Nationalelf vor der Fußball-WM:Warnung an die Rasselbande

Einen ungewohnt deutlichen Appell richtet Joachim Löw an die WM-Kandidaten, 100 Tage vor Beginn des Turniers in Brasilien. Indirekt droht der Bundestrainer auch prominenten Spielern mit Nicht-Nominierung. Er sagt: "Die Uhr tickt."

Von Klaus Hoeltzenbein

Werbeagenturen haben die Aufgabe, die Welt so zu zeigen, wie sie nicht ist. Jedenfalls schöner als die Realität soll sie erscheinen. Insofern darf die neue Kampagne um die Nationalmannschaft als gelungen bezeichnet werden, auch wenn es einiges kosten dürfte, sie bis zum Start der WM in Brasilien permanent der Aktualität anzupassen. Der Slogan, vor dem Joachim Löw am Montag in Stuttgart sein dunkles Haupt präsentierte, ist zumindest eine jener berühmten Drei-Worte- Botschaften, die seit der Geiz-ist-geil-Kampagne in den Kreativstuben der Republik groß in Mode sind: "Bereit wie nie." Mit Punkt. Wenigstens ohne Ausrufezeichen.

Denn schon neben Löws Haupt lauern die Zweifel, wurde doch als erster Posterboy für die Kampagne Ilkay Gündoğan ins Bild gesetzt. Ausgerechnet der Dortmunder Gündoğan, der sich seit Monaten mit einer rätselhaften Verletzung plagt. Im Trugbild hinter Joachim Löw reckt Ilkay Gündoğan kraftvoll die Faust, doch am Montag in Stuttgart sagte der Bundestrainer über ihn: "Ich hoffe noch auf ihn, aber ob es reicht, weiß ich jetzt noch nicht. Da bin ich ein Stück weit überfragt."

Wer will, kann schon aus der Diagnose für Gündoğan auf das Gesamtbild schließen, zwei Tage vor dem ersten WM-Test des Jahres in Stuttgart gegen Chile. Zumal es von den sechs Spielern, die für das Bereit-wie-nie-Foto ausgewählt wurden, nur zwei in den Chile-Kader geschafft haben. Manuel Neuer und Mario Götze sind dabei; Mario Gomez, Mats Hummels, Julian Draxler und eben Gündoğan fehlen aus diversen Gründen. Vier aus sechs - keine gute Quote. Ramponiert wie nie?

Zumindest: Angeschlagen wie nie - so ist die aktuelle Lage, über die Löw dann auch einleitend sagt: "Es ist schon richtig, dass wir das ein oder andere Problem haben." Und dann legt er nach, mit leicht drohendem Unterton: "Es gibt einige Spieler, die nicht in der absoluten Topform sind, die sie für das Turnier brauchen. Einige haben bis zum heutigen Zeitpunkt keinen guten Rhythmus. Die Spieler müssen alles dafür tun, um in Topform zu kommen." Sein Motto für das Referat an diesen Tag: "Die Phase der Wahrheit und der Klarheit hat begonnen." Und dann löst der Bundestrainer sogar noch Alarm aus: "In der Theorie haben wir eine Top-Mannschaft", sagt er, "aber die Realität sieht im Moment anders aus. Und bei der WM gilt: Die Realität schlägt die Theorie."

So wahr, so klar und auch so drohend deutlich hat Löw in seiner 2006 begonnenen Amtszeit als Chef noch nie gesprochen. Denn dies ist erst die Einleitung zu einem Vortrag, wie ihn der Herbergsvater macht, bevor die Rasselbande einrückt. Wobei, wer überhaupt mitdarf, ist noch weitgehend offen. Natürlich ist der Kernkader des FC Bayern gesetzt um Philipp Lahm herum, der, das hat Löw in der moderaten Phase seines Vortrages angekündigt, schon gegen Chile vom Rechtsverteidigerposten in die Zentrale beordert wird.

Damit hat Löw die Versetzung des Kapitäns ins Herz des Spiels erstmals offiziell bestätigt. Ursprünglich hieß es, auch diese Entscheidung falle womöglich erst im Mai, doch rechts hinten bekommt am Mittwoch der Dortmunder Allrounder Kevin Großkreutz seine Chance, und im Mai hat Löw anderes zu tun: Am 8. Mai will er seinen vorläufigen WM-Kader verkünden, vermutlich mit 25 bis 28 Profis, zur WM dürfen 23, und Löw hat jetzt schon angekündigt, "dass es Entscheidungen gibt, die Spielern auch wehtun werden".

Ausnahme für Sami Khedira

Und das ist ja auch das Signal, das von der überraschenden Nominierung des Debütanten-Quartetts Lasogga (HSV), Hahn (Augsburg), Ginter (Freiburg) und Mustafi (Sampdoria Genua) für das Chile-Spiel ausgehen soll: Kandidaten gibt es genug, Löw ist auf kaum jemanden angewiesen. "Die Uhr tickt", sagt er, "und nur der, der sie hört, wird eine Chance haben. Die Zeit bis zum Turnier wird für die Spieler mindestens genauso hart wie das Turnier selbst."

Um dies deutlich zu machen, habe er auch noch einmal mit den meisten telefoniert, die gegen Chile nicht dabei sind. Dazu zählt durchaus Prominenz, die unter Nutzung des General-Arguments der Schonung derzeit nicht im Kader steht: Hummels, Reus, Gomez, Draxler, Höwedes, Adler, Kruse. Auch der Leverkusener Lars Bender fällt wegen einer Muskelverhärtung aus und wurde von Löw am Montag zurück zu seinem Klub geschickt. Jeden, der nach Brasilien wolle, habe er aufgefordert, "vermehrt an sich zu arbeiten". Er erwarte, dass jeder alles für seine persönliche Fitness tue, sagt er und fügt in bester Herbergsvater-Tonlage an: "Ich erwarte auch eine professionelle Lebensführung!" Offenbar hat Löw in punkto Freizeitgestaltung zuletzt einiges missfallen, seine Andeutungen präzisierte er nicht, allerdings: "Ich werde die Spieler auch ein bisschen überwachen!"

Pressekonferenz mit Joachim Löw

Energisch in Stuttgart: Bundestrainer Joachim Löw.

(Foto: dpa)

Vom Primat der uneingeschränkten Fitness hat sich Löw unter dem Bereit-wie-nie-Poster am Mittwoch allerdings offiziell verabschiedet. Namentlich gilt die Ausnahme aber nur für Sami Khedira. Der hatte sich im November im Länderspiel gegen Italien (1:1) einen Kreuzbandriss zugezogen, der ihm soeben erst wieder den Einstieg ins Lauftraining erlaubt. "Wir brauchen Spieler, die hundertprozentig fit sind. Es gibt aber auch Spieler, die 80 oder 90 Prozent fit sind, und trotzdem einen Mehrwert für die Mannschaft bringen."

Eine Hintertür, wie Löw sie für Khedira, den Zentralspieler von Real Madrid, offen hält, würde er nur wenigen öffnen, wohl aber auch dem derzeit in München langsam wieder Tritt fassenden Bastian Schweinsteiger oder einem Veteranen wie Miroslav Klose. Der steht schon allein deshalb unter Artenschutz, weil er zur seltenen Spezies der klassischen Mittelstürmer zählt. Am Sonntag hat er für Lazio Rom passen müssen, die Bauchmuskulatur ist gereizt, trotzdem ist Klose nach Stuttgart angereist.

Aufs erste Bereit-wie-nie-Poster hat es der 35-Jährige nicht geschafft, die Werber beschwören im Bild den Sturm und Drang der Jugend. Ein Freifahrtschein, das hat Löw deutlich gemacht, ist das nicht. Wer es aufs Poster geschafft hat, ist noch längst nicht in Brasilien.

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