Nationalelf: Michael Ballack:Trennung vom Unersetzlichen

Bundestrainer Joachim Löw hat seinem Kapitän die Kündigung ausgesprochen - nun beginnt für Michael Ballack eine ungewisse Zukunft. Eher unwahrscheinlich ist, dass er die Einladung für ein Abschiedsspiel annimmt - und offen bleibt auch, was Robin Dutt künftig bei Bayer Leverkusen mit ihm vorhat.

Philipp Selldorf

Unter den mindestens hundert Millionen Würdigungen, die Michael Ballack im Laufe seiner Zeit bei der Nationalelf gewidmet wurden, ragt die von Rudi Völler aus dem Jahr 2005 weit heraus. Völler brauchte keine gewaltigen Worte zu bemühen, um Ballacks Bedeutung zu beschreiben, ihm genügte die Feststellung einer unumstößlichen Wahrheit. Er sagte: "Es darf alles passieren in der deutschen Mannschaft, nur eines nicht - Michael Ballack darf sich nicht verletzen."

Diesen Satz könnte sich Ballack eines hoffentlich fernen Tages in seinen Grabstein meißeln lassen, er steht wie ein Wahlspruch über seiner Karriere im DFB-Team. Während der ersten Dekade des neuen Jahrhunderts ließ er sich auf nahezu alle großen Turniere anwenden, an denen die deutsche Mannschaft teilnahm.

Bei der EM 2000 blieb Michael Ballack, damals 22-jährig, noch eine Randfigur der Mannschaft, zwei Monate zuvor hatte er sein Länderspieldebüt gegeben, aber schon bei der WM 2002 bildete er ihren Mittelpunkt - zumal sie ohne seine Tore in den Entscheidungsspielen gegen die Ukraine im Herbst 2001 vermutlich hätte zuhause bleiben müssen.

Bis zur EM 2008 blieb er der unersetzliche Mann, von dem mehr oder weniger das deutsche Spiel ausging, und der Bundestrainer hätte ihm auch bei der Weltmeisterschaft in Südafrika den Posten des strategischen Kommandeurs im Zentrum übertragen. Aber dazu kam es bekanntlich nicht, ein fieser Tritt des Ghanaers Kevin-Prince Boateng im englischen Pokalfinale änderte den vorgesehenen Lauf der Dinge. Und nun hat der DFB formell einen Haken hinter das Zeitalter des Michael Ballack gemacht, wie die DFB-Pressemitteilung 60/2011 dokumentiert. Überschrift: "Löw plant nicht mehr mit Ballack."

Es ist, wenn man so will, eine Kündigung, Ballack äußert sich nicht zu seiner Ruhestandsverabschiedung. Er verweigert den Rücktritt oder das versöhnliche Einverständnis, obwohl er sich längst mit der Tatsache abgefunden hat, dass er keine Zukunft mehr hat im deutschen Nationalteam.

Das Kommuniqué hätte einen anderen Titel getragen, wenn Joachim Löw in den vergangenen Tagen das Telefonat mit Ballack hätte führen können, das er zuletzt ständig hatte versprechen müssen. Diese unerledigte, schwierige und undankbare Personalie hatte ihn verfolgt. Ein "abschließendes Gespräch" mit seinem Kapitän a.D. hatte Löw annonciert, aber dazu kam es offenbar nicht.

Aus Florida, wo Ballack seine letzten Urlaubstage verbringt, gab es keine Erwiderung. Schließlich hat der Bundestrainer die Geduld verloren und eine Erklärung aufsetzen lassen, die keine Spur von Einvernehmen erkennen lässt. Weiterhin bietet Löw dem Star früherer Tage den feierlichen Abschied beim nächsten Länderspiel an, im August gegen Brasilien, doch es ist ungewiss, offenkundig sogar unwahrscheinlich, dass Ballack die Einladung annimmt.

Er hat seinen speziellen Stolz, und wenn er einmal das Gefühl hat, gekränkt worden zu sein, dann kann er sehr hartnäckig werden.

Was hat Dutt mit Ballack vor?

Es ist keine Ketzerei, wenn man feststellt, dass die Nationalelf auch ohne Ballack auskommen wird, auch sein Bewunderer Völler wird da nicht widersprechen. Die Mannschaft hat sich bei der WM emanzipiert, Ballacks Rolle gibt es nicht mehr. Er hat das selbst sachlich festgestellt, als er - am Ende des in vielerlei Beziehung missratenen Jahres 2010 - in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau sagte, das Team sei ja auch ohne ihn erfolgreich.

Bundestrainer Loew plant nicht mehr mit Ballack

Abschiedstage: Michael Ballack, hier noch im Trikot der Nationalmannschaft.

(Foto: dapd)

Seine unterlegene Position im sportlichen Konkurrenzkampf hat er anerkannt, zuletzt ging es in der siechenden Beziehung mit der Leitung des DFB-Teams um Stilfragen. Löw hatte die Gelegenheit, Ballack zur finalen Länderspielserie einzuladen, es hätte eine Art Abschlusstournee werden können mit Reisen nach Wien und Baku, in deren Rahmen der Routinier das finale 100er-Jubiläum hätte begehen dürfen. Aber der Bundestrainer wollte das nicht.

So wird Michael Ballack am Wochenende erstmals in seiner glamourösen Karriere den Fußballbetrieb als Ex-Nationalspieler aufnehmen. Am Sonntag um 15 Uhr trifft er sich mit Bayer Leverkusen zum ersten Training für die nächste Bundesligasaison. Sie bietet ihm auch ohne Länderspiele ausreichende Herausforderungen, auch im Klub wird er sich behaupten müssen.

Jupp Heynckes hat Leverkusen verlassen, das dürfte Ballack ohne schwere Gefühle verschmerzt haben, aber was Robin Dutt, der neue Trainer, mit ihm vorhat, das weiß er noch nicht. Gerüchte besagen, dass er aus dem zentralen Mittelfeld in die zentrale Verteidigung versetzt werden könnte. Doch das sind einstweilen Gedankenspiele. Sein Vertrag gilt bis Sommer 2012, in der Leverkusener Führung gibt es aber genügend Fürsprecher, die seine Beschäftigung verlängern möchten.

Reiner Calmund, Ballacks ehemaliger Chef bei Bayer Leverkusen und wie Rudi Völler ein großer Verehrer, hat vor einiger Zeit die Prognose gewagt, dass Michael Ballack nach seiner aktiven Karriere der Tradition anderer großer Nationalspieler folgt und in angemessener Ferne als Bundestrainer in den Fußball zurückkehrt: "Er hat einen eigenen Kopf, klare Vorstellungen, die Erfahrung, die Ausstrahlung, er weiß, worauf es im Fußball ankommt." Warum nicht? Auch Franz Beckenbauer, Rudi Völler und Jürgen Klinsmann schienen beizeiten in dieser Position undenkbar.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: