Naomi Osaka:Nummer eins mit 21

Nach dem Sieg steht Osaka in der Weltrangliste ganz oben. Auch, weil sie ihr deutscher Trainer voranbrachte.

Von Barbara Klimke, Melbourne

Alles lief perfekt für Naomi Osaka an diesem Abend, bis auf die Sache mit dem Zettel. Als sie den riesigen Henkelpokal in die Hand gedrückt bekam und auf den Rängen erwartungsvolle Stille eintrat, blickte sie ernst und ein wenig gedankenverloren vor sich hin. "Ich hatte mir Notizen gemacht, aber jetzt habe ich alles vergessen", erklärte sie. Es dauerte bis kurz vor Mitternacht, ehe ihr bei der Pressekonferenz wieder in den Sinn kann, was da geschrieben stand: "Ich sollte lächeln!, hatte man mir gesagt", berichtete sie entschuldigend. "Aber ich hatte wirklich Panik!"

Die Verwirrung der Gefühle war eine verständliche Reaktion auf die turbulenten Ereignisse dieses Finales. Naomi Osaka, 21, in Japan geboren, seit ihrem dritten Lebensjahr heimisch in den USA, hat am Samstag zum ersten Mal die Australian Open im Tennis gewonnen, in einem hochklassigen Endspiel, in dem sie die zweimalige Wimbledonsiegerin Petra Kvitova aus Tschechien 7:6 (2), 5:7, 6:4 bezwang. Sie darf sich seit diesem Montag auch als die neue Nummer eins der Tennisrangliste fühlen, als erste Spielerin überhaupt aus dem asiatischen Teil der Welt. Zudem hat sie das Kunststück vollbracht, binnen fünf Monaten nach den US Open 2018 das zweite Grand-Slam-Turnier für sich zu entscheiden: ein seltenes Ereignis in diesen Wettbewerben der höchsten Kategorie, in denen zuvor in acht aufeinanderfolgenden Finals acht unterschiedliche Siegerinnen triumphiert hatten.

Naomi Osaka: Obligatorische Fotosession mit Pokal: Angelique Kerber sprang vor drei Jahren am Tag nach ihrem Triumph in Melbourne in den Yarra River. Naomi Osaka spazierte nun am Brighton Beach. Und traf dort eine Möwe.

Obligatorische Fotosession mit Pokal: Angelique Kerber sprang vor drei Jahren am Tag nach ihrem Triumph in Melbourne in den Yarra River. Naomi Osaka spazierte nun am Brighton Beach. Und traf dort eine Möwe.

(Foto: Saeed Khan/AFP)

Vor allem war es ein Ende, das Naomi Osaka diesmal niemand im weiten Rund missgönnte. Freundlicher Applaus von den 15 000 Zuschauern in der Rod-Laver-Arena brandete ihr entgegen, die unterlegene Gegnerin, Petra Kvitova, 28, fand trotz ihrer eigenen, verständlichen Enttäuschung herzliche Worte. Es gab keine Buhrufe, keine Brüllerei, keine bizarren Szenen wie noch im vergangenen September in Flushing Meadows. In New York hatte sich das Stadionpublikum mit der tobenden US-amerikanischen Verliererin Serena Williams solidarisiert, die sich vom Schiedsrichter ungerecht behandelt sah und ihm groteskerweise Sexismus vorwarf. Naomi Osaka, die als Gewinnerin daneben stand, wurde beim bis dahin bedeutendsten Triumph ihrer noch jungen Tenniskarriere um einen unwiederbringlichen Moment betrogen. Man sah eine heimliche Träne über ihre Wange rollen.

Die Australier, Ausrichter des so genannten "Happy Slam" unter warmer Sommersonne, hingegen betrieben Wiedergutmachung, sogar unabsichtlich. Das war Balsam auf die Seele. Das Finale fiel zufällig auf den Nationalfeiertag, Australia Day, und so stiegen bunte Feuerwerksraketen bereits in den Nachthimmel über Melbourne, als Naomi Osaka, die über einen der härtesten Aufschläge im Frauentennis verfügt, zu Beginn des zweiten Satzes 4:2 führte. Den ersten hatte sie im Tiebreak gewonnen, weil es ihr zunehmend besser gelang, sich auf die schwer auszurechnenden Aufschläge der Linkshänderin Kvitova einzustellen. Die beiden hatten sich zuvor noch nie duelliert. Osaka war nervös, wie sie später sagte, sie habe einer Rivalin gegenübergestanden, die "als fast unschlagbar" gilt. "Und ich wusste nicht wirklich, was mir bevorstand."

Die Endspiele seit 2010

2010 S. Williams (1) - Henin (WC) 6:4, 3:6, 6:2

2011 Clijsters (3) - Li Na (9) 3:6, 6:3, 6:3

2012 Asarenka (3) - Scharapowa (4) 6:3, 6:0

2013 Asarenka (1) - Li Na (6) 4:6, 6:4, 6:3

2014 Li Na (4) - Cibulkova (20) 7:6 (3), 6:0

2015 S. Williams (1) - Scharapowa (2) 6:3, 7:6 (5)

2016 Kerber (7) - S. Williams (1) 6:4, 3:6, 6:4

2017 S. Williams (1) - V. Williams (13) 6:4, 6:4

2018 Wozniacki (2) - Halep (1) 7:6 (2), 3:6, 6:4

2019 Osaka (4) - Kvitova (8) 7:6 (2), 5:7, 6:4

Beim Stand von 5:3 hatte sich die mutige Osaka bereits drei Matchbälle erspielt, als sie Schwächen zeigte: Sie vergab alle drei durch relativ leichte Fehler, verlor den Durchgang und marschierte kurz aus der Halle zur Toilette, um die Tränen zu trocken: "Ich dachte mir, ich kann hier schließlich nicht unreif auftreten!" Dann rappelte sie sich auf und gewann gegen die brillant spielende Kvitova, die sie schon als Teenager bewundert hatte, den dritten Satz.

Für Kvitova war es ein "schmerzlicher Abend", wie sie einräumte. Sie war ohne Satzverlust durch dieses Zweiwochenturnier bis ins Finale gelangt und hatte sich berechtigte Hoffnungen auf ihren dritten Grand-Slam-Titel gemacht: Es wäre der erste gewesen, seit sie den Messerangriff eines Einbrechers in ihrer Wohnung im Dezember 2016 abgewehrt und in die Klinge gegriffen hatte. Die Sehnen in allen fünf Fingern ihrer Schlaghand wurden durchtrennt; die Fortsetzung ihrer Karriere war lange ungewiss. Was sie mitnimmt aus diesem Turnier, ist die Gewissheit, als neue Weltranglisten-Zweite eine Position erreicht zu haben, die ihren eigenen, wieder erreichten höchsten Standard reflektiert: "Aber meine Hand ist nicht 100 Prozent ausgeheilt und wird es auch nicht werden." Naomi Osaka ist nun die jüngste Nummer eins seit neun Jahren (Caroline Wozniacki, damals 20), und ihr rapider Aufstieg wirkt umso erstaunlicher, weil sie vor zwölf Monaten noch mehr als 70 Plätze weiter hinten rangierte. Ihr deutscher Trainer Sascha Bajin, den sie Ende 2017 verpflichtete, "weil er immer so eine positive Ausstrahlung hat", wie sie sagte, hat ihr nach eigener Auskunft nicht mehr viel beibringen können: "Sie war von Anfang an eine Spielerin mit harten Schlägen". Stattdessen, so berichtete Bajin dieser Tage, habe er ihr erzählt, dass sie auch andere Dinge mit einem Ball anstellen könne, als ihn mit maximaler Kraft übers Netz zu donnern: "Wir haben an allem ein bisschen gearbeitet, an den Winkeln, am Slice." Osaka führte ihren Durchmarsch durch sieben Matches in Melbourne auch darauf zurück, dass sie bei Rückständen gelernt habe, sich "mit purer Willenskraft" durchzusetzen.

190126 MELBOURNE Jan 26 2019 Xinhua Naomi Osaka of Japan celebrates winning the women s

Zweiter Sieg bei einem Major nacheinander: Naomi Osaka ist nach ihrem Triumph bei den US Open auch noch die erste japanische Siegerin der Australian Open, die sich als das „Turnier des asiatisch-pazifischen Raums“ vermarkten.

(Foto: Xinhua/imago)

Sie wird nun vor allem in Japan, wo ihre Großeltern wohnen, zu noch deutlich größerer Popularität gelangen (). Sie ist die erste japanische Siegerin der Australian Open, die sich als das "Turnier des asiatisch-pazifischen Raums" vermarkten. Zunächst aber hat sie sich vorgenommen, im Frühjahr die aufeinanderfolgenden Turniere in Indian Wells und Miami zu gewinnen. Und zwar beide, hintereinander weg. "Ich bin ja gerade in so einem Flow", sagte sie. Und diesmal vergaß sie nicht zu lächeln.

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