Manchmal präsentiert das Leben überraschende Lösungen, bei denen auf den ersten Blick nicht klar ist: Was ist größer? Die Chance oder das Risiko? Jürgen Klinsmann jedenfalls ist ein Verfechter des unerwarteten Umbruchs. Der frühere Welt- und Europameister war vor der WM 2006 ohne jegliche Trainererfahrung angetreten, den Deutschen Fußball-Bund (DFB) als Bundestrainer von Grund auf zu revolutionieren. Heute, nach einem heißen WM-Sommer und einer unglücklichen Zwischenepisode beim FC Bayern, steht Klinsmann als Teamchef der USA im Feuer der Kritik. Selbst im erneuerungswilligen US-Fußball werden die Stimmen lauter, die eher einen Strategen als einen Motivationskünstler fordern.
Auch DFB-Präsident Niersbach sieht "ein kleines Risiko"
Die bisherige DFB-Funktionärin Steffi Jones kennt Klinsmanns Karriere, sie verweist sogar auf ihn, wenn es jetzt darum geht, ob sie das kann: Bundestrainerin sein. Schließlich hat auch sie noch keinerlei Erfahrung als Trainerin gesammelt - und wurde dennoch vom DFB auserkoren, im September 2016, also kurz nach Olympia in Rio, Bundestrainerin Silvia Neid nachzufolgen. "Ein kleines Risiko" nennt DFB-Chef Wolfgang Niersbach die am Montag verkündete Entscheidung, die auf Jones' eigenen Wunsch zustande kam. Neid hatte zuvor angekündigt, nach langen, erfolgreichen Jahren aufhören zu wollen.
Führungswechsel bei den DFB-Frauen:Zum Abschied eine Email
Überraschende Personalie im deutschen Frauenfußball: Die unerfahrene Steffi Jones wird im kommenden Jahr Trainerin des Nationalteams. Vorgängerin Silvia Neid soll weltweit Trends aufspüren.
"Mich musste man damals ja überreden", bemerkte Neid zur forschen Postenrochade ihrer ehemaligen Abwehrspielerin. Die 42-jährige Welt- und Europameisterin, die als Spielerin wie als Funktionärin eher für ihre verbindliche Art als für ihre Konfliktfreude bekannt geworden ist, gab denn auch zu, dass es "sinnvoll gewesen wäre, erst einmal Erfahrung zu sammeln und vielleicht im Juniorenbereich anzufangen". Warum der DFB und sie nicht diesen Weg gegangen sind, bleibt zunächst beider Geheimnis.
Aufholen durch Hospitanz
Angesichts der zunehmenden Leistungsdichte im Trainerbereich der Frauen mutet das Experiment Jones jedenfalls gewagt an. Gerade erst erhielt U20-Trainerin Maren Meinert als erste Frau den DFB-Trainerpreis des Jahres, Martina Voss hat gerade die Schweiz erstmals zur WM gebracht. In Ralf Kellermann vom Champions-League-Sieger Wolfsburg, Thomas Wörle vom FC Bayern, Colin Bell in Frankfurt oder Trainerurgestein Bernd Schröder in Potsdam sind die Nationalspielerinnen im Alltag wie auch beim DFB Trainer gewohnt, die aus Erfahrung sprechen. Die Ligatrainer wiederum sind es gewohnt, in den Debatten um Nominierungen und Spielerentwicklung ein erfahrenes Gegenüber beim DFB zu haben.
Sie wolle die Defizite mit ihrer Disziplin wettmachen und jetzt "bei Kollegen hospitieren", kündigte Jones an, die sich noch eine kundige Assistenztrainerin suchen will. Allerdings bleibt für Hospitanzen wenig Zeit: Im Sommer, während der WM, wird sie als Mitglied der Frauenfußball-Kommission der Fifa in Kanada sein. Sollte sich die DFB-Elf dort nicht als eines der besten drei europäischen Teams für Olympia 2016 qualifizieren, könnte der Zeitpunkt, zu dem Neid übergibt, unerwartet nahe rücken. Auch etliche ältere Spielerinnen dürften sich vor oder nach Rio verabschieden. Steffi Jones wird dann eine neue Mannschaft bauen müssen. Und zudem zeigen müssen, dass sie die Richtige dafür ist.