Süddeutsche Zeitung

Naomi Osaka bei Olympia:Zu schwer

Wie die Tennisspielerin Naomi Osaka ihren Frieden macht mit der Welt unter der Obhut der Ringe - das sollte eine der großen olympischen Geschichten werden. Ihr Achtelfinal-Aus zeigt, wie sehr die 23-Jährige mit dieser Rolle überfordert ist.

Von Holger Gertz, Tokio

Alle warteten auf Naomi Osaka, aber es kam Lucy Ann Ambrose. Lucy Ann Ambrose ist Supervisorin auf der olympischen Tennisanlage in Tokio, schwer verkabelt, immer mit dickem Planungsbuch in der Hand, und wenn sie sagt, dass etwas nicht geht, wenn es also nicht in diesem Buch steht - dann braucht man sich keine Hoffnungen machen. Die Seite, die sie aufgeschlagen hat, war leer. Nein, sagte Lucy Ann Ambrose, niemand brauche länger warten. "Naomi Osaka wird nicht kommen." Da standen dann die Reporter und Reporterinnen und Fotografen in der Mixed Zone, wo sie normalerweise ein paar Worte kriegen von den Sportlern hier bei Olympia. Und einige warteten auch nach der Durchsage von Frau Ambrose einfach noch weiter. Kann ja manchmal nicht schaden.

Denn im Prinzip warten immer alle auf Naomi Osaka, Tochter einer Japanerin und eines Haitianers. Jeder hat schließlich etwas zu erwarten von einer Weltklassetennisspielerin, Werbeikone, Multimillionärin, Freiheitskämpferin, Frau mit Geschäftssinn, Frau mit politischem Bewusstsein, komplett gläsern zugleich und absolut verschlossen. "Ich habe gemerkt, dass die Leute keine Rücksicht auf die psychische Verfassung der Athleten nehmen, und das wird mir auf Pressekonferenzen immer wieder bewusst", hatte sie vor Wochen ins Netz geschrieben, kurz danach hatte sie von ihren Depressionen erzählt. Dass jemand die Medien verantwortlich macht für die eigene Verfasstheit, kommt selten vor und wirkte natürlich auch anmaßend. "Die Medien" gibt es nicht. Und ohne die Berichterstattung, die Naomi Osaka so verabscheut, wäre sie nicht so populär geworden, wie sie ist.

Wenn sie nun also Journalisten nach einem Tennisspiel warten lässt, lässt sich auch das natürlich wieder als Signal deuten dafür, dass ihr Freiheitskampf weitergeht. Bei einem Star vom Format einer Osaka ist alles überlebensgroß: ihre Fights, ihre Siege, ihre Niederlagen.

Bei Olympia hatte sie noch etwas Gewicht draufgepackt, als Flammenentzünderin bei der Eröffnungszeremonie. Sie war endgültig zum Gesicht der Spiele gemacht worden, aber auch so etwas geschieht nicht ohne eigene Bereitschaft. Osaka, Ikone mit dem neuerdings in japanische Nationalfarben getauchten Haar, schien klarzukommen mit ihrer Rolle, gewann in der ersten Runde, in der zweiten. Und schon konnte man aus den Berichten herauslesen, dass da eine Heldengeschichte im Werden war, sicher sehr zur Freude der Zeremonienmeister hier in Tokio: Wie Naomi ihren Frieden macht mit der Welt, unter der Obhut der olympischen Friedensstifter.

Das Achtelfinale gegen Marketa Vondrousova aus Tschechien fand unter geschlossenem Dach statt, es regnete in Tokio, und tatsächlich war es eines dieser Spiele, in denen man vom ersten Aufschlag spürt, dass etwas schräg läuft. Osaka wirkte überhastet, hatte immer die falsche Länge in den Bällen, und nachdem sie da draußen so viele Kämpfe kämpft, kämpfte sie im Inneren dieses Spiels auch noch mit der Netzkante, die zermürbend oft dafür sorgte, dass Osakas Bälle auf der falschen Seite niedergingen. Vondrousova dagegen, French-Open-Finalistin von 2019: präzise, druckvoll, souverän, exzellente Stoppbälle. Nach 24 Minuten hatte die Tschechin den ersten Satz gewonnen, 6:1, danach sah es für Momente so aus, als käme Osaka noch mal, sie war ein Break vorne, gab es her - und Vondrousova ließ sich später zu zwei Doppelfehlern in einem Aufschlagspiel herab, streute aber im gleichen Spiel auch zwei ihrer irrsinnigen Stopps ein.

"Der Schlüssel ist: Ich glaube an mich, von der Sekunde an, in der ich auf den Platz gehe", sagte Marketa Vondrousova nach dem Spiel zu den Journalisten, die nicht lange auf sie warten mussten.

Am Ende erscheint das Gesicht der Spiele doch noch in der Mixed Zone

Osaka hätte womöglich den Push, den sie gebraucht hätte, von außen bekommen, wenn Leute da gewesen wären, ihr Publikum. Aber ihr Publikum musste ja, wie jedes andere Publikum auch, draußen bleiben. In solchen Momenten wirkt dieses Olympia schal. Jemand auf dem Platz ist in Not, und die Menge kann nichts für ihn tun. Die Menge ist ja nicht da. Stattdessen jagte die Hallenregie noch kurz vor Spielende "Prisoner" über die Lautsprecher, ein Song, in dem die jungen Megastars Miley Cyrus und Dua Lipa über Aufstieg und Untergang nachdenken. "I tasted heaven, now I can't live without it." Aber der junge Megastar Naomi Osaka schaute zu Boden und hörte nicht hin. Das Spiel war dann bald weg, 1:6, 4:6.

Danach ist Naomi Osaka tatsächlich doch noch in der Mixed Zone erschienen, eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Aber nach so einem Match ist nichts selbstverständlich. Das Gesicht der Spiele sah verheult aus, traurig - und sehr jung. Naomi Osaka ist erst 23. Man sollte das nicht vergessen. Sie sprach über den Druck, sie sprach noch mal über den Druck. Sie sagte: "Ich denke, es liegt vielleicht daran, dass ich noch nie bei den Olympischen Spielen gespielt habe - und im ersten Jahr war es ein bisschen viel." Und dann war sie verschwunden.

Die Siegerin Vondrousova hatte vorher ihr Mitgefühl für die Verliererin ausdrücken wollen, sie hatte gesagt: "Ich kenne den Druck." Bei allem Respekt: Den Druck kennt sie nicht.

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