DFB-Elf gegen Frankreich:Grüße an die Ochsenabwehr

Lesezeit: 3 min

  • Die deutsche Nationalmannschaft trennt sich in ihrem ersten Spiel nach dem WM-Desaster 0:0 von Weltmeister Frankreich.
  • In den letzten 20 Minuten vergibt das Team von Joachim Löw einige gute Chancen.
  • In dieser Phase erinnert wieder viel an den jahrelang einstudierten Ballbesitzfußball.

Aus dem Stadion von Benedikt Warmbrunn, München

Leon Goretzka passte den Ball zu Matthias Ginter, der legte ihn quer zu Marco Reus, tack-tack-tack ging das, es war ein Angriff, wie er oft zu sehen war in den vergangenen Jahren bei Spielen der deutschen Nationalmannschaft. Ballbesitz, gedankenschnelle Aktionen, oft hat das zum Erfolg geführt, auch wenn Reus diesen Angriff nicht mit einem Treffer abschloss. Was aber nicht passte zu einer deutschen Mannschaft, so wie sie sich in den vergangenen Jahren präsentiert hatte, das war die Entstehung des Angriffes. Es war ein Konter.

Am Donnerstag spielte die deutsche Nationalmannschaft erstmals wieder nach dem historischen Vorrunden-Aus bei der WM in Russland, 0:0 endete die Auftaktpartie der Nations League in München gegen Frankreich, den Weltmeister. Doch dieses 0:0 stand für mehr als nur ein Unentschieden. Die deutsche Mannschaft, die in den vergangenen Jahren für feinen, unabdingbar offensiven Ballbesitzfußball stand, sie trat an diesem Abend lange auf wie eine Truppe an Sicherheitsbeauftragten. Es war tatsächlich: eine erneuerte Elf.

Seine Mannschaft, hat Bundestrainer Joachim Löw am Tag vor dem Spiel gesagt, stehe "vor so etwas wie einem Neustart". Löw hatte das ja selbst vorgegeben, als er vor einer Woche gestanden hatte, die Entwicklungen des Fußballs falsch eingeschätzt zu haben, indem er sich bedingungslos dem Ballbesitz unterworfen hatte. "Fast schon arrogant" sei das gewesen.

Der Neustart sah gegen Frankreich dann so aus, dass Löw vier gelernte Innenverteidiger aufstellte, zwei davon, Ginter und Antonio Rüdiger, als Außenverteidiger. So defensiv war die DFB-Elf nicht mehr ausgerichtet seit der WM 2014, als die sog. Ochsenabwehr aus vier Innenverteidigern vorübergehend berühmt geworden war. Dazu spielte Löw mit drei Sechsern, einer war Joshua Kimmich, der in den vergangenen zwei Jahren als Rechtsverteidiger agiert hatte. Übrig blieben drei Offensive, die tatsächlich auch als Offensivspieler gedacht waren. All das erinnerte stark an die WM in Brasilien. Damals, Historiker werden sich erinnern, beendete Deutschland das Turnier als Weltmeister. Es war nun aber auch eine Aufstellung, die für das Ende der Arroganz stehen sollte.

Oder wie Thomas Müller es später etwas pragmatischer formulierte: "Wir haben uns dazu entschieden, dass erst mal die Null stehen muss."

Eine "viel bessere Balance", das war eine weitere Neuerung, die Löw angekündigt hatte. Bei der WM standen die deutschen Innenverteidiger ja gerade im Eröffnungsspiel gegen Mexiko beim fast schon arroganten Ballbesitz recht einsam an der Mittellinie, und so war Deutschland anfällig für Konter. Und genau diese Konter waren bei der WM eine Spezialdisziplin der schnellen Franzosen um den superschnellen Kylian Mbappé gewesen. Im ersten Spiel nach dem gewonnen Finale spielte Trainer Didier Deschamps im Wesentlichen mit der Elf, die das Finale gewonnen hatte, allein Alphonse Areola ersetzte den verletzten Torwart Hugo Lloris.

Am Donnerstagabend, bei so etwas wie einem Neustart, war die deutsche Elf zunächst also erkennbar um Stabilität bemüht. Sie rannte nicht ins eigene Verderben, was vor allem daran lag, dass die beiden Innenverteidiger auf den Außen nicht so weit nach vorne rannten. Die Franzosen hatten so auch keinen Raum, in den sie hineinrennen konnten. Die beiden auf Sicherheit bedachten Mannschaften schalteten sich in der Anfangsphase gegenseitig aus, der Neustart, er war zunächst etwas zäh.

Die DFB-Elf beschleunigte das Spiel gerade in den ersten Minuten gelegentlich mit Diagonalbällen, auch das war ein Mittel, das sie bei der WM nur sparsam eingesetzt hatte. So entstand auch die beste deutsche Chance in der ersten Hälfte, Boateng spielte einen Diagonalpass auf die linke Strafraumecke, von dort dribbelte Timo Werner in den Strafraum hinein, seinen Schuss parierte Areola. Insgesamt hatte die Mannschaft weniger Chancen als in den WM-Partien - sie ließ allerdings auch weniger zu. Die erste der Franzosen hatte Olivier Giroud nach einer Flanke von N'Golo Kanté, den Kopfball wehrte Manuel Neuer ab (36.). Der Torwart war auch sieben Minuten später aufmerksam, als er einen Freistoß von Mbappé fing. Mehr passierte in der ersten Halbzeit nicht.

In der zweiten Halbzeit erhöhte Frankreich das Tempo; da sie die Geschwindigkeit nicht in die Räume bringen konnten, legten sie sie eben in ihre Kombinationen. Und so gab es in der Partie auf einmal Strafraumszenen, Neuer hielt zweimal gegen Antoine Griezmann (49., 64.). Die deutsche Elf drosselte zunächst ihr Tempo noch in der Offensive. Werner dribbelte einmal in den Strafraum rein, er scheiterte an Areola. Thomas Müller (61.) und Kimmich (62.) probierten es vergeblich mit Distanzschüssen. Drei Minuten später ging es dann einmal ganz schnell, Goretzka passte zu Ginter, der legte quer, doch Areola erwischte den Schuss von Marco Reus noch mit den Fingerspitzen. Die beste Phase hatte die DFB-Elf dann in den letzten 20 Minuten, Mats Hummels (72.), Müller (75.) und Ginter (75.) scheiterten alle am starken Areola.

"Das Spiel stand ja unter besonderen Vorzeichen", bekräftigte Löw nach der Partie noch einmal, "die Art und Weise, wie wir auftreten, war wichtig. Es war wichtig, eine Reaktion zu zeigen. Und ich glaube, das hat die Mannschaft gut gemacht. Wir hätten gegen den Weltmeister sicher das eine oder andere Tor erzielen können." Vor allem in den letzten 20 Minuten.

Und es hatte durchaus etwas Ironisches, dass diese letzten 20 Minuten der Deutschen die Minuten waren, die dann doch wieder am ehesten an den jahrelang eingeübten Ballbesitzfußball erinnerten.

© SZ vom 07.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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