Nationalmannschaft:Neymar? Mbappé? Es gibt mich auch noch!

Deutschland - Norwegen

Julian Draxler im Spiel gegen Norwegen.

(Foto: dpa)
  • Julian Draxler schießt beim 6:0 der deutschen Nationalmannschaft gegen Norwegen ein Tor und liefert auch sonst eine gute Leistung.
  • Er will ein Signal an seinen Klub Paris Saint-Germain senden.
  • Dort hat er nach den Transfers von Neymar und Kylian Mbappé einen Stammplatz nicht sicher. Aber er will kämpfen.

Von Matthias Schmid, Stuttgart

Toni Kroos hetzte aus der Kabine, als ob er vor finsteren Eindringlingen fliehen müsste. Der Mittelfeldspieler von Real Madrid schnaufte schwer und blickte auf den Boden, er scherte sich deshalb auch nicht um den vorgegebenen Weg, der ihn zwischen weißer Sponsorenwand und schwarzen Absperrbändern vorbei an den wartenden Journalisten hätte führen müssen. Kroos nahm nach dem 6:0-Sieg im WM-Qualifikationsspiel gegen Norwegen den direkten Weg zum Ausgang der Stuttgarter Fußballarena. Die Zeit drängte, weil er den Flieger nach Madrid nicht verpassen wollte.

Julian Draxler hat ja bekanntlich auch einen Arbeitgeber außerhalb Deutschlands, doch der 23-Jährige hatte am Montagabend keine Eile, er schlurfte als Letzter der Nationalspieler kurz vor Mitternacht aus der Kabine und blieb noch geduldig stehen, um Fragen zu beantworten. Es schien fast so, als ob er keine große Lust hätte, nach Paris zurückzukehren. Paris war allerdings nicht allzu weit weg. Nur zwei Fragen lagen zwischen Stuttgart und der französischen Hauptstadt, wo Draxler bei Saint-Germain Fußball spielt. Ob seine recht gelungene Darbietung im Nationaltrikot auch Beachtung in Frankreich finden würde, wurde er fragt. "Ich glaube", entgegnete der Mittelfeldspieler nun, "dass ich heute ein gutes Signal gesendet habe."

Diese Feststellung war Draxler wichtig, in den vergangenen Wochen schien in Paris im Transferwahnsinn um Neymar und Kylian Mbappé ein bisschen untergegangen zu sein, dass eine Mannschaft nicht nur aus zwei Spielern besteht. Für 222 Millionen Euro hatte Paris den Brasilianer vom FC Barcelona abgelöst. "Das sind zwei Granaten", gibt er zu. Draxler will seinem Klubtrainer Unai Emery daher unbedingt zeigen, dass es ihn auch noch gibt.

Glaubt man den Ausführungen Draxlers, dann ist aber alles gar nicht so unerträglich, wie kolportiert wird. Er habe nie darüber nachgedacht, den Klub überstürzt verlassen zu wollen, bekannte Draxler nun in Stuttgart. "Es wurde ja viel spekuliert, aber für mich war immer klar, dass ich nicht weg möchte." Natürlich hatte er mit seinem spanischen Trainer das Gespräch gesucht, darüber gesprochen, ob für ihn im Luxuskader noch ein angemessener Platz übrig bleibt. Und die Antworten fielen zur vollsten Zufriedenheit Draxlers aus. Eine Einsatzgarantie konnte er Emery nicht abringen. "Ich habe keinen besonderen Status in der Mannschaft und muss mich wie jeder andere auch dem Konkurrenzkampf stellen", erzählt Draxler, "aber ich werde meine Spiele in jedem Fall bekommen."

Das Länderspiel hat ihm und auch Paris eine Ahnung davon gegeben, wie seine künftige Position in der Liga und in der Champions League aussehen könnte. Draxler, beim Confed Cup zum besten Turnierspieler gewählt, war gegen Norwegen der linke Teil einer flexiblen Dreierkette hinter Stürmer Timo Werner. Zumindest nominell. Draxler spielte neben Mesut Özil und Thomas Müller, aber alle vier, inklusive dem famos aufspielenden Werner, interpretierten ihre Rollen sehr freizügig. Sie tauschten ihre Positionen ständig und überforderten mit ihren permanent wechselnden Laufwegen die biederen Norweger fast bei jedem Angriff.

Auf diese Weise gelang Draxler in Mittelposition sogar ein typisches Gerd-Müller-Tor aus der Drehung heraus. Und er dribbelte von der linken Seite im höchsten Tempo und mit mehreren Übersteigern kunstvoll in die Mitte oder bereitete von der rechten Seite mit einer schönen Flanke das 5:0 durch Leon Goretzka vor. Die ständigen Positionsrochaden in der Nationalmannschaft sieht er als Vorbild für den Klub, in der neben Neymar und Mbappé auch noch herausragende Spieler wie Marco Verratti, Edinson Cavani und Ángel Di María beschäftigt sind. "Wir sind da auch nicht fixiert auf unsere einzelnen Positionen", erklärt Draxler, "natürlich hat jeder seine taktischen Vorgaben, aber ich bin davon überzeugt, dass wir in Paris ein Offensivspektakel abliefern werden."

Liebhaber eines ansehnlichen und anarchischen Angriffsfußballs ist auch Bundestrainer Joachim Löw, der im Hinblick auf die Weltmeisterschaft im nächsten Jahr in Russland nichts mehr hasst, als sich auf starre taktische Systeme festlegen zu müssen. "Wir haben mit viel Dynamik viele Löcher gerissen", lobte er. Vor allem Draxler schuf mit seiner Spielfreude und seiner feinen Technik Löcher, die so groß waren wie die Baugrube von Stuttgart21.

Ob er bequem mit dem TGV von Stuttgart nach Paris reist, behielt er für sich. Aber er freut sich auf die nächsten Spiele mit seinem Klub. Nachdem er wegen des Confed Cups vier Wochen verspätet in die Saisonvorbereitung eingestiegen ist, fühlt er sich nun körperlich ausreichend fit, "um über einen längeren Zeitraum spielen zu können", wie er es formuliert. Zwölf Minuten durfte er in der Ligue 1 in dieser Spielzeit bisher spielen. In zwei Spielen wohlgemerkt. Julian Draxler will wieder länger arbeiten. So wie in der Nationalmannschaft.

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