Süddeutsche Zeitung

DFB-Team:Insgesamt flauschig

Die deutsche Nationalmannschaft hat beim 3:0 gegen Island wenig Mühe. Rund um eine starke Bayern-Achse startet das Team von Joachim Löw schwungvoll in die WM-Qualifikation.

Von Philipp Selldorf, Duisburg

Die Sache hätte stachlig werden können, darauf hatten sich die Experten mit dem Blick auf den mutmaßlich bärtigen Gegner verständigt, aber der Bundestrainer hatte bei seinem Comeback nach vier Monaten Länderspielabstinenz keinen Anlass, den Abend kratzig zu finden. Beim WM-Qualifikationsspiel gegen Island durfte er es sich stattdessen frühzeitig gemütlich machen, denn seine Mannschaft räumte schon nach wenigen Minuten den Verdacht aus, der Abend könne Kummer und Sorgen bringen. Die Deutschen führten unter der strengen und geradlinigen Anleitung ihres Hauptmanns Joshua Kimmich bereits nach sieben Minuten 2:0 und ließen auch in der folgenden Zeit keine Zweifel daran, dass ein anderer Ausgang als ein klarer Heimsieg in Betracht käme. "Wir haben sehr schwungvoll und dynamisch begonnen", sagte Löw hinterher. In der zweiten Halbzeit aber habe seine Mannschaft "vielleicht wieder zu viele Pässe nach hinten gespielt".

Das Schlussresultat - 3:0 - war gemessen am furiosen Beginn fast eine Enttäuschung. Den Vorwurf, den Rest der Partie nach der frühen Führung nur noch abgewickelt zu haben, konnte man Löws Mannschaft aber nicht machen. Sie spielte seriös weiter und behielt auch ihre Angriffslust bei, aber anders als in den ersten Minuten fand sie nicht mehr die Lücken in der isländischen Deckung. Mit dem Start in sein Abschiedsjahr konnte Jogi Löw dennoch "insgesamt zufrieden" sein. Seine Mannschaft hatte mehr getan, als nur die Pflicht zu erfüllen. So fiel es Löw auch nicht schwer, in der 78. Minute das Debüt eines 18-Jährigen zu inszenieren. Jamal Musiala ist nun mit Brief und Siegel DFB-Spieler, für England darf er ab sofort nicht mehr spielen.

Positiver Corona-Test: Jonas Hofmann und Marcel Halstenberg müssen das Quartier vorzeitig verlassen

Die Deutschen hatten begonnen, als ob es darum ginge, das 0:6 aus dem Hinspiel im Vorjahr wettzumachen. In der Rolle des Spanien-Doubles waren die Isländer allerdings keine glaubwürdige Besetzung. Bis sie sich mit dem Gegner und den örtlichen Verhältnissen vertraut gemacht hatten, lag der Ball bereits in ihrem Tor. Ungefähr anderthalb Mal hatten sie ihn seit dem Anpfiff berühren dürfen.

Dieses erste Tor dürfte nicht zuletzt dem TV-Experten Uli Hoeneß gefallen haben, der im Alter von 69 Jahren sein Debüt als Länderspielkommentator gab. Einst träumte Hoeneß von einem FC Bayern Deutschland, der beim DFB-Turnier 2006 die Welt beeindrucken sollte. Am Donnerstag hat die Welt wahrscheinlich zwar Besseres zu tun gehabt, als nach Duisburg zu schauen, aber imponierend war es schon, was Hoeneß' Bayern bei diesem Tor leisteten: Joshua Kimmich chippte mit Gefühl und Verstand den Ball zu Serge Gnabry, der auf kürzestem Weg Leon Goretzka die Vorlage zum 1:0 lieferte. Zwei Minuten und ein paar Sekunden waren seit dem Anstoß vergangen, und in diesem Moment wirkten die Deutschen so rabiat, wie ihre tiefschwarze Dienstkleidung verhieß. Im wenn auch noch sehr virtuellen Fernduell mit den EM-Gegnern Frankreich und Portugal hatten sie schon mal etwas Achtung erworben. Der Welt- und der Europameister waren beim 1:1 gegen die Ukraine bzw. beim 1:0 gegen Aserbaidschan eher mühsam in die Kampagne gestartet.

Der Bundestrainer hatte sich bei der Nominierung seiner Startelf mehr ausgedacht, als ihm die meisten Chronisten zugetraut hatten. Anstelle des aus Sicherheitsgründen abgereisten Marcel Halstenberg, der nach einer Backgammon-Partie mit dem später Corona-positiv getesteten Jonas Hofmann in Quarantäne musste und wie der Gladbacher auch für die Partien gegen Rumänien und Nordmazedonien ausfällt, übernahm der vielseitige Dortmunder Emre Can den Posten des rechten Verteidigers; den Platz des allseits erwarteten Timo Werner erhielt Kai Havertz. Unter der Aufsicht von Thomas Tuchel hat Havertz in den vergangenen Wochen angefangen, dem FC Chelsea ein paar Sorgen abzunehmen - bei den Londonern waren schon leise Zweifel aufgekommen, ob der Rekordtransfer-Rendite bringen würde. Von seiner Formsteigerung durfte nun auch die Nationalelf profitieren. Sein Tor zum 2:0 (7.) war aber wie das 1:0 eine starke Co-Produktion, Kimmich und Leroy Sané hatten hohen Anteil an dem Treffer.

Es sah nicht gut aus für die Isländer, es sah aus, als würden den angeblich furchtlosen Nordmännern beigebracht, was Angst ist, doch sie verstanden es in der kritischen Phase nach dem schlimmen Start, das drohende Debakel abzuwenden und zur Gegenwehr überzugehen. Die Deutschen ließen immer noch den Ball in hohem Tempo durch ihre Reihen zischen, den Strafraum versperrte der Gegner aber zunehmend effektiv. Was vorher glänzte in der DFB-Elf, das sah nun manchmal verspielt oder sogar selbstgefällig aus. Etwas zu oft gab es bei den Hausherren den Versuch, den Ball zum Mitspieler zu streicheln. Der fleißige Sané war zwar genau das: nämlich fleißig. In der Ballbehandlung aber blieb er immer wieder unter dem Niveau seiner Möglichkeiten.

In der 26. Minute passierte dann etwas Ungewöhnliches: Die Isländer erreichten erstmals Manuel Neuers Tor und ließen es gleich gefährlich aussehen. Sigurjonssons Schuss rauschte knapp am Kasten vorbei.

Spannung wollte sich im Laufe der nächsten Stunde dennoch nicht einstellen. Die Deutschen mussten zwar ernsthaft arbeiten, um die durchaus lästigen Gegner unter Kontrolle zu behalten, aber das gelang ihnen weitgehend zuverlässig. Gefährlich wurde es vor Neuers Tor nicht mehr. Wohl aber auf der Seite seines Kollegen Hannes Halldorsson. Gegen Ilkay Gündogans Fernschuss zum 3:0 (56.) hatte er keine Chance zur Abwehr, bei Gnabrys attraktivem Drehschuss half ihm der Pfosten. Am Ende ein Sieg, den Löw als "insgesamt souverän" bewertete.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5247401
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/sjo/schm
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.