Nationalmannschaft im WM-Trainingslager:Genügend Raum für Spekulationen

Nationalmannschaft im WM-Trainingslager: Ohne Ball: Bastian Schweinsteiger

Ohne Ball: Bastian Schweinsteiger

(Foto: AFP)

Zweiter Tag im WM-Trainingslager in Südtirol: Die Vögel tirilieren, Kevin Großkreutz erfüllt sich Kindheitsträume, Bastian Schweinsteiger trabt mit Leibgarde, spielt aber keinen Fußball. Und die Torwartfrage bleibt heikel.

Von Philipp Selldorf, St. Leonhard

Keiner musste gestützt werden, keiner humpelte und keiner fehlte, als die Nationalspieler um halb elf am Vormittag den sonnenbeschienenen Platz in St. Leonhard betraten, um ihr erstes Training zur Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft zu absolvieren. Diese Nachricht mag nicht den Charakter einer klassischen Sensationsmeldung haben, sie scheint aber doch besonderer Erwähnung würdig zu sein, nachdem die Sorgen über den gesundheitlichen Stand im DFB-Kader zuletzt um sich gegriffen hatten.

Daher ist es auch als gute Nachricht zu bewerten, dass eine gute Stunde später sämtliche Spieler aufrecht gehend den Platz wieder verlassen konnten. Der erste Schritt nach Brasilien war somit unfallfrei gelungen, den Weg in die Mittagsruhe choreografierten nun die dienstbaren Geister. Letzteres war fast so sehenswert wie die Übungen auf dem Rasen: Vier schwarze Kleinbusse mit getönten Scheiben rollten lautlos heran, vom Security-Mann zur Abholung der Passagiere eingewiesen wie Flugzeuge bei der Vorfahrt in die Parkposition. Dann ging es hinauf zum rundum bewachten, mit Zäunen bewehrten Teamhotel; der amerikanische Präsident wird vom Secret Service nicht besser behütet.

Es ist nicht neu, dass der DFB keine Mühen scheut, um Beschwernisse zu minimieren und Zwischenfälle zu verhindern. Auch diesmal trifft "die Elite des deutschen Fußballs", wie Joachim Löw seine Spieler klassifiziert hat, Verhältnisse an, die höchsten Ansprüchen genügen: Eine Fünf-Sterne-Aussicht auf schneebedeckte Gipfel; ein Fünf-Sterne-Hotel, dessen Schwimmbadlandschaft die Profis ganz für sich haben; und ein neuer Fünf-Sterne-Trainingsrasen, den die Gemeinde St. Leonhard ihren Gästen wie einen handgewobenen Teppich zu Füßen gelegt hat.

Selbst die Singvögel tirilieren auf ausgewähltem Niveau. "Das ist noch mal was anderes", staunte Kevin Großkreutz, der mit Borussia Dortmund zwar manches Luxushotel bewohnt, aber noch keine Generalstabsoperation des DFB unternommen hat: "So ein toller Platz, so ein schönes Hotel, all das Drumherum, das ist etwas Besonderes."

Trotzdem ist es dem Büro der Nationalelf in all den Jahren nicht gelungen, den X-Faktor auszuschalten. Der Sport birgt immer noch unkalkulierbare Risiken, weshalb die peniblen Planungen der Teamleitung für die WM weiterhin von unerwünschten Ungewissheiten durchkreuzt werden. Löws Assistent Hansi Flick hatte zwar vermeintlich beruhigende Neuigkeiten zu verkünden, als er am Donnerstag die Lage referierte. Es waren aber, bei näherem Hinsehen, zwiespältige Mitteilungen.

Kindheitsträume von Kevin Großkreutz

Die gute Nachricht war die, dass der an der Schulter verletzte Torwart Manuel Neuer nach angeblich stundenlangen Behandlungen in der Praxis des Mannschaftsarztes nun doch am Freitag ins Teamhotel reisen wird - nachdem es zuletzt bereits die wildesten Gerüchte um ein mögliches WM-Aus gegeben hatte. Die Kehrseite dieser Botschaft besteht aber darin, dass die DFB-Trainer den Torwart Marc-André ter Stegen amtlich in Alarmbereitschaft versetzt haben - weshalb die wildesten Gerüchte gleich wieder Anklang fanden.

Theoretisch könnte ter Stegen bis zum Vortag des ersten WM-Gruppenspiels - am 16. Juni gegen Portugal - nachnominiert werden, so lang gewährt die Fifa Frist, um einen letzten Ersatzmann hinzuzuholen. Ter Stegen würde neben Ron-Robert Zieler als Ersatz für Roman Weidenfeller fungieren.

Die Einberufung zur Notreserve ist auch für den 22-Jährigen eine zweischneidige Sache: Einerseits entgehen ihm jetzt ein paar unbeschwerte Urlaubstage, bevor er sich auf den Weg machen wird, um das Tor des FC Barcelona zu erobern. Andererseits tut sich womöglich für ihn eine Chance auf, zur WM zu fahren. Und das bedeutet für Fußballer immer noch die Erfüllung ihrer Kindheitsträume, selbst wenn sie längst Multimillionäre sind und mit ihren Klubs Abenteuer in Europas prächtigsten Stadien erleben. So wie es Großkreutz jetzt ausdrückte: "Das ist einfach eine Riesen-Ehre und das Größte, was man erreichen kann: Bei einer WM dabei zu sein."

Großkreutz, mit vier Länderspieleinsätzen ein relativer Neuling, muss sich für Brasilien noch empfehlen, doch er hat es dabei womöglich leichter als mancher Arrivierte. Der vielseitige Dortmunder hat kein Saisonspiel wegen Verletzung verpasst, er war sogar in fünf Jahren Bundesliga trotz des bekannt fordernden Jürgen-Klopp-Programms nie ernsthaft verletzt, und das unterscheidet seinen Kampf ziemlich deutlich von dem, den Bastian Schweinsteiger um die WM-Teilnahme austrägt.

Auch Schweinsteiger erschien auf dem Trainingsplatz, wie in alten Zeiten an der Seite von Lukas Podolski, man sah ihn sogar fröhlich lachen. Man sah ihn allerdings nicht Fußball spielen. Während die Kollegen Kurzpässe trainierten und eine leichte Spielübung bestritten, trabte Schweinsteiger mit zwei Fitnesstrainern, die ihn wie eine Leibgarde umgaben, um den Rasen herum. Vorerst ist für den 29-Jährigen nicht mehr als die Genesung von seiner Knieverletzung vorgesehen. "Wir müssen aufpassen, wie er das verkraftet, unsere medizinische Abteilung ist ganz sensibel", berichtete Hansi Flick - und ließ dabei genügend Raum für Spekulationen.

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