Nationalmannschaft:Schweinsteigers letzte Luft

Germany - Training & Press Conference

Scho' au' eine Lebensleistung: Bastian Schweinsteiger im Training vor seinem 121. Länderspiel. Danach wird Schluss sein.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Abschiedsspiele waren zuletzt aus der Mode gekommen, für Bastian Schweinsteiger gibt es eine Ausnahme. Es ist auch eine Verneigung vor seiner unverfälschten Art.

Von Philipp Selldorf, Düsseldorf

Viele Leute, die Bastian Schweinsteiger über all die Jahre bei der Nationalmannschaft erlebt haben, nennen ihn immer noch "Schweini". Aus Gründen der Hochachtung tun sie es jedoch nur dann, wenn er garantiert nicht zuhört. Den Schweini, dieses unreife Frühwesen, hat er schon vor vielen Jahren abgelegt, ungefähr in der Zeit, als die Wandlung vom freischaffenden Talent zum designierten Starspieler vorankam.

Über den Zeitpunkt könnten die Chronisten einen Historikerstreit starten, aber zu den schlüsselhaften Ereignissen zählt sicher die Europameisterschaft 2008 und der Platzverweis, den er sich im verlorenen Vorrundenspiel gegen Kroatien einhandelte. Selbst der im Allgemeinen verständnisvolle Bundestrainer schloss sich der öffentlichen Kritik an.

Schweinsteiger hatte trotz eigenbrötlerischer Anwandlungen im DFB viele Freunde

Schweini schmollte ein wenig - und kehrte als Schweinsteiger ins Turnier zurück. Gerade rechtzeitig machte er im Viertelfinale gegen Portugal (4:2) sein bis dahin bestes Länderspiel, es war bereits Nummer 57, und das im Alter von 24 Jahren. Ein paar Monate später fungierte er bereits als Kapitän der Nationalmannschaft, einstweilen noch aushilfsweise, aber der Anfang zur Karriere einer künftigen Fußballer-Legende war gemacht.

Die Kapitänsbinde habe er "mit Würde" getragen, witzelten damals Mitglieder der DFB-Crew: Schweinsteiger war einfach so verdammt stolz auf das Stück Stoff um seinen Arm. Man hat sich ja hin und wieder ein bisschen über ihn amüsiert, aber meist auf die liebevolle Art. Trotz gelegentlich eigenbrötlerischen Anwandlungen hat Schweinsteiger im Kreis des DFB viele Freunde gehabt.

Am Dienstag um zwölfuhrdreißig saß nun jener Bastian, vormals Schweini, Schweinsteiger vor den Journalisten in Düsseldorf, um darüber zu sprechen, dass er sich am Abend des nächsten Tages im Rahmen des Testspiels gegen Finnland in Mönchengladbach aus dem Kreis der aktiven Nationalspieler verabschieden wird. Er trug Sportklamotten und ein grünes T-Shirt und machte auch sonst einen sommerlichen und ungezwungenen Eindruck.

Formell steht er weiterhin als Profi bei einem Spitzenklub unter Vertrag, und man darf davon ausgehen, dass ihn Manchester United, einer der reichsten und größten Vereine der Welt, weiterhin nach typisch englischer Sitte bestens bezahlt. Aber man könnte trotzdem meinen, dass er im Berufsleben als Fußballer zurzeit eine kleine Pause einlegt. Nach der EM hat er sich erst dem Heiraten und dann dem Urlaub gewidmet, fürs Training scheint ihm nicht viel Zeit geblieben zu sein - umso weniger, nachdem ihn Manchesters Machthaber José Mourinho hat wissen lassen, dass er auf seine Dienste bis auf Weiteres verzichten möchte.

Aufhören will er noch nicht

Schweinsteiger trainiert nun mit der zweiten United-Mannschaft, dies offenbar eher nebenbei. Wie lange er im Abschiedsspiel durchzuhalten vermag, das wagt Schweinsteiger nicht zu bemessen, wie er fröhlich zugibt. "Man muss sehen, wie lang die Luft hält - ich hoffe, dass es ein paar Minuten sind", sagte er.

Die Umwidmung des Testspiels zum "Abschiedsspiel" läuft, streng genommen, den Richtlinien des Verbandes zuwider. Abschiedsspiele hat der DFB eigentlich abgeschafft, Ausnahmen wurden im 21. Jahrhundert lediglich zu Ehren von Rekordnationalspieler Lothar Matthäus und von Oliver Kahn gemacht. Die Weltmeister Philipp Lahm, Per Mertesacker und Miroslav Klose hat man nach dem Turnier mit Blumensträußen in den DFB-Ruhestand geleitet, was nicht bedeutet, dass sie weniger wertgeschätzt wurden als Schweinsteiger, für den nun ein ganzer Abend reserviert ist. Sicher wäre es auch falsch, von einer Vorzugsbehandlung zu reden.

Die spärliche Kulisse in Gladbach stört Schweinsteiger nicht

Trotzdem passt es ins Bild, dass er jetzt ein Stückchen herausgehoben wird, es ist auch eine Verneigung vor seiner unverfälschten Art, dass er noch einmal im Mittelpunkt stehen wird. "Ich freue mich, dass ich überhaupt die Chance auf so ein Abschiedsspiel bekomme", sagte er, um eine Laudatio auf seine Gastgeber folgen zu lassen: "All die wunderbaren Jahre, die familiäre Atmosphäre beim DFB, die Teamkameradschaft - als kleiner Junge träumt man davon. Das macht mich stolz." Dass ihn bei seinem 121. Einsatz für DFB und Heimatland in Mönchengladbach eine recht spärliche Kulisse erwartet, das mindert nicht seine erhabene Stimmung. "Ich freue mich auf morgen Abend und über jeden einzelnen Zuschauer", sagte er, "ich weiß, das Stadion wird nicht voll sein, aber es wird eine gute Atmosphäre geben."

Die anschließende Reise nach Oslo zum WM-Qualifikationsspiel wird er nicht mehr mitmachen. "Ich habe zwar Lust, Fußball zu spielen, aber ich glaube, der Zeitpunkt ist gekommen, dass andere Spieler die Chance bekommen sollen", sagt er. Ans Aufhören denkt er jedoch nicht, des Fußballs sei er in all den Jahren niemals überdrüssig gewesen ("ich liebe einfach diesen Sport").

An dieser Stelle bekommt seine Rede allerdings einen etwas bitteren Unterton, denn Schweinsteiger ist zwar einerseits ein Profi, der sich seines Marktwerts bewusst ist und die Regeln der Branche kennt, weshalb er brav vortäuscht, er träume immer noch davon, für Manchester United in der Premier League zu spielen. Andererseits musste er auch erleben, nicht zuletzt beim Weggang vom Münchner Heimatverein, dass das Gewerbe mit ihm nicht immer so liebenswürdig umgegangen ist wie Jogi Löw beim DFB: "Das Fußballgeschäft ist auch ein hartes Business, es ist leider nicht nur Sport."

Demnächst wird man ihm wohl in den USA, in New York oder in Los Angeles, zuschauen können, dorthin hätte es ihn beinahe schon jetzt verschlagen, wie er andeutete. Die amerikanische Liga MLS sei, "falls es soweit ist, natürlich eine Option", verkündete Schweinsteiger. Mancher wird ihn dann wohl "Sssweini" nennen.

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