Nationalmannschaft:Titanen sitzen nicht auf der Bank

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Bundestrainer Löw droht Arsenal-Ersatztorwart Jens Lehmann mit einem vagen Ultimatum: Eine Reservistenrolle im Nationalteam.

Claudio Catuogno

Joachim Löw kann derzeit nur Gutes über Jens Lehmann berichten. Seit Mittwochfrüh stehen die beiden wieder gemeinsam auf dem Rasen, wieder in Berlin, wie damals bei der WM 2006, "und er fordert sich in jeder Trainingseinheit aufs Äußerste", sagt der Bundestrainer über den Bundestorhüter. Und weil sich Jens Lehmann offenbar tatsächlich sehr ins Zeug legt, wiederholt Löw das besser nochmal, mit drei Ausrufezeichen dahinter: "Aufs Äußerste!!!'' Soweit die gute Nachricht. Doch natürlich weiß auch Löw, dass Lehmann derzeit gar keine andere Gelegenheit hat, sich aufs Äußerste zu fordern, als in Trainingseinheiten. Die Spiele des FC Arsenal muss der 37-Jährige ja von der Bank aus verfolgen. Und genau das ist das Problem.

Jens Lehmann: Ist seine Rolle als Nationaltorwart in Gefahr? (Foto: Foto: dpa)

Darf ein, pardon, Ersatztorhüter das Tor der Nationalmannschaft bewachen? In einem Land, das sich im wichtigsten Gehäuse der Nation bisher mindestens einen Titan geleistet hat? Dieses Thema ist natürlich allemal eine hitzige Debatte wert. Es sind noch acht Monate bis zur EM in Österreich und der Schweiz, und frühestens nach dem Qualifikationsspiel gegen Irland am Samstag (20.45 Uhr/live in der ARD) - mit Lehmann im Tor - sind die Deutschen dafür überhaupt qualifiziert. Doch während die einstige Wackelabwehr inzwischen vor allem dank der gereiften Innenverteidiger Metzelder und Mertesacker als Prunkstück der Löw-Elf gelten darf, wird nun plötzlich die Position dahinter zur Problemzone erklärt: die des Torwarts.

Kahn: Lehmann soll dankbar sein

Es ist da nur eine Randnotiz, dass Oliver Kahn die mediale Dauerfehde der einstigen Konkurrenten gerade im Kicker mit der Bemerkung bereichert hat, Lehmann solle "dankbar sein, dass er überhaupt die Möglichkeit bekommt'', in der Nationalelf zu spielen, während er im Verein nur Ersatz ist. Denn "das gab es in der Geschichte des deutschen Fußballs noch nie'', sagt Kahn, und er meint: Schon gar nicht zu meinen glorreichen Zeiten!

Aber es braucht derzeit gar keine Frotzeleien aus München, um den Druck auf Jens Lehmann öffentlich zu erhöhen. Das kann die sportliche Leitung des DFB auch alleine erledigen - schon, weil Löw und der Teammanager Oliver Bierhoff sich diesem Thema gar nicht entziehen können, selbst wenn sie es gerne täten. Weil "seine Leistung in der Nationalelf ja immer tadellos war'', wie Löw betont. Der Bundestrainer bemühte sich am Donnerstag deshalb, möglichst unkonkret zu formulieren ("Wir brauchen und wollen natürlich immer Spieler, die eine gewisse Spielpraxis mitbringen''). Herausgekommen ist trotzdem eine Art Ultimatum: Sollte es auch Ende des Jahres noch nach einer dauerhaften Reservistenrolle in London aussehen, droht Jens Lehmann auch in der Nationalmannschaft die Degradierung.

Der Lautere oder der Bessere?

Die Personalie ist - nach dem seltsamen Spiel des FC Chelsea mit Michael Ballack - schon die zweite Überraschung aus England, auf die man beim DFB lediglich reagieren kann. "Nach der WM war für mich klar, dass wir die Etappe bis zur EM 2008 mit Jens Lehmann bestreiten, vorausgesetzt er spielt weiter auf hohem Niveau'', sagt Löw. Dass Lehmann so rasch gar nicht mehr spielen würde, nach zwei Patzern zum Saisonstart und einer Ellbogenverletzung, war natürlich nicht eingeplant. Doch seit fast zwei Monaten schenkt Arsenals Coach Arsene Wenger nun schon dem Spanier Manuel Almunia das Vertrauen, und der rechtfertigt das bisher auch. Löw will deshalb nun "die Spiele im Oktober und November abwarten und sehen, was bis dahin passiert''. Dann müsse man im Zweifel ,,ein Gespräch führen, das ist mit dem Jens so besprochen''. Lehmann selbst hat Löw allerdings versichert, er glaube fest "an einen Weg zurück ins Arsenal-Tor''. Und Lehmann habe sich schließlich immer durch "eine gute Selbsteinschätzung'' ausgezeichnet, findet der Bundestrainer.

Löw hofft also noch, dass aus seinem Torhüter am Ende doch kein Problemtorhüter wird. Und wenn doch? Bierhoff brachte bereits öffentlich einen Vereinswechsel ins Spiel, während von Valencia aus Timo Hildebrand noch halbwegs dezent seine Ansprüche anmeldete. Der ehemalige Stuttgarter hat sich bei dem spanischen Klub gegen Santiago Canizares durchgesetzt, weiß aber auch, "dass am Ende ja doch nicht der Lautere, sondern der Bessere im Tor steht''. So wie 2006 vor der WM. Damals stand plötzlich Jens Lehmann im Tor, obwohl Oliver Kahn hörbar für sich trommelte und sich in den Trainingseinheiten auch aufs Äußerste forderte.

© SZ vom 12.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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