Nationalelf vor EM-Qualifikation:Thilo Kehrer hat viel zu berichten

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Thilo Kehrer hat noch viel vor in der DFB-Elf. (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Thilo Kehrer hat sich bei PSG in einem nicht immer einfachen Umfeld behauptet.
  • Zwar hängt ihm noch ein entscheidender Fehler nach, doch bei der deutschen Nationalelf hat er große Hoffnungen.

Von Philipp Selldorf, Venlo

Für Gianluigi Buffon und Thilo Kehrer sei es ein Spiel zum Vergessen gewesen, schrieb der Guardian am 7. März, aber da irrte der Berichterstatter der ehrenwerten englischen Zeitung. Nichts lag Kehrer ferner als Vergessen nach diesem Abend, an dem sich Paris Saint-Germain durch ein 1:3 gegen Manchester United aus der Champions League verabschieden musste.

Tatsächlich hatte der 22 Jahre alte Verteidiger in dieser Partie einen wahrhaft unvergesslichen Moment erlebt, der seine Mitspieler zur akuten Notfall-Fürsorge veranlasste, spontan erinnert sich Kehrer daran, wie sich Thiago Silva, Edinson Cavani und Kylian Mbappé um ihn kümmerten. Was sie ihm zu sagen hatten? "Letztlich auch nicht mehr, als dass so etwas dazugehört. Dass es jedem Spieler passiert - auch den größten. Dass man daraus lernen muss."

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Irgendwann, sagt Kehrer, müsse er mit der Erfahrung "abschließen", doch in den Tagen nach dem bösen Ende gegen United beschäftigte ihn der Vorfall aus der zweiten Spielminute unentwegt: Am rechten Flügel erhielt Kehrer den Ball, sah den Gegenspieler kommen und suchte den bequemen Ausweg in einem Rückpass auf Silva, der sich geradewegs in einen Steilpass auf Manchesters Romelu Lukaku verwandelte - 0:1. "Tolle Vorlage - leider ungewollt", witzelte der TV-Kommentator. So ein Aussetzer lässt sich schwerlich vergessen. "Ich habe mir selbst heftige Vorwürfe gemacht, weil es einfach so ein wichtiges Spiel war", sagt Kehrer, "und weil ich für mich gesagt habe: Wenn ich den Fehler nicht mache, dann geht das Spiel anders aus."

Andererseits enthält der kritische Report des Guardian auch eine Botschaft mit schmeichelhafter Note. Vor einem Jahr hat ja niemand vorhergesagt, dass Kehrer, 45 Bundesligaspiele für Schalke 04, bald von den internationalen Medien in einem Atemzug mit dem großen Buffon genannt und in der Kabine Nachbar von Mbappé und Neymar werden würde. Er hat es selbst nicht geahnt - bis ihn diese SMS von Thomas Tuchel aufschreckte.

Sie erreichte ihn zu einem Zeitpunkt, da er seine nähere Zukunft ganz anders plante. Mit Schalke 04 war er weitgehend einig über die Vertragsverlängerung, nur Details fehlten noch. Dann funkte Tuchel aus Paris dazwischen. Erst kam die SMS, dann der Anruf. Tuchel habe ihm "seine Vision gezeigt, wie er Fußball spielen lassen will, wie er die Mannschaft entwickeln will, in welche Rolle ich reinwachsen kann. Das hat mir sehr, sehr gut gefallen", berichtet Kehrer.

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Kehrer bereitet sich in diesen Tagen mit der Nationalmannschaft auf die EM-Qualifikation am Samstag (20.45 Uhr/RTL) in Weißrussland vor, und so wie er jetzt im Teamquartier in Venlo von den vergangenen Erlebnissen erzählt, ist all das, was ihm damals unwirklich vorkommen musste, längst geübte Realität geworden. Man könnte meinen, er hätte Anlass, über sein unglaubliches Jahr zu staunen: Nicht nur, weil er in der pompös komponierten PSG-Mannschaft auf Anhieb einen Platz gefunden hat, sondern weil er auch zum Nationalspieler mit ebenfalls guten Stammplatz-Aussichten wurde.

Doch wenn man ihm zuhört, ist da kein demütiges Staunen über eine unverhoffte Glückssträhne. Stattdessen sieht sich Kehrer in seinen Ansprüchen bestätigt: "Ich habe mich dazu entschieden, nach Paris zu wechseln, weil ich von mir selbst überzeugt bin. Ich wusste, ich habe eine Chance, in die Mannschaft zu kommen, mich weiterzuentwickeln und viele Spiele zu machen." Dass es gleich 40 Einsätze waren, hat freilich auch ihn überrascht.

Womöglich sollte man aber Abstand nehmen von der Ansicht, dass es in einer Umkleide mit Neymar, Buffon und Mbappé so ganz anders zugeht, als in einer Umkleide mit Guido Burgstaller und Ralf Fährmann. Die einen sind in der ganzen Welt bekannt, die anderen in ganz Gelsenkirchen, doch letztlich blieben Fußballer überall Fußballer, hat Kehrer erfahren. Fast zumindest: "Es stimmt schon, bei uns ist sehr viel Temperament in der Kabine", sagt er.

Man darf dies als dezenten Hinweis darauf verstehen, dass in einem von Lateinamerikanern und Franzosen dominierten und von einem deutschen Trainer geführten Kader die Mentalitäten nicht immer übereinstimmen. Über Thomas Tuchel weiß dessen Landsmann Kehrer, der wie der Coach aus Schwaben stammt, im Übrigen nur Gutes zu berichten: "Außergewöhnlicher Trainer und ein starker Charaktertyp mit unglaublich viel positiver Energie und Überzeugungskraft."

Einen ähnlich speziellen Trainer hatte Kehrer schon in Gelsenkirchen gehabt. Norbert Elgert, seinen Lehrer aus den Zeiten in Schalkes A-Junioren-Team, hat er neulich während eines Heimatbesuchs getroffen, als dessen Elf gegen Borussia Dortmund um den Einzug ins Meisterschaftsfinale spielte. Immer noch hört Kehrer vor jedem Spiel die CD, die ihm Elgert einst vermachte, damit er seine Konzentration verbessert.

Doch diesmal war Kehrer derjenige, der eine Botschaft mitbrachte. Nach dem Spiel, das der BVB zu seinen Gunsten entschieden hatte, ging er in die Schalker Kabine. Er habe "noch ein paar Worte an die Jungs gerichtet", erzählt Thilo Kehrer, weil es damals auch ihn motiviert habe, "von einem Profi noch ein paar Worte mitzukriegen". So lang ist das noch gar nicht her, aber als Profi hat Kehrer bereits viel zu berichten - erst recht nach diesem Jahr in Paris.

© SZ vom 07.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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