Süddeutsche Zeitung

Nationalmannschaft:Poster, Pech und Pannen

Der DFB muss eine eigenartige Debatte einfangen: Vor dem Testspiel in Österreich rückt die Frage in den Mittelpunkt, wen Joachim Löw aus dem Kader streicht.

Von Christof Kneer, Eppan

Oliver Bierhoff ist ein großartiger Verkäufer, und er hat diese Qualität mit den Jahren immer mehr geschärft. Für Bierhoff wäre es zum Beispiel kein großes Problem mehr, eine Schlechtwetterperiode in einem Trainingslager zu erklären, er würde vermutlich sagen, dass der Regen nur eine Unterart der Sonne ist, und dass es sowieso besser sei, wenn die Spieler nicht am Pool rumliegen, sondern in der Hotelhalle zum Billard zusammenkommen. Auch nicht fertiggestellte Turnierquartiere stehen in diesem Sinne wahrscheinlich nicht stellvertretend für nicht fertiggestellte Trainingsquartiere, sondern für die Dynamik des Lebens und den Zusammenhalt einer in diesem Fall aus Bauarbeitern bestehenden Gruppe.

Alles in allem kommt es also selten bis eigentlich nie vor, dass Oliver Bierhoff kalt erwischt wird, und so gesehen, war es durchaus bemerkenswert, was dem DFB-Teammanager am Donnerstag im übrigens vorbildlich fertigen Pressezentrum in Eppan widerfuhr. "Eine Panne" müsse das sein, entfuhr es Bierhoff auf dem Podium der Pressekonferenz, "das macht mich richtig sauer" - er war von einem Reporter mit einem Foto auf der offiziellen DFB-Homepage konfrontiert worden, auf dem ein 23er-Mannschaftskader abgebildet war.

Sind Trapp, Tah, Rudy und Petersen die Streichkandidaten? Oder ist dieses Bild ein Versehen?

Allerdings ist der DFB mit 27 Spielern nach Südtirol gereist, und erst am kommenden Montag um 12 Uhr wird Bundestrainer Löw dem Weltverband Fifa sein endgültiges Aufgebot melden. Und erst am Morgen des kommenden Montags werden vier Spieler erfahren, dass sie nun leider in die Ferien und keinesfalls mit zur WM nach Russland dürfen. In jedem Turniersommer ist das ein großes Spekulationsspiel mit mindestens drei Fragezeichen, wer darf mit???, wer muss raus???, und natürlich erwischt es am Ende nie die Vier, auf die sich die Umfragen geeinigt haben.

Und nun stand da auf der DFB-Homepage also ein Poster mit 23 Sportlern. Ohne den Torwart Kevin Trapp, ohne den Verteidiger Jonathan Tah, ohne den Mittelfeldspieler Sebastian Rudy und ohne den Stürmer Nils Petersen.

Das sei "kein Hinweis auf die finale Nominierung", sagte Bierhoff, nachdem er die erste Überraschung bezwungen hatte, und später stellte Pressesprecher Jens Grittner noch mal klar, es sei "eine absolute Fehlinterpretation", aus diesem Foto entsprechende Schlüsse zu ziehen.

Tatsächlich muss man nicht davon ausgehen, dass Joachim Löw seinen endgültigen Kader mal eben an dieses Internet durchgestochen hat, vielmehr ging es dabei um eine Art Charity-Aktion. Der DFB erklärte später, das in Gebärdensprache gefasste Kaderposter auf der Homepage habe eine Schülerzeitung in Zusammenarbeit mit dem DFB, der "Aktion Mensch" sowie dem Dachverband Deutscher DEAF Fanclubs schon vor einiger Zeit erstellt. Dennoch dürfe "das nicht passieren", brummte Bierhoff auf seinem Podium. Er weiß ja, dass diese Geschichte ihn nun wieder zur Hergabe seines ganzen Verkaufs- und Moderationstalents zwingen wird.

Neuer ist fit, Boateng bald, und auch von Marco Reus kommen keine Klagen

Das Problem ist nicht, dass Löws Streichliste nun bekannt wäre, denn das ist sie nicht. Das Problem ist eher, dass das Löws Streichliste sein könnte. Trapp ist als Torwart überzählig, wenn Manuel Neuer - wofür vieles bis alles spricht - turniertauglich ist; Gleiches gilt für Tah, dem Löw das Mandat entziehen dürfte, wenn der angeschlagene Jérôme Boateng - wofür alles spricht - rechtzeitig gesund wird. Auch Rudy und Petersen wurden von Beginn an unter die Favoriten für eine vorzeitige Heimreise gerechnet, und natürlich wissen sie beim DFB jetzt, dass das im Zweifel ganz schön komisch ausschauen könnte. Sollten tatsächlich diese Vier gehen, würden sich alle die Frage stellen: Warum das ganze Getue mit dem großen Kader, warum die ganzen Hymnen auf diesen Petersen, wenn eh schon alles vorher feststeht?

Bierhoff darf man zutrauen, dass er auch diese Debatte professionell einfangen würde, aber seine Verärgerung lässt erahnen, was ihn viel eher stört: Er weiß ja, dass die Spieler auf ihren Zimmern gerne die Pressekonferenz anschauen, und die besagten Vier dürfte die Nummer mit der Homepage doch beschäftigen. In jedem Fall wird das Testspiel gegen Österreich in Klagenfurt (Samstag, 18 Uhr) nun noch genauer betrachtet werden als ohnehin. Spielt Rudy? Und was bedeutet es, wenn Petersen nur ein paar Minuten abbekommt?

Löw hat die Wahl. Neuer ist gesund, Boateng bald, von Marco Reus kommen keine Klagen. Und der zuletzt wegen Muskelproblemen pausierende Mario Gomez hat am Donnerstag ebenfalls wieder trainiert.

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Quelle:
SZ vom 01.06.2018
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