Nationalmannschaft:Ziemlich scharf auf Gomez

Europäische Spitzenklubs wie der FC Chelsea melden Interesse an Nationalstürmer Mario Gomez an. Der traut sich sogar, seinen Vorgesetzten auszuspielen.

Christof Kneer, Palma

Da kann der VfB Stuttgart dem Deutschen Fußball-Bund aber dankbar sein! Zum Glück hatte der DFB das Vormittagstraining am Sonntag nur für 25 Minuten geöffnet, zum Glück wurden danach alle unbefugten Beobachter aus dem Innenraum des Stadions entfernt. Nicht auszudenken, wenn ein ausländischer Späher jene Szene mitbekommen hätte, über die an dieser Stelle nur dem Hörensagen nach berichtet werden kann.

Nationalmannschaft: "Ich weiß, dass ich für viele interessant bin": Mario Gomez.

"Ich weiß, dass ich für viele interessant bin": Mario Gomez.

(Foto: Foto: Reuters)

Mario Gomez hat sich offenbar mit einer geschickten Körpertäuschung dem Verteidiger entzogen und ein Tor geschossen, und es war ja nicht irgendein Verteidiger, den er da gedemütigt hatte. Es war Oliver Bierhoff! Mario Gomez hat seinen Vorgesetzten ausgespielt, und es war ihm nicht mal peinlich. Ob er keine Angst habe, dass das seiner DFB-Karriere schaden könne? "Nö", sagt Gomez, "meiner Karriere schadet das nicht, höchstens seiner. Vielleicht darf er beim nächsten Mal nicht mehr mittrainieren..."

Mario Gomez geht es wieder mal ziemlich gut zurzeit, obwohl er wieder mal nicht ganz gesund ist. Im DFB-Trainingslager auf Mallorca schleppt er gerade eine Wadenzerrung mit sich herum, nichts Großartiges, aber eben eine dieser vielen kleinen Gemeinheiten, die ihm in dieser Saison immer wieder mal zugesetzt haben. Es ist trotzdem eine großartige Saison gewesen für den Angreifer vom VfB Stuttgart, und wahrscheinlich besteht genau darin das Problem:

Dieser Gomez ist zwar immer noch erst 22 Jahre alt, aber trotzdem schon ein so fulminanter Mittelstürmer, dass keine Mannschaft auf ihn verzichten möchte - die Nationalelf nicht und erst recht nicht der VfB, der den Treffern seines Stürmers eine am Ende noch halbwegs gerettete Saison verdankt. "Wäre unser Kader etwas breiter gewesen, hätte ich in dieser Saison sicher das eine oder andere Spiel mehr pausieren können", sagt Gomez. "Oft habe ich während der Woche weniger trainiert, um dann wenigstens im Spiel Gas geben zu können." Und in seinem speziellen Fall kommt erschwerend diese Spielweise hinzu, voller Dynamik, voller Wucht, voller Tempo. Sicherheitsfußball spielen kann Mario Gomez gar nicht.

Adrenalin gegen Schmerzen

Es ist wohl das Los der Hochbegabten, dass es ohne sie nicht geht. "Und ich selbst bin halt auch so veranlagt, dass ich immer spielen will", sagt Gomez, "wenn ich im Spiel das Adrenalin spüre, dann merke ich die Schmerzen nicht mehr." Mario Gomez hat eine Spielweise, die ihn langsam aber sicher aus Stuttgart hinauswachsen lässt. Er kann spektakuläre Tore und unspektakuläre Tore, er kann Tore mit rechts, links und mit dem Kopf, und obwohl die Natur ihn eigentlich als Brecher (1,89m, 86kg) konzipiert hat, ist er in seinem Leben schon an Verteidigern vorbeigedribbelt, die noch besser waren als Oliver Bierhoff.

Ziemlich scharf auf Gomez

Bis 2012 steht Gomez in Stuttgart noch unter Vertrag, aber niemand geht davon aus, dass er diesen Vertrag erfüllt. "Ich habe immer gesagt, dass ich mal ins Ausland will, und das wird auch so kommen", sagt Gomez, "aber ob das in zehn, fünf oder zwei Jahren der Fall sein wird, kann ich nicht sagen."

In zehn Jahren geht er vielleicht nach Katar, um seine Karriere ausklingen zu lassen, aber ins richtige Ausland geht er eher früher als später. Schon vor einem Jahr bot Juventus Turin den Stuttgartern 24 Millionen, der VfB lehnte ab. Auch in der abgelaufenen Saison saßen die Späher bei jedem Heimspiel dicht gedrängt auf der Tribüne, und es waren keine Späher aus Newcastle, Getafe oder Udine. Es waren Späher von Real Madrid und dem FC Barcelona, von Juventus Turin, Inter Mailand und dem FC Chelsea, und vor allem der Ballack-Klub ist gerade ziemlich scharf auf Gomez.

Furcht vor Barca oder Real

Am ohnehin wechselwilligen Didier Drogba haben sie in London endgültig die Lust verloren, seit der sich in der Verlängerung des Champions-League-Finales fahrlässig einen Platzverweis einfing und somit als Elfmeterschütze ausfiel. Allerdings tendiert der spanischstämmige Schwabe eher Richtung Spanien, und in Stuttgart fürchten sie schon den Moment, in dem Real oder Barcelona ernsthaft vorstellig werden.

Es wäre der Moment, in dem der VfB endgültig eine Haltung zu einem Wechsel entwickeln müsste. Die Stuttgarter Verantwortlichen haben keineswegs den Ehrgeiz, diesem loyalen Spieler die Zukunft zu verbauen, und sie wissen, dass sie im Fall der Fälle 30 oder 40 Millionen überwiesen bekommen, eine Transfersumme, wie sie noch nie ein deutscher Klub kassiert hat - aber genauso wissen sie, dass sie garantiert keinen Nachfolger finden werden, der so gut ist wie Gomez.

Seit Michael Ballack hatte der DFB keinen Spieler mehr, der auf dem internationalem Markt derart prominent platziert war. "Ich weiß, dass ich für viele interessant bin", sagt Mario Gomez, aber was die Zukunft angeht, hat er sich auf Mallorca ansonsten eine strenge Schweigepflicht auferlegt. Er weiß ja, dass er sich keine Sorgen um seine Zukunft machen muss, er fühlt sich nicht unter Druck. "Mein Stellenwert in der Nationalelf hat sich nicht groß verändert", sagt er brav, und dass er für das anstehende Turnier "keine Forderungen" stellt.

Er weiß, dass er die Europameisterschaft als Karrieremacher nicht zwingend braucht, weil Klubs dieser Kragenweite ihre Personalpolitik nicht unbedingt von einem Turnier abhängig machen. Viel eher wird es darauf ankommen, welche Trainer künftig den Sport bei Barcelona, Chelsea oder Inter verantworten werden (geht José Mourinho etwa zu Inter, dann dürfte ihm sein Lieblingsschüler Drogba sofort nachfolgen). Und natürlich werden die jeweiligen Trainer auch darauf achten, welcher Stürmer der neuen Generation bei der EM am meisten glänzen kann: der Spanier Torres? Der Franzose Benzema? Der Holländer Huntelaar? Der Deutsche Gomez?

Nach inoffiziellen Recherchen dieser Zeitung liegt Mario Gomez zurzeit in Führung. Er ist bisher der einzige, der sich getraut hat, seinen Vorgesetzten auszuspielen.

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