Nationalmannschaft:Nur 1:0 - allein Löw ist danach merklich verstimmt

Selten spielte eine deutsche Mannschaft so überlegen wie gegen Nordirland. Dass es dennoch nur zu einem Treffer reicht, findet niemand besonders schlimm - außer der Bundestrainer.

Von Thomas Hummel, Paris

Herr Müller, wie war das Spiel? "Ganz gut, schön, belebend."

Es war mal wieder einer dieser Momente, an denen man froh sein durfte, dass Thomas Müller weder auf den Kopf noch auf den Mund gefallen ist. Gut, schön, belebend - das war eine bündige Zusammenfassung des Dienstagabends im Pariser Prinzenpark. Zumindest, wenn man die Kriterien Unterhaltung für die Zuschauer, Spielkultur der Nationalmannschaft sowie Fehlerbehebung aus den vergangenen Partien heranzieht.

Die deutschen Fußballer haben gegen Nordirland 1:0 gewonnen und stehen als Sieger der Gruppe C im Achtelfinale der Europameisterschaft. Das waren die nüchternen Fakten, hinter denen sich ein sehr kurioses Fußballspiel verbarg. Hat es jemals ein so einseitiges Duell gegeben mit einem so knappen Ergebnis? Bei dem die eine Mannschaft nicht nur dominiert (79 Prozent Ballbesitz), sondern auch reihenweise klarste Chancen hat? Mindestens die Hälfte der 28 deutschen Schüsse war dazu geeignet, leicht und locker ein Tor zu ergeben. Doch am Ende stand die Eins. Die kümmerliche Eins.

"Wir hätten in der Halbzeit schon 4:0 führen MÜSSEN", erklärte Joachim Löw danach angesäuert. Er hätte dann etwa Abwehrspieler Jérôme Boateng noch früher vom Platz nehmen können mit dessen Problemen in der Wadenmuskulatur (Diagnose: eher kein Problem für den Rest des Turniers). Oder eine andere Stammkraft schonen können. Der Gegner hätte sich dann "totgelaufen" nach der Pause und seine Mannen leichtes Spiel gehabt. Doch so mussten die Deutschen immer noch einen lucky punch der völlig unterlegenen Nordiren fürchten. Außerdem führten die Polen im Parallelspiel ebenfalls mit 1:0, bei einem Tor mehr gegen die Ukraine hätte die Fair-Play-Wertung der beiden Teams über Platz eins und zwei in der Gruppe entschieden.

Im Viertelfinale droht nun ein Spiel gegen Spanien oder Italien

Gut, im Nachhinein wären die Deutschen wohl auch mit Platz zwei zufrieden gewesen. Denn nach der Niederlage der Spanier führt ihr Weg zum Finale nun durch die wesentlich renommierter besetzte Turnierhälfte. Nach einem wahrscheinlichen Achtelfinale gegen die Slowakei (oder Albanien) kommt es zum Duell mit dem Sieger aus dem Spiel Italien gegen Spanien. Danach würde wohl Frankreich oder England warten. Es war schon mal leichter, Europameister zu werden.

Daran dachte Thomas Müller in den Kellergängen der Betonschüssel Prinzenpark selbstredend noch nicht. Der Oberbayer ist ein Mann der Gegenwart und als solcher stellte er fest: "Der Sieg gegen die Nordiren hätte durchaus höher ausfallen dürfen." Dass es nicht so kam, daran hatte er einen nicht geringen Anteil. Allein in der ersten Hälfte hatte der Angreifer vier glasklare Torchancen, viermal scheiterte er. Davon je einmal an Pfosten und Latte. So viele Möglichkeiten hatte er für den FC Bayern während der gesamten Vorrunde nicht ausgelassen.

Thomas Müller gefällt der Vorwurf der Fahrlässigkeit nicht

Auch Mario Götze ließ drei einwandfreie Situationen liegen. Dazu Mario Gomez und Joshua Kimmich. Von den halbgaren Chancen gar nicht zu sprechen. Es war ein selten einseitiges Spiel gegen einen Gegner, der auch mit Spielern aus der zweiten und dritten englischen Liga besetzt ist. Für die Nordiren ging da einiges viel zu schnell. Und doch landete der Ball nur einmal in ihrem Tornetz. Nach einer flotten Kombination über Kimmich, Özil und Gomez kam der Ball zu Müller, der ausnahmsweise nicht selbst abschloss, sondern auf Gomez zurücklegte. Der Stürmer schoss zum 1:0 ein (30.). Es war längst überfällig und doch überraschend, dass der Ball plötzlich drin war. Damit hatte man schon nicht mehr gerechnet.

Nach dem Spiel erzählte Gomez aber weniger von seinem Treffer als vom Auftrag des Bundestrainers, sich vorne drin ein paar Beulen zu holen. Es war dies der erste Einsatz für den Stürmer in der Startelf bei der EM gewesen, und das sollte er als Rammbock absolvieren: im Angriffszentrum die beiden Hünen Craig Cathcart und Gareth McAuley beschäftigen, um Räume für die Mitspieler zu schaffen. "Ich habe mir vorgenommen, dagegenzuhauen gegen diese Ochsen", erzählte Gomez, "das war hart, ich habe ein paar Blessuren mitgenommen." Unter anderem sichtbare Striemen am linken Arm.

Der Plan ging insofern auf, als dass Götze und Müller aus dem Mittelfeld in den Strafraum sprinten konnten und Mesut Özil ihnen mit traumhafter Präzision die Bälle servierte. Das ging manchmal so schnell, dass die 20 000 nordirischen Fans auf den Tribünen nicht einmal ihr Lied unterbrachen, das sie gerade sangen. Zudem gab Joshua Kimmich als stürmender Rechtsverteidiger ein grandioses EM-Debüt, auch Jonas Hector auf der anderen Seite spielte wesentlich offensiver als zuletzt.

Deutschland macht es wie England

Weil zudem die Nordiren keine einzige Torchance hatten, gingen die Spieler zufrieden in die Pariser Nacht. Okay, die Torchancen. Aber das gibt sich. Allein Joachim Löw war während der Partie und auch kurz danach merklich verstimmt. "Wir hätten vor dem Tor zielstrebiger, konsequenter sein müssen", monierte er.

Den Vorwurf der Fahrlässigkeit wollte Thomas Müller allerdings nicht auf sich sitzen lassen. Es habe nicht daran gelegen, dass er zu lässig mit den Möglichkeiten umgegangen wäre. "Wenn ich eine Möglichkeit habe, versuche ich das Ding mit aller Gewalt über die Linie zu drücken. Aber das hat heute irgendwie nicht geklappt." Und wie fast immer konnte er dem Schlechten auch was Gutes abgewinnen. "So bleiben wir wachsam und glauben nicht, dass wir den Fußball erfunden haben." Das nehmen immer noch die Engländer für sich in Anspruch. Und die haben es mit dem Toreschießen einen Tag zuvor gegen die Slowakei auch nicht besser gemacht.

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