, die man mal stellen darf.

Dass die Reaktionen darauf so heftig waren, überraschte selbst denjenigen, der die Reaktionen hauptsächlich ausgelöst hatte. Im SZ-Interview sagte San Marinos Verbandssprecher Alan Gasperoni, er habe den Facebook-Eintrag, in dem er Thomas Müller attackierte und San Marino verteidigte, doch hauptsächlich für seine Freunde geschrieben: "Wer hätte geahnt, dass das solche Kreise zieht!"

Dass dem so ist, liegt nicht an Müller und auch nicht an Gasperoni, es liegt daran, dass Fußballer irgendwann einfach aufgehört haben, ihre Meinung zu sagen. Früher liefen Profis wie Stefan Effenberg über die Plätze der Welt, die ihre Ansichten zuweilen auch mal mit dem Körperteil zwischen Zeige- und Ringfinger verbreiteten. Mit der fortschreitenden Professionalisierung zogen aber Medienexperten in den Fußball ein. Sie rieten den Spielern, sich mit der einen oder anderen Aussage vielleicht zurückzuhalten. Wegen der Sponsoren, wegen des Images, wegen der Vorbildfunktion und weil es manchmal tatsächlich ganz sinnvoll sein kann, direkt nach dem Spiel nicht alles in die Mikrofone zu diktieren, was einem durch den Kopf geht.

Der Bundestrainer ist auf Müllers Seite

Das ist aus Vereinssicht sinnvoll, das Ergebnis war aber eine Abwärtsspirale der Gleichförmigkeit. Weniger Spieler sagten kontroverse Sachen, diejenigen, die es doch taten, bekamen mehr Aufmerksamkeit weswegen die Vereine dann zu den Spielern gingen und sagten: "Du siehst doch, was das für einen Trubel verursacht. Lass es doch."

Waren früher pro Woche fünf bis sechs fette Meinungsbarsche im Teich, ist es jetzt noch im besten Fall eine Mutmaßungs-Elritze. Auf die sich dann aber alle stürzen. Kaum mehr einer sagt etwas, dem nicht mindestens 95 Prozent der Menschen zustimmen können. Eine öde, langweilige und gleichförmige Suppe aus Müssen-uns-auf-den-nächsten-Gegner-konzentrieren und Dürfen-jetzt-nicht-nachlassen.

Man kann Müllers Aussage natürlich diskutieren, man kann auch zu dem Ergebnis kommen, dass sie nicht gut war. Dass nicht San Marino das Problem ist, sondern andere Teile des Profifußballs, vielleicht sogar sein eigener Verein. Man darf widersprechen, na und? So ist das bei Meinungen, egal ob sie in der Zeitung stehen, ob sie am Stammtisch, am Küchentisch oder in der Mixed-Zone geäußert werden. Bundestrainer Joachim Löw war auf Müllers Seite, Fifa-Präsident Gianni Infantino verteidigte San Marino. So etwas nennt sich Debatte. Und in diesem Fall war sie wohl mal nötig.

Es ist wirklich wunderbar, dass Thomas Müller die Mauer der Konformität durchbricht. Übrigens in fast jedem Interview, weswegen man sich die Müller-Interviews natürlich lieber anguckt, als andere Gespräche nach Spielschluss. Weil etwas Unerwartetes passieren kann. Weil er vielleicht etwas Lustiges sagt. Aber alles zu dem Preis, dass auch mal eine Aussage schiefgehen kann. Nach dem Italien-Spiel hat Müller angekündigt, auch in Zukunft seine Meinung zu äußern, auch wenn sie ihm um die Ohren fliegt. Er sollte das wirklich zwingend weiter tun.

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