Nationalmannschaft:Löw ist tief drinnen ein kleiner Völler

  • Warum misstraut Joachim Löw bei dieser EM Spielern wie Kimmich und Sané?
  • Die Skepsis des Bundestrainers gegenüber den jungen Profis erinnert an seinen Vorvorgänger.

Von Christof Kneer, Évian

Christoph Metzelder war tatsächlich erst 21, als er seine erste Weltmeisterschaft spielte. Heute wäre das ja ein bedenkliches Alter für einen Turnierdebütanten; wer heute mit 21 Jahren noch keine 30 Millionen wert ist, sollte allmählich einen Berufsberater konsultieren. Mit 21 ist man heute ein junger Routinier, und man hat vielleicht noch zwei Jahre vor sich, bevor man das sogenannte beste Fußballalter erreicht.

Als Christoph Metzelder aber im Sommer 2002 in der deutschen WM-Abwehr verteidigte, fühlte sich das ungefähr so an, als würde heute ein 15-Jähriger spielen. Mit 21 hatte man damals eigentlich kein Recht, Nationalspieler zu sein, es war die Zeit, in der man 150 Bundesligaspiele brauchte, um im Notizblock des Bundestrainers Aufnahme zu finden. 21 Jahre alte Nationalspieler waren damals so selten wie das Java-Nashorn. Und beim damaligen Teamchef waren sie noch seltener.

Rudi Völler, Künstlername "Ruuuudi", war damals und ist bis heute ein lustvoller Konservativer, wie man an seiner Spitzenfrisur sehen kann. Völler stammt aus der Ja-gut-sischerlisch-Zeit und hält vieles von dem, was heute Standard ist, im tiefsten Innern für Kokolores. Damals, als Teamchef, hat er - mit Ausnahme Metzelders - einen recht reifen Kader zur WM nach Japan und Südkorea mitgenommen, er hatte zwar kaum eine andere Wahl, aber es harmonierte schon auch mit seiner Weltanschauung. Es war ein harter Schnitt, als nach ihm der brachial jugendbewegte Jürgen Klinsmann übernahm. Und danach Joachim Löw, dieser innovative, neumodische Mensch.

Löw ist kein Guardiola: Er lobt seine Spieler nicht, bevor er ihnen dann doch nichts zutraut

Derselbe Löw hat nun aber am Wochenende gesagt, die jungen Spieler in seinem Kader würden das "im Training gut machen, aber man spürt schon: Das ist die Nationalmannschaft!" Man merke, dass die Jungen "sich an Tempo und Qualität erst gewöhnen mussten", und man dürfe "nicht vergessen, dass Turniere eine besondere Situation sind". Für neue Spieler, folgerte Löw, sei "das ein enormer Druck in solchen Turnierspielen, in denen es um etwas geht". Man müsse deshalb "den richtigen Zeitpunkt finden, um sie einzusetzen".

Diese Sätze warfen im Großen und Ganzen zwei Fragen auf. Erstens: Gibt es auch Turnierspiele, in denen es um nichts geht? Zweitens: War das wirklich Joachim Löw, der da sprach?

Manchmal braucht es die Ausnahmesituation eines Turniers, um die Dinge wirklich zu begreifen: Joachim Löw, dieser innovative, neumodische Mensch, ist tief drinnen manchmal ein kleiner Völler. Auf den ersten Blick wirkt es ja immer, als kämen Löw und Völler von den unterschiedlichen Enden der Skala, und bei den meisten Themen stimmt das ja auch. Völler hält so manche Taktikdebatte für akademisches Getue, für Löw ist Taktik heilig, Völler will einen ausschließlich erfolgreichen Fußball sehen und Löw schon auch einen hochmodernen; aber das Personal, das diesen hochmodernen Fußball spielen soll, stellt Löw nach denselben stockkonservativen Regeln zusammen wie sein Vorvorgänger im Amt. Dank der Diskussionen nach dem torlosen Polen-Spiel hat man das so gut begriffen wie wohl selten zuvor.

Über Kimmich spricht Löw ganz nüchtern

Ja, Joshua Kimmich hinterlasse im Training einen guten Eindruck, meinte Löw am Wochenende, er habe sowohl im Mittelfeld als auch hinten rechts trainiert, und klar, die Innenverteidiger-Rolle beherrsche er schon auch. Das klang so unglaublich nüchtern, wie es gemeint war.

Löw ist nicht Pep Guardiola, der seine Spieler windelweich lobt, bevor er's ihnen dann doch nicht zutraut. Löws Sätze waren so etwas wie ein ausgesprochen freundlicher, überhaupt nicht bös' gemeinter Misstrauensantrag an seine neue Generation. Löw findet schon, dass Joshua Kimmich, Julian Weigl, Jonathan Tah und natürlich erst recht Leroy Sane das Potenzial haben, einmal prägende Turnierspieler zu werden - aber muss das ausgerechnet jetzt sein?

Löw hält weiter an Özil, Götze und Höwedes fest

Gäbe es unter Nationaltrainern eine Vereinigung wie den "Seeheimer Kreis" bei der SPD, dann wäre Löw mit Sicherheit ein führendes Mitglied. Er ist als Trainer sozusagen ein konservativer Sozialer. Er glaubt an das Gute im Spieler und an den Zusammenhalt in seiner kleinen Kadergesellschaft, und er ist streng solidarisch mit seinem guten, alten Poldi; aber er ist ausdrücklich der Meinung, dass man in dieser Leistungsgesellschaft erst mal was zeigen muss, bevor man für prominente Posten taugt. Kleine Brüche in der Logik schließt das nicht aus; die jungen Spieler, die angeblich noch keinen Druck gewöhnt sind, haben ja durchaus schon harte Proben hinter sich, etwa Kimmich, der in der Champions League gegen Juventus Turin tapfer auf der falschen Position kämpfte.

Joachim Löw ist entschlossen, seinen Kader auch bei dieser Europameisterschaft wieder nach jenem Treuepunkt-System zu führen, an das er glaubt. Veränderungen in der Aufstellung könne es "durchaus geben, klar", erklärte Löw zwar am Wochenende und verwies noch mal auf seine jüngst geäußerte These, wonach er in diesem Turnier "unterschiedliche Typen und unterschiedliche Mannschaften" brauche, "gerade auch in der Vorrunde". Als er dann aber über Mario Götze und Mesut Özil und Benedikt Höwedes sprach, klang das eben doch erkennbar anders als bei Kimmich oder Sane. Özil? "Ach, der wird schon kommen", sagte Löw, als ihn jemand auf seinen im Spiel zuletzt kaum nachweisbaren Spielmacher ansprach.

Özil, Götze und Höwedes vertraut Löw aus eigenem Erleben, Müller sowieso, er verlässt sich auf sie; bei den Jüngeren fehlt es ihm an vergleichbaren Erfahrungswerten.

Der Bundestrainer trägt einen kleinen inneren Konflikt mit sich aus

Noch hat Löw nicht entschieden, wie seine Startelf gegen Nordirland aussieht, aber wer ihm am Wochenende zuhörte, kann sich kaum vorstellen, dass er mal kurz eine andere Elf aufstellt. Vielleicht André Schürrle statt Julian Draxler: Das wäre der Move, den sie intern für möglich halten.

Es ist ein kleiner innerer Konflikt, den Löw gerade mit dem deutschen Bundestrainer austrägt. Er fühlt einerseits, dass dem zuletzt doch etwas festgefahrenen Spiel ein frischer Impuls gut täte; andererseits will er seinen Özil, seinen Götze und am liebsten auch seinen Höwedes sicher durchs Turnier bringen.

Rudi Völler ist 2002 mit seinem Team WM-Zweiter geworden, er hat stur an seinen Plänen festgehalten, obwohl die nicht allen gefielen. Oliver Bierhoff zum Beispiel blieb immer nur Einwechselspieler.

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