Süddeutsche Zeitung

Nationalelf: Philipp Lahm:Der Seitenwechsel des Philipp Lahm

Weil der FC Bayern den Ex-Schalker Rafinha verpflichten will, soll Philipp Lahm zurück auf die linke Seite wechseln. Auch Bundestrainer Löw freundet sich mit dem Gedanken an - das Länderspiel gegen Uruguay könnte einer von Lahms letzten Auftritten über rechts gewesen sein.

Christof Kneer, Sinsheim

Dieses Tor hat Philipp Lahm berühmt gemacht. Es ist ein Tor, das man wohl noch in 20 oder 40 Jahren in Fernsehrückblicken sehen wird. So wie Jugendliche heute beim Zappen manchmal Günter Netzer erwischen, wie er mit wehendem Haar aus der Tiefe des Raumes kommt, so werden Jugendliche in 20 oder 40 Jahren vielleicht Philipp Lahm begegnen, wie er aus der Tiefe des Seitenraumes kommt.

Wie er ansetzt, zielt, schießt. Wie der Ball einen Bogen beschreibt und im entfernten Toreck einschlägt. Und wie dieser Ball etwas auslöst, was sich im Jahr 2006 "Sommermärchen" nennen sollte. Das Wort "Sommermärchen", auch das werden Jugendliche in 20 oder 40 Jahren lernen, war für das Deutschland des neuen Jahrtausends ungefähr so prägend wie die Abwrackprämie, der Wutbürger oder Aperol Sprizz.

Philipp Lahms Tor aus dem WM-Eröffnungsspiel gegen Costa Rica ist manchen Menschen Beweis genug. Die Macht dieses Bildes ist so stark, dass Lahm in den folgenden Jahren noch so seriös erklären konnte, dass er rechts hinten lieber und besser spielt: Er hatte keine Chance. Von rechts kann er aber nicht nach innen ziehen und schießen wie gegen Costa Rica - so lautete stets die wütende Antwort.

Und im Moment sieht es so aus, als bekämen die Wutbürger bald ihr Lieblingsbild zurück: In der kommenden Saison könnte Lahm, zurzeit Rechtsverteidiger des FC Bayern und der deutschen Nationalelf, wieder links spielen - und zwar in beiden Mannschaften. Normalerweise ist Joachim Löw ein unabhängiger Denker, er nimmt sich die Freiheit, Spieler da einzusetzen, wo er es für richtig hält. Normalerweise lässt er sich vom Ligaalltag keine Personalien aufzwingen - im Falle seines Kapitäns könnte sich der Bundestrainer aber der Idee eines Vereinstrainers unterwerfen. "Wenn Jupp Heynckes bei Bayern Philipp Lahm wieder auf links einsetzt, dann werde ich auch darüber nachdenken müssen", sagte Löw vor dem Test gegen Uruguay.

Die Münchner haben ihre Außenverteidiger-Suche inzwischen ja vom linken auf den rechten Flügel verlagert, in den nächsten Tagen dürfte der Transfer des ehemaligen Schalkers Rafinha gegen etwa sechs Millionen Euro Ablöse verkündet werden. Der 25-Jährige, aktuell beim FC Genua beschäftigt, ist eine anerkannte Fachkraft für hinten rechts, auch Leverkusens Arturo Vidal interessiert die Bayern wegen seiner Vielseitigkeit. Er kann auch: hinten rechts.

Philipp Lahm ist ein Teamplayer, er hat seine Bereitschaft zum Seitenwechsel bereits kundgetan. Theoretisch könnte Löw Bayerns Personaldispositionen souverän ignorieren und seinen Kapitän rechts hinten besetzen - aber Lahm ist ihm zu wichtig. Löw sieht das radikaler als der Spieler; Lahm würde es reichen, wenn er ein paar Tage vor einem Länderspiel von seiner Rolle in Kenntnis gesetzt wird.

"Aber ich möchte das nicht mehr, dass Philipp alle paar Wochen die Position wechselt", sagt Löw. Er möchte, dass seine Elf auch an den Rändern eine Achse hat. "Das Zusammenspiel des Außenverteidigers mit seinem Vordermann muss automatisiert sein", sagt Löw.

Er würde einen Rollenwechsel schon bedauern, "denn Lahm und Müller auf rechts, das funktioniert hervorragend". Aber wenn Lahm seine Automatismen im Alltag wieder auf links schärft, würde wohl auch Löw den Platztausch anordnen.

Es sieht so aus, als würde der Brasilianer Rafinha seinen deutschen Rechtsverteidiger-Kollegen eine Menge Gutes tun. Wurde zuletzt verzweifelt ein Linksverteidiger fürs DFB-Team gesucht (Schmelzer? Aogo? Jansen?), so könnte bald wieder ein Rechtsverteidiger gebraucht werden - Lahms Rückversetzung nach links wäre eine gute Nachricht für Spieler wie Andreas Beck oder Sascha Riether, die aus Löws Kader still verschwunden sind.

Womöglich wird Löw die Lahm-Lücke aber auch mit einem künftigen Klubkollegen besetzen, mit Jerome Boateng. Den wird der FC Bayern wohl auch kaufen - als Innenverteidiger.

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SZ vom 30.05.2011/ebc
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