Süddeutsche Zeitung

Naomi Osaka bei den US Open:Alles, aber keine Roboter-Superheldin

Naomi Osaka plaudert vor den US Open offen über sich, ihre Probleme, die Fähigkeit, Privates vom Platz fernzuhalten - und die Suche nach der einen Sache, die sie dieses Mal antreiben könnte.

Von Jürgen Schmieder, New York

Der Detective Keith L Williams Park ist nur acht Kilometer von der Tennisanlage in Flushing Meadows entfernt, es ist ein netter Spaziergang durch den Corona-Park, vorbei an Zoo und Botanischem Garten, und doch ist es eine völlig andere Welt: An dem einen Ort kämpfen von Montag an Millionäre gegen Millionäre und solche, die es werden wollen, um ein Preisgeld von 57,5 Millionen Dollar sowie weltweite Aufmerksamkeit und damit Sponsorengelder. Der andere ist Treffpunkt für Straßensportler, die hier, auf den Basketballcourts, im Schwimmbecken oder auf dem Footballfeld zocken und davon träumen, irgendwann mal selbst in einem Stadion zu spielen. Was es nun auch gibt: fünf Tennisplätze mit bunten Peace-Zeichen, Musiknoten und Sponsorenlogos; Naomi Osaka hat sie entworfen und am Donnerstag eingeweiht.

Es ist ja, nachdem man die Welt erobert hat, gar nicht schlecht, an die Orte zurückzukehren, die einen geprägt haben - gerade nach einem Jahr, das für ein ganzes Leben reicht. Osakas vergangene zwölf Monate im Schnelldurchlauf: Verzicht aufs Halbfinale in Cincinnati aus Protest gegen Rassismus und Polizeigewalt; es war der erste Dominostein, der am Ende den kompletten US-Sport für einen Tag ruhen ließ. Sieg bei den US Open, bei jeder Partie trug sie eine Maske mit dem Namen eines Opfers von systematischem Rassismus. Sieg in Melbourne. Aufregung bei den French Open und Rückzug nach Runde eins, weil sie nicht an den virtuellen Pressekonferenzen teilnehmen wollte aus Sorge um ihre geistige Gesundheit. Pause, in der sie indes Fotoshootings für Sponsoren und Magazine absolvierte. Entzünden der Olympischen Fackeln bei den Spielen in Tokio, Niederlage in Runde drei. Schweres Erdbeben in Haiti, Vater Leonard stammt von dort; sie spendete das Preisgeld vom Turnier in Cincinnati, schied in Runde zwei aus. Davor hatte sie nach einer provokanten Frage eines Reporters nach Ruhm und Reichtum geweint.

Da stand sie nun also, inmitten von Kindern, sie hatte hier gelebt, nachdem sie im Alter von drei Jahren aus Japan in die USA gekommen war; mit acht zog sie um nach Florida und wurde zur Tennisspielerin ausgebildet. "All die Leute von damals, die sind immer noch da; sie wollten, dass ich meine Eltern anrufe, weil sie so viel zu erzählen haben", sagte Osaka am Freitag im Interviewraum im Arthur Ashe Stadium, der einem wirklich Angst machen kann: Akteure sitzen vor Reportern, auf gewaltigen Bildschirmen sind Journalisten von ihren Arbeitsplätzen (einer fuhr im Auto, ein anderer saß im Baseballstadion) zugeschaltet. Osaka erklärte, dass sie plaudern und scherzen würde, wenn sie sich wohl fühle - und offenbar war sie ganz gut drauf am Freitag, denn sie gewährte ein paar Einblicke darin, wie es ihr geht vor den US Open, bei denen sie trotz der Ergebnisse weiterhin als eine der Favoritinnen gilt.

Osaka sagt, manches sei für sie verwirrend, weil sie jemand ist, "der sich auf alle Dinge gleichzeitig konzentriert"

"Ich wünschte, ich könnte da einen Strich ziehen und zu einer Roboter-Superheldin werden, die alles ausblendet und sich nur auf den Platz konzentriert", sagte sie: "Das konnte man gerade zu Beginn meiner Karriere sehen: Es war an meinem Spiel zu erkennen, wenn im Privatleben was nicht gestimmt hat." Es gibt ja Künstler und Sportler, für die sind Platz oder Bühne Orte, zu denen sie vor ihren Problemen flüchten können. Freddie Mercury war so einer, Dennis Rodman sagte mal: "Ich würde umsonst Basketball spielen. Sport ist der einfache Teil dieses Berufs, bezahlt werde ich für all den Bullshit, der nebenbei passiert." Für diese Leute ist der Ort des Auftritts ein sakrosankter, weil alles andere draußen bleiben muss. Im Gegenteil: Sie sind oft besser in ihrer Kunst, wenn draußen ein Wirbelsturm tobt und sie in der Ruhe des Auges, wie man in den USA so sagt: performen.

"So bin ich leider nicht", sagt Osaka: "Ich bin jemand, der sich auf alle Dinge gleichzeitig konzentriert, deshalb ist manchmal auch alles so verworren und verwirrend für mich." Das eine habe bei ihr eben immer auch mit dem anderen zu tun, das habe sie erst lernen müssen, gerade auch in Bezug auf die Aufregung in Paris: "Ganz ehrlich: Ich glaube, dass ich damals viele Fehler gemacht habe - aber ich bin nun mal ein Mensch, der gerne im Moment lebt. Ich sage oder tue, was immer ich gerade fühle, und ich glaube nicht, dass das unbedingt schlecht ist. Es ist mir nicht bewusst gewesen, was für eine große Sache es sein würde. Das habe ich gelernt: ein bisschen darüber nachzudenken, welche Auswirkungen was haben könnte."

Es muss also das eine zum anderen passen, damit es auf dem Platz klappt; das führt angesichts der Niederlagen zuletzt in Tokio gegen Markéta Vondroušová (Nummer 40 der Weltrangliste) und Jil Teichmann (44) in Cincinnati zur Frage, wie das Gesamtkonzept Osaka für die erste Partie in New York gegen Marie Bouzková (Tschechien, Rang 86) aussehen wird. "Stimmt", sagt sie, "ich spiele besser, wenn es ein Ziel gibt, eine Bestimmung." Bei den Australian Open habe das mit dem Labyrinth auf dem Weg zum Stadion zu tun ("Was genau es ist, erzähle ich nach dem Karriereende"), bei den US Open letztes Jahr waren es Botschaften gegen Rassismus. Und heuer? "Habe ich jetzt nicht die große Botschaft. Wird interessant, was mich antreiben könnte."

Als sie das gesagt hatte, meldete sich ein kleiner Junge per Live-Video, der Nachwuchs-Journalist durfte jeweils die letzte Frage an die Stars stellen. "Sagen Sie mal, Sie haben doch Interesse an Mode. Wann entwerfen Sie mal was für Kinder?" Osaka blickte zu ihrem Manager Stuart Duguid, der nickte, also sagte sie: "Ich entwerfe gerade Schläger für Kinder, vielleicht ist das was."

Das könnte er sein, der Antrieb für Osaka, bei der private Erlebnisse, die Arbeit für Sponsoren, ein höheres Ziel und Erfolg im Tennis immer zusammenhängen: Osaka-Racket für den Nachwuchs, lachende Kinder auf dem Bolzplatz in Queens, wo für sie alles begonnen hat, und Begegnungen mit Leuten, die sich nichts sehnlicher wünschen als einen Sieg der Heldin; nur acht Kilometer und doch eine ganze Welt entfernt.

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