Fußball-Historie:Das Trikot von Brehme ist wieder aufgetaucht

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Da ist das vierte Ding: Manuel Neukirchner, Direktor des Deutschen Fußballmuseums, präsentiert das Original-Trikot von Andreas Brehme aus dem WM-Finale von 1990. (Foto: Tim Schimanski/dpa)

1990 in Italien schoss Andreas Brehme Deutschland per Elfmeter zum Weltmeistertitel. Aber sein Sieger-Dress war lange verschollen. Nach 34 Jahren ist es plötzlich da – und nun in Dortmund im Museum zu besichtigen.

Von Ulrich Hartmann, Dortmund

Nüchtern betrachtet, handelt es sich bloß um ein altes Stück Stoff. Doch dieses Adidas-Trikot der Größe L mit einem Materialmix aus 50 Prozent Polyester, 35 Prozent Baumwolle und 15 Prozent Viskose erlangte weltweite Berühmtheit. Andreas Brehme hat es am 8. Juli 1990 im Olympiastadion von Rom getragen, als er in der 85. Minute den Elfmeter zum 1:0-Sieg gegen Argentinien verwandelte. Deutschland wurde dadurch zum dritten Mal Fußball-Weltmeister.

Brehme traf unten links. Er machte auf der Stelle kehrt, ballte im Zickzack-Lauf die Fäuste, sprang in die Luft und wurde begraben unter den jubelnden Mitspielern Jürgen Klinsmann, Rudi Völler, Pierre Littbarski und Stefan Reuter. Im Jahr der Wiedervereinigung war dieser WM-Titel etwas ganz Besonderes für Deutschland, Brehmes Trikot mit der Rückennummer 3 ist durchzogen von Historie. Bestimmt kann man das sogar 34 Jahre später noch riechen. Aber Manuel Neukirchner widerspricht: „Nein, da riecht man nichts mehr – jedenfalls keinen Schweiß.“

Ein argentinischer Sammler breitete das letzte der vier WM-Trikots im Museum aus

Am vorvergangenen Dienstag, dem 1. Oktober 2024, hat ein argentinischer Sammler namens Yael Rodriguez mit weißen Stoffhandschuhen Brehmes 34 Jahre altes Trikot auf einem Tisch im Bistro des Deutschen Fußballmuseums in Dortmund ausgebreitet. Auch der Museumsleiter Neukirchner trug weiße Handschuhe und berührte das Trikot ehrfürchtig. Der 56-Jährige hatte schon nicht mehr damit gerechnet, dass er dieses Stück Stoff noch je in sein Museum bekommen würde. Er hatte es für verschollen gehalten. Und wenn man eines der wichtigsten Stücke der deutschen Fußballgeschichte dann plötzlich in den Händen hält, kann es schon mal emotional werden.

Helmut Rahns WM-Trikot von 1954, Gerd Müllers WM-Trikot von 1974 und Mario Götzes WM-Trikot von 2014 haben sie schon länger im Museum. Die Hemden dieser drei siegbringenden Final-Torschützen kann man sich in Dortmund anschauen. Nur Brehmes 1990-Hemd war 33 Jahre lang verschwunden. Nicht einmal Brehme selbst, im vergangenen Februar im Alter von 63 Jahren verstorben, hatte in all der Zeit gewusst, ob es sein Trikot überhaupt noch gibt – und wenn ja, wo. Er hatte offenbar keinerlei Erinnerung mehr daran, was im Laufe der Nacht von Rom noch passiert war.

Andreas Brehme (l) und Jürgen Klinsmann im Olympiastadion von Rom, nachdem Brehme per Elfmeter das 1:0 für Deutschland verwandelt hat. (Foto: Frank Kleefeldt/dpa)

Erst gegen Ende des vergangenen Jahres stellte sich unverhofft heraus: Brehmes Shirt war 1990 zusammen mit weiteren deutschen Trikots als Tauschobjekt mit der gegnerischen Mannschaft nach Argentinien geflogen worden. Die Trikots wurden nach der Landung offenbar an Mitarbeiter der Fluglinie verteilt, demnach hätte das von Brehme mehr als drei Jahrzehnte lang in irgendeinem argentinischen Schrank gelegen. Auf den Trikots standen damals nicht mal die Namen.

Irgendwann wurde das Trikot dem Sammler Rodriguez angeboten, er checkte die Echtheit und stellte es im Dezember 2023 beim Internet-Auktionshaus „Matchday Auctions“ zur Versteigerung ein. 105 000 US-Dollar wurden als Startpreis aufgerufen, der angemessene Wert wurde sogar auf 300 000 bis 400 000 US-Dollar taxiert. Doch man fand keinen Käufer, nicht zu diesem Preis.

Mario Götzes Trikot kam schon nach einem Jahr ins Museum

„Dieses Trikot hat wohl eher in Deutschland eine große Bedeutung als für internationale Sammler“, vermutet Neukirchner. Nach der verpufften Auktion überprüften die Fachleute vom Dortmunder Museum aus der Ferne anhand von Fotos und Filmen und vielen Details sowie im Abgleich mit einem bereits vorhandenen Guido-Buchwald-WM-Trikot von 1990 und mit der Hilfe der Adidas-Abteilung „History Management“ die Authentizität des Trikots – und sie machten dem Auktionshaus schließlich ein Angebot. Wie viel, will Neukirchner nicht verraten, darauf habe man sich mit dem Auktionshaus verständigt. „Wir hatten eine Schmerzgrenze“, sagt er, „und darauf haben sie sich eingelassen.“ Ob diese Summe nun fünfstellig war oder gar sechsstellig – für einen Platz in einer Vitrine des Deutschen Fußballmuseums ist der ideelle Wert so oder so kaum in Zahlen zu fassen, besonders, weil die Sammlung der vier WM-Titeltorschützen-Trikots damit endlich komplett ist.

Das Trikot, mit dem Gerd Müller Deutschland 1974 in München zum Titel geschossen hat, tauchte 2012 in einem kleinen privaten Fußballmuseum der niederländischen Stadt Middelburg auf. Besitzer ist Müllers damaliger Gegenspieler Wim Rijsbergen. Neukirchner nahm Kontakt auf, Rijsbergen zeigte sich verständnisvoll und kooperativ und stellte Müllers Shirt dem Fußballmuseum in Deutschland als Dauerleihgabe zur Verfügung.

Das Trikot, mit dem Mario Götze 2014 in Rio de Janeiro zum Titel-Torschützen wurde, war am einfachsten zu beschaffen. Götze hatte es behalten und stellte es dem Museum noch im selben Jahr als Dauerleihgabe zur Verfügung. Bei der Museumseröffnung 2015 hatte man in Dortmund damit schon zwei der vier bedeutendsten WM-Trikots.

Bis 2020 dauerte es, ehe auch das 54er-Trikot von Helmut Rahn seinen Weg ins Museum fand. Rahns Familie hatte dem Museum bereits den Schuh zur Verfügung gestellt, mit dem der Boss damals in Bern, aus dem Hintergrund kommend, das vielleicht berühmteste aller Tore in der Geschichte des deutschen Fußballs erzielt hatte. Als Rahns Familie bei einem Besuch im Museum klar wurde, in welch geschichtsträchtigem und zugleich gesellschaftsrelevantem Kontext die Exponate dort arrangiert werden, stellte auch sie das Hemd als Dauerleihgabe zur Verfügung.

So wahnsinnig wichtig sei Brehme das Trikot nicht gewesen, sagt der Museumsleiter

Damit waren ab 2020 drei besagter vier Trikots in der Ausstellung. Aber es waren halt nur drei. Erst jetzt sind alle vier komplett.

Ab sofort hängt Brehmes Trikot im ersten Stock des Museums in einer Vitrine. Es hängt dort zunächst nur für die kommenden zwei Wochen, solange sind in NRW nämlich Herbstferien. Danach verschwindet es erst mal wieder im Tresor, denn im Oktober 2025, wenn das Fußballmuseum zehn Jahre alt wird, bekommt Brehmes Trikot eine besondere Inszenierung zusammen mit den anderen drei WM-Siegtorschützen-Trikots und den vier WM-Finalbällen von 1954, 1974, 1990 und 2014. Die hat das Museum auch alle beisammen. Brehmes Trikot und die beiden Bälle von 1974 und 1990 sind unter den etwa 1600 Exponaten im Museum die wertvollsten – gemessen am Ankaufspreis. Aber die Summen sind natürlich alle, naja, pssst!

Museumsleiter Neukirchner erzählt, er sei lange mit Brehme befreundet gewesen. Verständlicherweise findet er es sehr schade, dass Brehme nicht mehr miterleben konnte, wie sein Trikot zurück nach Deutschland gekommen ist. „Aber so wahnsinnig wichtig war ihm die Sache mit dem Trikot eigentlich auch gar nicht“, weiß Neukirchner, „viel bedeutender war für ihn, dass wir ihn hier in der deutschen Hall of Fame des Fußballs in die Gründungself aufgenommen haben – das hat ihm wirklich unglaublich viel bedeutet.“

Brehmes Lebensgefährtin Susanne Schaefer hat angekündigt, ins Fußballmuseum kommen und das Trikot ansehen zu wollen. Auch für sie ist das natürlich nicht einfach bloß ein Stück Stoff. Wirklich niemand kann es nur nüchtern betrachten.

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