Nationalmannschaft der USA:Klinsmann verwaltet eine Bruchbude

Football Soccer - Guatemala v U.S. - World Cup 2018 Qualifier

Der Unverstandene: Auch in der Mannschaft ist Jürgen Klinsmann, 51, nicht mehr unumstritten.

(Foto: Saul Martinez/Reuters)
  • Für Jürgen Klinsmann steht am Dienstag im Spiel gegen Guatemala nicht nur die WM-Qualifikation auf dem Spiel, sondern auch sein Job als Nationaltrainer der USA.
  • Die Fans empören sich schon länger über den deutschen Trainer, während die Spieler vorsichtshalber schweigen.
  • Nach außen unterstützt ihn sein Verbandschef noch, doch bei einer Niederlage könnte sich das schnell ändern.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es gibt im Sport diesen einen Augenblick, in dem selbst Optimisten einsehen, dass nichts mehr geht. In dem es einfach vorbei ist. Wer soll noch an ein fröhliches Ende glauben, wenn selbst die Aufgabe-Verweigerer aufgeben? Jürgen Klinsmann, Nationaltrainer der USA, ist in Deutschland spätestens seit der WM 2006 als Alles-wird-gut-Kämpfer bekannt.

Doch in diesem Moment stand er da wie ein Handwerker vor einer Baustelle, wenn er bemerkt, dass er das Haus, das er zuvor eingerissen hat, nicht wieder aufbauen kann. Klinsmann bückte sich leicht nach vorne, die linke Hand vor den Mund geschoben, die rechte in die Hüfte gestemmt. Seine Haltung sagte: Das, was da gerade nicht passt, kann auch nicht mehr passend gemacht werden. Es war die 15. Spielminute des WM-Qualifikationsspiels in Guatemala, die US-Nationalelf lag mit 0:2 zurück - und bereits da wusste der Niemals-aufgeben-Trainer: Da geht nichts mehr.

Am Dienstag könnte alles einstürzen

Klinsmann, 51, ist nicht nur der Trainer, er ist auch der Technische Direktor des amerikanischen Fußballverbands, von dem die stets optimistischen amerikanischen Fußballfans auch wegen der Wir-schaffen-das-Mentalität von Klinsmann lange glaubten, dass er in den nächsten zwei bis 26 Jahren ganz sicher Weltmeister werden würde. Nach der grotesken 0:2-Niederlage am Freitag ist jedoch selbst die Teilnahme an der WM-Endrunde in Gefahr.

Und die meisten amerikanischen Fußballfans glauben nun eher, dass Klinsmann gehen sollte. Er hat den Laden ja seit Juli 2011 regelrecht auseinander genommen - er ist der Baumeister. Bei schwachen Vorstellungen hat Klinsmann stets auf das prächtige Bauwerk verwiesen, das am Ende seiner Arbeit herauskommen werde. Doch nach knapp fünf Jahren präsentiert er noch nicht einmal ein stabiles Gebäude, sondern eine wacklige Bruchbude. An diesem Dienstag könnte alles einstürzen.

Die Nationalelf spielt in Columbus nochmals gegen Guatemala, erstmals steht der Dortmunder Christian Pulisic, 17, im Kader, Klinsmann nominierte ihn nach, auch weil der Gladbacher Fabian Johnson abreiste, um eine Verletzung in Deutschland behandeln zu lassen. Das Spiel gegen Guatemala ist vielleicht das wichtigste der letzten fünf Jahre: Bei einer erneuten Nieder- lage betrüge der Rückstand auf einen Qualifikationsplatz bei dann noch zwei Spielen mindestens vier Punkte, womöglich noch mehr.

Die U23 spielt zur gleichen Zeit in Frisco in Texas gegen Kolumbien um einen Platz bei den Olympischen Spielen in Rio, das Hinspiel endete 1:1. Sollten beide Teams verlieren, dann sähe Klinsmanns Bilanz seit der WM 2014 so aus: Platz vier beim Gold Cup 2015, das schlechteste Ergebnis seit 15 Jahren. Verpassen des Konföderationen-Pokals im kommenden Jahr. Niederlagen gegen den Rivalen Mexiko und unterdurchschnittliche Teams wie Guatemala, Costa Rica und Chile. Die U23 würde wie schon 2012 das Olympia-Turnier verpassen, die U20 hat in den vergangenen Monaten erst 1:6 gegen Frankreich und dann 1:8 gegen Deutschland verloren. Das spricht alles, ganz optimistisch ausgedrückt, eher für den WM-Titel 2042 als für einen Erfolg in näherer Zukunft.

Die Fehler sucht Klinsmann bei anderen

Klinsmann scheint selbst nicht mehr so recht daran zu glauben, dass da noch was geht. Selbstkritik gehört nicht zu seinen Tugenden, nach dem Gold Cup etwa kritisierte er die Schiedsrichter ("Sie hatten einen großen Einfluss auf den Ausgang"). Nach der Niederlage gegen Brasilien im vergangenen Jahr - Klinsmann hatte den Offensivspieler Alejandro Bedoya zum ersten Mal in dessen Karriere im defensiven Mittelfeld aufgestellt und nach 36 Minuten vom Feld geholt - kritisierte der Trainer seine verwirrten Spieler: "Alejandro hatte Probleme, seinen Rhythmus zu finden - und ich kann ihm nicht ewig Zeit geben." Nach der Niederlage gegen Mexiko im Herbst schickte Klinsmann Fabian Johnson heim, weil der sich mit einer Verletzung hatte auswechseln lassen, die nach Meinung des Coaches nicht schlimm genug gewesen war.

So etwas können sie in den USA überhaupt nicht leiden: Wenn einer ungewöhnliche Entscheidungen trifft und dann nicht die Verantwortung übernimmt. Scheitern ist völlig in Ordnung, das Abwälzen eigener Fehler jedoch gilt als Charakterschwäche. Die Begeisterung nach dem Achtelfinaleinzug bei der WM 2014 ist längst dahin, zum Spiel gegen Kanada im Februar in Los Angeles kamen gerade einmal 9 274 Zuschauer. Auf Fanseiten wird längst zum Boykott der Partien aufgerufen, um dem Verband eine Anti-Klinsmann-Botschaft zu senden.

Nach der Niederlage gegen Guatemala erklärte Klinsmann, dass er sich stets selbst hinterfrage, auch nach Siegen: "Ich übernehme die Verantwortung - das ist kein Problem, falls Sie das hören wollen." Auf die Frage nach den zahlreichen Fehlern sagte Klinsmann dann aber doch wieder: "Das ist eine gute Frage für die Spieler." Er könne doch auch nichts dafür, wenn er Anweisungen auf eine Tafel schreibe und die dann nicht befolgt würden.

Spieler wollen nichts riskieren

Die Akteure selbst reagieren auf Fragen nach Klinsmann mit einem Bloß-nicht-antworten-Kopfschütteln. Sie wollen nicht riskieren, wegen einer Aussage wie der von Benny Feilhaber im Januar ("Er nominiert nicht die besten Spieler. Ich weiß nicht, warum das so ist - ob er ihre Gesichter nicht mag oder sie hässlich findet.") nicht mehr eingeladen zu werden. Verbandschef Sunil Galati, der Klinsmann mit einem bis 2018 datierten und mit 3,2 Millionen Dollar pro Jahr vergüteten Vertrag ausgestattet hat, sagt zur Dünnhäutigkeit Klinsmanns: "Wir haben es registriert und mit ihm darüber gesprochen."

Gulati kann seinen Trainer nur feuern, falls ein großzügiger Mäzen Klinsmanns Entlassung sponsert, und auch die der Assistenten, wie etwa des Österreichers Andreas Herzog. "Ein Sieg am Dienstag und wir sind wieder in der Spur", sagt Gulati deshalb. Das stimmt, weil die WM-Qualifikation in Nordamerika eine groteske Veranstaltung über insgesamt fünf Runden ist.

Doch glaubt der Verbandschef tatsächlich noch an seinen Trainer? In Guatemala wendete Gulati Klinsmann auf der Pressekonferenz den Rücken zu und tippte, womöglich demonstrativ, auf seinem Handy herum. Es sah aus, als wolle er die Ausreden nicht mehr hören. Sondern im Telefonbuch nach einem Freund suchen, der ein paar Millionen für einen neuen Trainer übrig hat.

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