DFB-Team:Ginter ist jetzt eine A-Lösung

DFB-Nationalspieler Matthias Ginter

Neue Perspektive: Matthias Ginter (hier vor dem Training der Nationalmannschaft in Berlin) ist in den Plänen von Bundestrainer Löw jetzt Rechtsverteidiger.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Matthias Ginter macht kein Aufheben darum, dass er sowohl bei der WM 2014 in Brasilien als auch beim Turnier in Russland zwar im Kader, aber keine Minute auf dem Platz stand.
  • Die Umwälzungen beim DFB-Team allerdings machen nun aus der "B-Lösung" Ginter eine nicht weniger zurückhaltende A-Lösung.
  • Joshua Kimmich wurde zum Sechser umfunktioniert, den dadurch vakanten Rechtsverteidigerposten bekleidet nun Ginter. Eine Position, die ihm früher noch nicht ganz geheuer war.

Von Javier Cáceres , Berlin

Wenn man so will, ist Matthias Ginter der Vertreter einer aussterbenden Spezies. Zumindest hebt er sich ab.

Als am Donnerstag die Spieler der deutschen Nationalmannschaft in Berlin den Trainingsplatz betraten, wiesen ihre Werkzeuge mehr Farben auf als der Regenbogen: rosa Schühchen, weiße Schühchen, gelbe Schühchen klackerten die Treppe hinunter zum Rasen des Amateurstadions von Hertha BSC. Nur ein Feldspieler trug klassisch schwarze Stiefel, als verweigere er sich den Launen der heutigen Sportartikel-Designer. Sein Name: Matthias Ginter, 24, Verteidiger bei Borussia Mönchengladbach und, was wahrscheinlich viel weniger Menschen wissen: Weltmeister 2014, Silbermedaillengewinner bei Olympia 2016 in Rio sowie Sieger im Confed Cup 2017.

Wer weiß schon, ob die Wahl der Farbe der Fußballstiefel eine Frage der Überzeugung ist? Aber sie passt zu einem Profi, der ein Meister des Understatements ist und wohl auch deshalb in jungen Jahren zu bemerkenswerten Erfolgen gekommen ist.

Ginter machte kein Aufhebens darum, dass er 2014 bei der WM in Brasilien keine Minute auf dem Platz stand. Und dass er in Russland sogar der einzige Feldspieler war, der keine einzige WM-Minute auf dem Rasen stehen durfte, verleitete ihn ebenfalls nicht zu schrägen Äußerungen. Auch nicht an diesem Donnerstag, als die Sonne die Hauptstadt mitten im Oktober fast schon frühlingshaft riechen ließ; da schrieb er seine WM-Touristenrolle einem so ätherischen Begriff wie "den Umständen" zu; Umständen wie diesen: "In Russland waren es überraschenderweise nicht so viele Spiele für uns", sagte er; nach drei Vorrundenpartien war das Turnier für den Titelverteidiger bekanntermaßen vorbei.

Und "die Umstände" bedeuteten unter anderem auch, "dass wir zum Beispiel keine Dreierkette gespielt haben", wie Ginter erklärte. Hätte sich die Nationalmannschaft noch ins Achtelfinale gerettet, "dann wäre die Dreierkette vielleicht noch drangekommen", fügte der Gladbacher hinzu. Und das hätte seine Chancen auf einen Einsatz womöglich doch erhöht, so jedenfalls klang er am Donnerstag.

Die Umwälzungen beim DFB-Team, die auf das blamable WM-Aus folgten, waren nicht radikal. Aber sie waren radikal genug, um aus Ginter, der zurückhaltenden "B-Lösung", eine nicht weniger zurückhaltende A-Lösung zu machen - auch und gerade jetzt, vor den Nations-League-Partien gegen die Niederlande (Samstag in Amsterdam) und Frankreich (Dienstag in Paris).

Bundestrainer Joachim Löw hat in der Zwischenzeit Joshua Kimmich zum Sechser umfunktioniert, mit seiner Spielintelligenz soll der Münchner dem Spiel vor der Abwehr Struktur verleihen. Den dadurch vakanten Rechtsverteidigerposten bekleidet nun Ginter - obwohl sich der gebürtige Freiburger in Mönchengladbach als Innenverteidiger zu jenem stabilisierenden Faktor entwickelt hat, der der Borussia zum guten Saisonstart verholfen hat. Seit dem 3:0 beim FC Bayern ist Gladbach Tabellendritter, vor den Bayern, mit denen Ginter die Partie noch am Mittwoch im DFB-Quartier "analysiert" habe, wie er berichtete.

"Ich fühle mich da sehr, sehr wohl"

Die statistischen Werte des bisherigen Saisonverlaufs besagen, dass Ginter es mit den Innenverteidigern des FC Bayern - Jérôme Boateng, Mats Hummels und Niklas Süle - durchaus aufnehmen kann. Ginters Passquote (88,5 Prozent) ist laut Statistikdienst "Opta" nur unwesentlich schlechter als die von Hummels (89,3) und Süle (93,6), aber eklatant besser als die von Boateng (65,1). Bei der Zweikampfquote sieht es ähnlich aus: Süle kommt auf 69 Prozent, Hummels auf 67,9, Ginter auf 61,5; Boateng auf 58,3. Auch bei den Luftzweikämpfen schneidet Ginter (60 Prozent) besser ab als Boateng (55,6), aber schlechter als Hummels (65,6) und Süle (75,9).

Dafür ist Ginter torgefährlicher als seine Kollegen: Im vergangenen Jahr kam er auf fünf Bundesligatore, das Bayern-Trio kam durch zwei Treffer von Süle und einen von Boateng auf insgesamt drei. Auch in der aktuellen Saison liegt Ginter mit einem Tor aus sieben Bundesligaspielen vorn.

Dass er dennoch auf die Rechtsverteidigerposition ausweichen muss, nimmt Ginter nicht bloß hin - er ist sogar begeistert. "Ich finde, es ist eine Superposition. Ich fühle mich da sehr, sehr wohl", sagte er in Berlin. Das war für Ginter'sche Verhältnisse nachgerade sensationell, denn vor ein paar Jahren war ihm die Rolle noch nicht ganz so geheuer. Zur WM 2014 fuhr Ginter "auf den letzten Drücker mit" und fühlte sich, wie er nun sagte, noch "wie ein kleiner Junge", der alles bloß aufsaugte. Die Rolle als Rechtsverteidiger wollte er damals lieber nicht spielen, wie seinerzeit aus dem DFB-Trainerteam zu hören war.

Es folgten Jahre in Dortmund, wo er sich unter Thomas Tuchel doch mit der Position an der Außenbahn anfreunden konnte. So viele Unterschiede zum Spiel im Abwehrzentrum gebe es ohnehin nicht. "Ob man in der Viererkette halb rechts oder in der Dreierkette rechts oder in der Viererkette ganz rechts spielt - Priorität hat immer erst die Defensive", erklärt Ginter. In allen Fällen versuche er, im Spielaufbau Akzente zu setzen, aber als Rechtsverteidiger verspüre er eine größere Freiheit, "auch offensiver zu agieren, und das macht mir sehr viel Spaß". Konkurrenz, übrigens, hat er auf dieser Position beim DFB plötzlich fast keine mehr.

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