Nationalelf: Manuel Neuer:Loyal die Schalker Seele retten

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Vor dem Italien-Länderspiel fällt der Fokus auf Nationalkeeper Manuel Neuer. Der trägt bei Schalke 04 enorme Verantwortung und sucht nach Auswegen für seinen Klub - ausgerechnet beim alten Rivalen aus Dortmund.

Philipp Selldorf

Manuel Neuer hat sich ausbedungen, dass man mit ihm über alles reden könne, aber nicht über Bayern München. Die Bayern sind für ihn zwar kein sittlich fragwürdiges Tabuthema, aber ein Gesprächsgegenstand, der ihn nervt und langweilt, weil er außer stereotypen Vertröstungen dazu nichts beisteuern kann - und will. Er reagiert daher mit einem überraschten Lächeln, als er hört, dass es in diesem Gespräch nicht um seine denkbare Verbindung nach München gehen soll, sondern um seine Erfahrungen in der Gegenwart. "Das ist schön", sagt er zu dieser "Abwechslung" beim Dialog mit der Öffentlichkeit.

Trägt viel Verantwortung: der deutsche Nationaltorwart Manuel Neuer. (Foto: dpa)

Andererseits ist die Gegenwart für ihn auch nicht so richtig heiter. Neuer könnte zwar mit sich und der Welt zufrieden sein. Weil er beim Länderspiel gegen Italien seinen 16. Einsatz für die Nationalelf bestreiten wird. Weil er jetzt sozusagen amtlich anerkannt wird als Erbfolger Oliver Kahns und Jens Lehmanns, sowohl vom Rivalen René Adler wie vom Bundestrainer Löw.

Und weil ihn neuerdings selbst seine härtesten Gegner, die Leute von Borussia Dortmund, als besten Torwart der Welt preisen. Aber Neuer hat schon unbeschwerter gewirkt als an diesem sonnigen Dienstagvormittag in der Sportschule Kaiserau in Kamen.

Der Glanz des rasanten persönlichen Aufstiegs in die Reihe der besten Spezialisten seines Fachs (er selbst sieht Buffon, Cech und Casillas als maßgebend) wird durch den schwierigen Alltag bei Schalke verdunkelt. Torwart, so scheint es, ist er zurzeit eher nebenbei. Der Rest ist ein gewaltiger Berg Verantwortung, denn hauptberuflich ist Neuer Kapitän und Krisenmanager bei Schalke 04, aber auch das reicht noch nicht.

Obendrein sieht ihn das Publikum als letzten verbliebenen Bewahrer der wahren Schalker Seele, was sich weniger gegen seine Mitspieler aus aller Welt richtet als gegen die eisgekühlte und inzwischen doch sehr umstrittene Vorgehensweise seines Vorgesetzten Felix Magath. Allein deshalb kann und will Manuel Neuer nicht über Bayern München reden. Den Zwiespalt merkt man ihm an.

Identitätskrisen wie diese hat Neuer in den viereinhalb Jahren, die er dem Schalker Profiteam angehört, schon einige mitgemacht. "Es wird natürlich jetzt wieder viel schlecht geredet, auf Schalke ist ja oft Theater", sagt er. Aber nachdem Magath im Sommer Altgediente wie Asamoah, Bordon, Rafinha oder Kuranyi verabschiedet und ihn zum Kapitän ernannt hat, muss Neuer dieses aufgeregte Theater als Vorstandschef der Mannschaft vertreten.

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Dieser Aufgabe will er auf beiden Wegen gerecht werden: Er versucht, Magath loyal zu stützen, und er versucht, dem gesellschaftlichen Frieden in Schalke zu dienen. Er spricht von den Mühen der "Umbruchsaison" und Magaths Absicht, nach dem Vorbild zum Beispiel von Leverkusen "besseren Fußball spielen zu lassen", denn vorige Saison, das fügt Neuer aus Überzeugung an, "haben wir über unsere Verhältnisse gespielt: mit viel Kampf und immer am Limit. Zur Zeit geht es halt nicht über diese Schiene."

Inzwischen bekennt er sich sogar dazu, die Methoden von Dortmund zu bewundern: "Die machen es uns ja vor, sie sind eine super Mannschaft, wir würden das auch gern haben." Der BVB könne für Schalke "ein guter Vorreiter für die nächsten Jahre" sein, sagt er. Irgendwie klingt es wie eine Empfehlung, die er seinem Klub als Vermächtnis hinterlässt.

Die Frage ist, ob Neuer, der im März 25 Jahre alt wird, womöglich zu viel Verantwortung in dem Verein trägt, dem er seit Kindertagen angehört. Zumal er sich zugleich mit eigenen Karriereplänen beschäftigen muss. "Nicht unbedingt", erwidert er. "Ich weiß schon, dass ich eine hohe Verantwortung habe, aber ich habe kein Problem damit - nur würde ich mir manchmal wünschen, dass ich auch ein paar Tore schießen dürfte." Es ist ein Scherz - und eine Ausflucht aus Verlegenheit. In Schalke sagen die Leute, die ständig mit ihm zu tun haben, dass er schwer an seiner Aufgabe trägt, aber auch zusehends gereift ist, nachdem er im Juli noch fröhlich und in alter Unbefangenheit aus dem WM-Urlaub heimkehrte.

Früher hat Neuer unter den Niederlagen seines Vereins mehr gelitten als heute, besonders dann, wenn Schalke in fremden Stadien verloren hatte. Er hatte dann immer seine Freunde aus der Nachbarschaft in Gelsenkirchen-Buer im Sinn und bekam ein schlechtes Gewissen: "Meine Jungs sind mit zum Auswärtsspiel gefahren, und jetzt hast du sie unglücklich gemacht", hat er sich gedacht, "die fahren jetzt mit dem Bulli nach Hause und sind frustriert."

Inzwischen hat er sich das schlechte Gewissen abgewöhnt, die Freunde drängen ihn auch nicht mehr, über Schalke zu erzählen: "Sie trauen sich ja gar nicht mehr, mich zu fragen. Die Jungs wissen, dass das ein richtiger Job ist, den ich da habe, und dass manche Dinge eben nicht gehen", sagt Neuer. Der Ernst des Lebens, das hat er in dieser Saison gelernt, macht vor niemandem Halt.

© SZ vom 09.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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