Nationalelf: Kevin Kuranyi:Einen Spalt geöffnet

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Trainer Löw hat die Entscheidung über die Wiederaufnahme Kuranyis in den WM-Kader erst einmal vertagt. Doch immerhin steht damit die Tür für den Schalker wieder ein wenig offen.

Christof Kneer

"Akribisch" und "absolut" sind zwei Begriffe, ohne die Joachim Löw nicht denkbar wäre. Er sagt sie gerne und oft, und es spricht für den Bundestrainer, dass es sich nicht um antrainierte Stanzen handelt, sondern um wortgewordene Überzeugungen. Löw ist so: akribisch und absolut.

Er ist ein absolut akribischer Sportlehrer, der sich nichts sehnlicher wünscht, als einfach nur die Probleme auf dem Fußballfeld zu lösen.

So ist die Klausurtagung in Baiersbronn im Schwarzwald ursprünglich auch geplant gewesen: Dort wollte er mit seinen Assistenten Hansi Flick und Andreas Köpke sowie Mastermind Urs Siegenthaler einen absolut akribisch ausgetüftelten Fahrplan durch die WM-Wochen erstellen - aus aktuellem Anlass musste sich Löw aber auch mit einer Personalie befassen, die zuletzt so aufgeregt besprochen wurde, wie Löw das absolut nicht mag: mit der Personalie Kevin Kuranyi.

"Natürlich ist auch über dieses Thema gesprochen worden", bestätigte Löw am Mittwochabend auf dfb.tv und fügte an, er sei sich seiner "Verantwortung als Bundestrainer absolut bewusst". Er habe "Verständnis für diese öffentliche Diskussion", andererseits wolle er sich "vom öffentlichen Druck nicht treiben lassen". Die - von manchen in der Branche erwartete - feierliche Wiederaufnahme Kuranyis in den WM-Kader war das nicht gerade, aber immerhin: Es war auch keine Erneuerung des Bannes, den Löw einst nach Kuranyis Tribünenflucht verhängt hatte.

Der Schalker ist also demonstrativ nicht mehr ausgeschlossen, er wird zumindest ein bisschen wieder in die DFB-Abläufe eingegliedert: Er wird bis zur Nominierung des vorläufigen WM-Kaders am 6. Mai ebenso (absolut) akribisch von den DFB-Scouts beobachtet werden wie Miroslav Klose oder Christian Träsch. Bis Ende April werde man "auch in der Sache Kuranyi rechtzeitig bekannt geben, wie unsere Entscheidung ausgefallen ist", sagte Löw. Und die endgültige Entscheidung wird der Sportlehrer Löw fällen, nicht der Tugendwart.

Mit dieser Variante könnte es dem Bundestrainer gelingen, ein unlösbar gewordenes Problem wenigstens halbwegs zu lösen. Durch Löws Satz, unter seiner Regie werde Kuranyi nie mehr eingeladen, hatte sich der Fall ja immer mehr zu einer Art Lose-Lose-Situation verdichtet: Würde Löw unversöhnlich bleiben, würde man ihm Sturheit vorwerfen. Würde er Kuranyi begnadigen, würde man ihm vorwerfen, aus einer sportlichen Notsituation heraus den eigenen Prinzipien untreu zu werden. So ist Löw nichts anderes übrig geblieben als dies: weder unversöhnlich zu bleiben noch zu begnadigen.

Durch die erneute Vertagung der Personalie hat Löw nun Zeit gewonnen, und er hat die Tür, die zugeschlagen war, immerhin einen Spalt geöffnet. Ob Kuranyi hindurchschlüpft, entscheiden neben Löw in erster Linie Mario Gomez, Miroslav Klose und Lukas Podolski. Gewinnt Löw im Liga-Endspurt das Gefühl, dass er seine Angreifer im Trainingslager hinbekommt, wird Kuranyi zu Hause bleiben. Andernfalls könnte die Beobachtung durch die DFB-Scouts die Erkenntnis erbringen, dass Kuranyi vielleicht doch WM-tauglich ist.

© SZ vom 15.4.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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