Süddeutsche Zeitung

Fußball-WM:Diese Spieler haben nun die besten WM-Chancen

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Von Christopher Gerards, Berlin

Joachim Löw hat am späten Dienstagabend über seine Sorgen gesprochen. Also genau genommen darüber, dass er kaum welche hat. "Ich weiß, was wir können und was wir spielen können und welche Mentalität wir in der Mannschaft haben", sagte der Bundestrainer und vor allem weiß er ja, welche Vielzahl an begabten Fußballern ihm zur Verfügung stehen: Von bis zu 30 Kandidaten für die WM hatte Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff jüngst gesprochen, wobei er auch locker von 35 bis 40 Kandidaten hätte sprechen können.

Erst Mitte Mai wird Löw seinen Kader nominieren, er wird sich noch einige Bundesliga- und Premier-League-Spiele anschauen bis dahin. Doch der letzte Prä-Nominierungs-Test gegen Brasilien wird ihm schon auch ein paar Erkenntnisse gebracht haben, welche Spieler er mitnimmt zum Turnier im Sommer in Russland. Wobei sich nun ein kleiner Rundgang durch den möglichen WM-Kader anbietet.

Tor

Eine der Positionen, die Bundestrainern in diesem Land niemals, unter keinen Umständen und auf gar keinen Fall jemals Sorgen bereitet. Andererseits: In diesem Frühjahr muss Löw schon ein paar neue Überlegungen anstellen, sie betreffen Manuel Neuer. Seit Mitte September fehlt der Bayern-Torhüter wegen eines Bruchs im linken Mittelfuß, und bis zur WM ist's so lang nicht mehr hin. Am Dienstag konnte Neuer zumindest nochmal über einen Fußballplatz joggen, was sogleich als größere Nachricht durchging, er gilt ja immer noch als bester Torwart der Erde und aller Universen.

Marc-André ter Stegen wiederum, sein Ersatzmann, hat in den vergangenen Wochen und Monaten derart solide gehalten, dass er mindestens als einer der besten Torhüter Barcelonas und womöglich auch der Welt gilt. Bei der WM wird er definitiv dabei sein. Wer sonst noch mitfährt, hängt zum Teil von Neuers Genesung ab. Gegen Brasilien durfte Kevin Trapp mitspielen, hat jetzt aber ein paar zu viele stilistische Fehler (Spielaufbau) im Bewerbungsschreiben stehen. Dass er in Paris fast durchgehend auf der Bank sitzt, hilft ihm auch nicht. Bernd Leno (Leverkusen) ist die personifizierte Solidität, hat aber auch schon lange kein DFB-Tor mehr gehütet. Und Sven Ulreich (Bayern) dürfte allenfalls in Erwägung gezogen werden, sollte Manuel Neuer in Russland verhindert sein.

Außenverteidiger

Seit Ewigkeiten Löws große Sorgenposition. Am Dienstag erneuerte er seinen Anspruch, auf allen Positionen doppelt gut besetzt zu sein. Links und rechts hinten ist das so eine Sache. Mit Joshua Kimmich und Jonas Hector hat Löw zwei Leute, die er bedenkenlos gegen Teams wie Frankreich, Spanien und Brasilien (zumindest in der Regel) aufstellen kann. Aber wenn er mal wechseln muss? Wenn irgendwem die Wade zwickt? Dann ist Löw links angewiesen auf Marvin Plattenhardt von Hertha BSC, der wahrscheinlich ein WM-Ticket bekommt. Ein solider Spieler, aber halt kein Jordi Alba. Augsburgs Philipp Max, bester Vorbereiter der Bundesliga, hat noch kein Länderspiel gemacht, und es ist unwahrscheinlich, dass sich das bald ändert.

Rechts hinten wiederum gibt es schlichtweg keinen Ersatz für Kimmich, bei Bedarf müsste ein positionsfremder Spieler aushelfen - einer wie Matthias Ginter (falls er nominiert wird) oder Sebastian Rudy (falls er nominiert wird) oder Emre Can (wird ziemlich sicher nominiert). Benjamin Henrichs (Leverkusen) spielte seit dem Confed Cup nicht mehr für die A-Mannschaft.

Innenverteidiger

Relativ wenig Sorgenpotenzial für Löw. Mit Jérôme Boateng und Mats Hummels stehen ihm zwei der besten Innenverteidiger der Welt zur Verfügung. Er muss halt hoffen, dass die Bayern-Profis gut durch den April (Champions League! Pokal! Bundesliga!) kommen. Als Ersatz kommen Niklas Süle (ebenfalls Bayern), Antonio Rüdiger (Chelsea) und womöglich Matthias Ginter (Gladbach) in Frage. Benedikt Höwedes kann, siehe WM 2014, auch links hinten helfen - hat aber, auch aufgrund von Verletzungen, lange keine Einladung zum DFB-Team mehr erhalten. Shkodran Mustafi kann, siehe WM 2014, auch rechts hinten helfen - hat aber, auch aufgrund von mäßigen Leistungen, lange keine Einladung zum DFB-Team mehr erhalten.

Zentrales Mittelfeld

Löws größte Sorge dürfte nicht die Nominierung an sich sein, sondern die Frage, wen er neben wem aufstellt. Gegen Brasilien begannen Ilkay Gündogan und Toni Kroos, zwei Spieler aus dem Ressort Strategie, nicht aus dem Ressort Wellenbrecher. Vor allem Gündogan patzte hier und da mit Fehlpässen und reichte so ein Empfehlungsschreiben für Sami Khedira ein. Der ist zwar technisch nicht so begabt wie die beiden Konkurrenten, gehört aber zu den Spielern, die qua Laufvermögen und Stellungsspiel den Innenverteidigern einen ruhigen Arbeitstag bescheren können.

Leon Goretzka wiederum (noch Schalke), gegen Brasilien auf einer halbrechten Offensivposition eingesetzt, wird wohl mit zur WM fahren - auch nach seiner starken Leistung beim Confed Cup (und eher nicht wegen seiner Leistung gegen Brasilien). In der Startelf dürfte er sich aber - Stand jetzt - selten finden. Sebastian Rudy findet sich beim FC Bayern gegenwärtig oft auf den Positionen Bank oder Tribüne, das weiß auch Joachim Löw. Andererseits bringt Rudy den Vorteil mit, dass er hinten rechts aushelfen könnte. Emre Can (Liverpool) wiederum hat weniger strategische Qualitäten als Kroos und Gündogan und wohl auch als Khedira. Allerdings kann er mit seiner sehr englischen Spielweise Fähigkeiten (Laufen, Kämpfen) einbringen, die andere Spieler nicht derart ausgeprägt besitzen.

Offensives Mittelfeld/Außenangreifer

Auch eher eine Position aus der Kategorie "Luxussorgen". Sicher mit zur WM nehmen wird Löw jene Spieler, die er gegen Brasilien geschont hat: Thomas Müller und Mesut Özil. Auch Julian Draxler, obwohl kein Stammspieler in Paris, dürfte dabei sein, genau wie Leroy Sané von Manchester City - auch wenn dieser seine Fähigkeiten in der Nationalelf gern mal versteckt. Daneben gibt es vier bis fünf weitere Kandidaten: Leverkusens Julian Brandt, der gegen Brasilien dabei war. Und die Dortmunder Marco Reus, André Schürrle und Mario Götze. Reus dürfte von den vier Spielern die größten Chancen haben, sofern ihm nicht irgendein Problem an der Syndesmose, der Wade oder sonstwo dazwischen kommt.

Schürrle und Götze suchen mehr oder weniger ihre Form, bringen aber gegenüber Brandt den Vorteil mit, dass sie bewiesen haben, bei einer WM recht hilfreich sein zu können. Beim Confed Cup wuselte Amin Younes ab und an über den linken Flügel. Derzeit wuselt er als suspendierter Profi durchs Training der zweiten Mannschaft von Ajax Amsterdam. Eine geeignete Referenz für die WM ist das eher nicht.

Sturm

War im löwschen Denken lange das offensive Äquivalent zur Außenverteidiger-Position: Ständig fahndete Löw nach einem Ersatz für Miroslav Klose. Inzwischen vertraut Löw Leipzigs Timo Werner, wenngleich dieser auch nicht die Rückrunde seiner Karriere spielt. Als Ersatz in Frage kommen Mario Gomez (Stuttgart) und/oder Sandro Wagner (Bayern), zwei andere Stürmer-Typen als der schnelle und konterstarke Werner. Beide definieren sich als klassische Stürmer, wuchtig, kopfballstark, zu Hause im Strafraum. Aber weil beide einander sehr ähnlich sind, könnte es sein, dass Löw nur einen von ihnen mitnimmt. Lars Stindl hingegen ist deutlich spielstärker - wartete zuletzt aber noch länger auf ein Bundesliga-Tor als Timo Werner. Auch für den Gladbacher könnte es sehr knapp werden.

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