Süddeutsche Zeitung

Nationalelf: Joachim Löw:Die Sonne strahlt seltener

Von Bundestrainer Löw geht derzeit ein gewisses Leuchten aus: Seine zufriedene Lässigkeit vor dem Kasachstan-Spiel steht in Kontrast zur wilden Hektik der Bundesliga.

Philipp Selldorf

Joachim Löw kam gegen halb eins von der Feldarbeit mit seiner Nationalmannschaft zurück, er betrat das Teamhotel aber nicht im Zeichen der Mühsal, sondern mit der genießerischen Gelassenheit eines Mannes, für den das Leben vorwiegend eine Annehmlichkeit ist. Sein Gang hatte das Schlendertempo des Flaneurs, und seine Grüße an die Umstehenden entrichtete er mit einem an Erhabenheit grenzenden Selbstbewusstsein, das aber keineswegs mit Arroganz zu verwechseln ist. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass vom deutschen Bundestrainer dieser Tage ein gewisses Leuchten ausgeht, das mit dem Sonnenschein über dem DFB-Hotel am Mainzer Rheinufer konkurrieren kann. Die Sonne, das ist ihr Wettbewerbsnachteil, geht abends unter, und dann erfreut sich Löw immer noch seines gelungenen Daseins.

Die zufriedene Lässigkeit des Bundestrainers steht in Kontrast zu den Zuständen in der sonstigen Fußballwelt. Während Löw nach dem Vormittagstraining durch das Hotel spazierte, sammelte eine Viertelstunde Autofahrt entfernt der Kollege Christoph Daum die Massen und die Mikrofone um sich, um seinen Notarzteinsatz bei Eintracht Frankfurt zu erläutern.

Von der wilden Hektik der Bundesliga ist die bedeutendste deutsche Fußballmannschaft so weit entfernt, dass man meinen könnte, es handele sich um zweierlei Sportarten. Dabei stehen am Samstag auch für Löw und seine Leute Punkte auf dem Spiel, und selbst wenn der Gegner den nur mäßig furchteinflößenden Namen Kasachstan trägt, so ist die Partie in Kaiserslautern eine ernste Sache. Es geht um die Zulassung zur EM 2012, wo die Deutschen nicht fehlen dürfen. So verlangt es das Grundgesetz.

Löw hört es deswegen auch nicht gern, wenn behauptet wird, die vom DFB so wohlbehütete Nationalmannschaft bilde eine Oase fern der rauen Wirklichkeit. "Auch wir sind dem Erfolgsdenken unterworfen", hat er in Mainz entsprechende Verdächtigungen dementiert und darauf verwiesen, dass es ja auch um seine Abteilung "in den vergangenen Jahren Konflikte gab". Derzeit ist das allerdings tatsächlich nicht mehr als ein historischer Verweis. So geordnet wie heute waren die inneren und äußeren Verhältnisse rund um das DFB-Eliteteam seit langem nicht.

In der vorigen Woche hat das von Löw gelenkte Führungsquartett die Verträge bis zum WM-Turnier 2014 in Brasilien verlängert, und das Einvernehmen mit dem Arbeitgeber war so groß, dass für dieses Vertragswerk nicht mehr vonnöten war als ein paar Vorgespräche und ein halber Vormittag konkreten Verhandelns. Dass nun Sportdirektor Matthias Sammer - jahrelang eine rivalisierende Parallelinstanz im Verband - im Begriff ist, ebenfalls eine langfristige Zusammenarbeit abzumachen, stört niemanden. Sammer ist keine politische Personalie mehr für Löw und seine Mitstreiter.

Es ist auch ein Fortschritt, dass die Nationalmannschaft nicht mehr als das Sanatorium des deutschen Fußballs fungieren muss, weil die Bundesliga sportlich vorangekommen ist. Ein Spieler wie Lukas Podolski kommt nicht mehr zu den Länderspielen, um sich vom Alltagsleid im heimischen Betrieb kurieren zu lassen; er kommt jetzt, weil er in seinem Klub gut spielt - Ausnahmen wie Miroslav Klose oder Arne Friedrich bestätigen die Regel.

Das führt dazu, dass Spieler wie Marco Marin, Kevin Großkreutz, Stefan Kießling oder Heiko Westermann auf einmal keine Einladung mehr erhalten, wobei letzterer vom Bundestrainer damit getröstet wurde, er habe "praktisch schon die Zusage", zum nächsten Treffen des Teams Ende Mai wieder hinzu gebeten zu werden. Solche Zusagen haben Spieler wie Serdar Tasci oder Pjotr Trochowski vorerst nicht mehr zu erwarten. Ihre Erfahrungen während der Weltmeisterschaft sollten sie in guter Erinnerung behalten, es könnten die letzten Erlebnisse mit dem Nationalteam gewesen sein. Die nächste Generation drängt in den Kader, in Mainz ist sie vertreten durch André Schürrle, Mario Götze oder Sven Bender.

Kritik? Doch, die gibt es. Jupp Heynckes hat Löw am Wochenende Ungerechtigkeit vorgeworfen, weil er Simon Rolfes nicht nominiert hat. Aber es sind auch solche kaum vermeidlichen Ungerechtigkeiten, die Joachim Löw das gute Gefühl geben, dass er seinen Beruf genießen darf.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1076307
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.03.2011/jüst
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.