Naomi Osaka:An den Rand gedrängt und trotzdem ganz oben

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Blieb ruhig und besiegte am Ende das Idol ihrer Kindheit: US-Open-Gewinnerin Naomi Osaka. (Foto: AFP)
  • Naomi Osaka hat als erste Japanerin einen Einzeltitel bei einem Grand-Slam-Turnier gewonnen - und dabei die Heldin ihrer Kindheit besiegt.
  • Die jedoch, Serena Williams, bekam während der Partie Wutanfälle und spielte sich so in den Vordergrund des Matches.
  • Osaka aber reagierte professionell: Sie besiegte Williams souverän - und versprach anschließend, sie werde sich "an die Serena erinnern, die ich liebe".

Von Jürgen Schmieder, New York

Es reden nun alle über Serena Williams, weil ja auch alle gesehen haben, was passiert ist beim Frauenfinale der US Open: Sie hat die Kontrolle über sich verloren und die Etikette dieses Sports besudelt, weil sie die strengen, aber korrekten Entscheidungen von Schiedsrichter Carlos Ramos nicht akzeptieren wollte. Williams war der Fixpunkt des Finales, so wie Williams immer der Fixpunkt sein muss, wo immer sie auftritt. Wenn jemand derart wütend ins Zentrum eines Bildes drängt, dann vergessen die Leute bisweilen, was am Rand passiert, obwohl dort der interessantere Aspekt dieser Partie zu sehen gewesen ist, weil er verdeutlicht, warum dieses Endspiel so ausgegangen ist, wie es ausgegangen ist, 6:2, 6:4 für Naomi Osaka.

In der Mitte dieses Bildes zetert Williams, sie kreischt und weint, sie droht und nötigt, sie beleidigt und beschimpft. In der Ecke steht Osaka, alleine, beinahe einsam, niemand kümmert sich um sie. Sie betrachtet die Saiten ihre Schlägers, sie lockert ihre Beine, sie rückt ihre Schirmmütze zurecht, dem Chaos im Zentrum kehrt sie den Rücken zu. Das hört sich so einfach an: gelassen und gleichmütig bleiben - doch wer kann das schon, wenn um einen herum alle durchdrehen, wenn das Idol der Kindheit einen Tobsuchtsanfall hat und mehr als 23 000 Leute in der größten Tennisarena der Welt die Haltbarkeit ihrer Stimmbänder testen? Wenn alle gegen einen sind, obwohl man überhaupt nichts getan hat?

Sieg bei den US Open
:Osaka trotzt Williams' Wutanfall

Naomi Osaska gewinnt als erste Japanerin ein Grand-Slam-Turnier. Im Finale der US Open besiegt sie Serena Williams, die die Kontrolle verliert und den Schiedsrichter beschimpft.

Von Jürgen Schmieder

"Ich habe mich nur auf mich selbst konzentriert", sagte Osaka danach, es klingt wie eine Floskel, doch wenn man sich die Bilder dieser Momente im zweiten Durchgang noch einmal ansieht, dann darf man ihr glauben, dass es so gewesen sein muss: Sie steht da, sie wartet, und dann spielt sie einfach weiter. Sie ist 20 Jahre alt, es ist das erste Grand-Slam-Finale ihres Lebens gewesen, und sie hat so ziemlich alles richtig gemacht, sportlich wie menschlich. Irgendwann in ferner Zukunft, wenn nicht mehr alle über Williams sprechen, wird sich Osaka diese Partie noch einmal ansehen, und dann wird sie begreifen, was da wirklich passiert ist an diesem Samstagnachmittag, und was sie geleistet hat.

Sie dürfte sehen, dass sie im ersten Satz die flinkere, aggressivere, präzisere, kurz: die bessere Spielerin gewesen ist. Sie dürfte sehen, dass sie sich zu Beginn des zweiten Satzes gegen die aufkommende Williams gewehrt hat, die solche Partien so häufig gedreht hat in ihrer Karriere, weil sie sich an sich selbst berauscht und ihre Gegnerinnen eingeschüchtert hat. Osaka blieb mutig und aggressiv, und der erste Wutausbruch von Williams hatte nichts mit dem Referee zu tun, sondern mit Williams' Ärger über das unbekümmerte Spiel ihrer frechen, nicht zu bändigenden Gegnerin.

Osaka hat ein Comeback von Williams nicht mehr zugelassen

Williams hatte zuvor eine Verwarnung kassiert, weil ihr Trainer Patrick Mouratoglou ihr per Gesten zu verstehen gegeben hatte, bitte häufiger ans Netz zu rücken - und das danach im TV-Interview auch zugegeben hat: "Ich habe sie gecoacht, aber sie hat mich nicht gesehen. Der Trainer von Osaka hat auch die komplette Partie über gecoacht." Es lässt sich vortrefflich darüber streiten, ob dieses Coaching-Verbot eine sinnvolle Regel ist und ob diese Regel in einem Grand-Slam-Finale derart streng ausgelegt werden muss. Es ist jedoch nicht wirklich was passiert. Es ist eine Verwarnung gewesen, mehr nicht, das kommt in beinahe jedem Spiel vor, und Serena Williams sprach danach relativ gelassen mit Ramos, beharrte nur darauf, "lieber zu verlieren, als zu schummeln".

Es war Osakas Weigerung, dieses Comeback zuzulassen, die Williams zur fachgerechten Zertrümmerung ihres Spielgeräts verleitete und die Amerikanerin zu einem Zug werden ließ, der geradewegs auf ein Bergmassiv zuraste - anstatt zu bremsen, legte sie noch ein paar Kohlen hinterher. Osaka dagegen blieb bewusst am Rand des Bildes, sie beobachtete dieses Zugunglück noch nicht einmal, und Minuten später servierte sie zum Turniergewinn, wie das nur Wesen tun, denen die Natur Eiswasser statt Blut in die Adern gefüllt hat: "Ich wollte einfach nur die Linien treffen, weil sie eine derart großartige Rückschlägerin ist." Auch das hört sich banal an, doch wieder sollte man fragen: Wem gelingt das schon?

Wenn Osaka dieses Finale betrachtet, dann dürfte sie auch darüber nachdenken, wie das so gewesen ist mit ihr und dem Tennisspielen. Ihr Vater Leonard Francois hatte 1999 - da war Naomi gerade ein Jahr alt - im Fernsehen eine Partie der Williams-Schwestern gesehen, und er überlegte sich, dass dies auch der adäquate Sport sein könnte für seine beiden Töchter Naomi und die nur 18 Monate ältere Mari (in der Weltrangliste derzeit auf Platz 350). Naomi sagt dazu: "Ich habe in der dritten Klasse ein Porträt über Serena verfasst, ich habe alles schön ausgemalt und behauptet, dass ich mal so werden will wie sie."

Sie hat schon bemerkt, dass Williams ihr danach fair gratuliert, sie in den Arm genommen und den Mob im Stadion zur Ruhe ermahnt hat. "Ich werde mich an die Serena erinnern, die ich liebe. Daran wird sich nichts ändern, zu mir war sie sehr nett", sagte Osaka, und als sie noch einmal nach Williams gefragt wurde, begann sie zu weinen. Alles bei diesem Turnier, von Begünstigungen bei der Setzliste bis hin zu freundlichen Ansetzungen bei extremen Wetterbedingungen, war so ausgelegt, dass Williams ihren 24. Grand-Slam-Titel gewinnt und zu Rekordfrau Margaret Court aufschließt: "Natürlich weiß ich, dass sie diesen Titel unbedingt haben will", sagte Osaka. "Jeder weiß das. Es war in der Werbung und überall zu sehen. Wenn ich auf dem Platz bin, dann bin ich kein Fan von ihr. Dann bin ich eine Tennisspielerin, die gegen eine andere Tennisspielerin antritt."

Es war Osaka anzumerken, dass sie doch ziemlich mitgenommen war von dem, was da zuvor auf dem Platz passiert war. Sie hatte Historisches erreicht, sie hatte als erste Japanerin einen Einzeltitel bei einem Grand-Slam-Turnier gewonnen, und sie hatte dabei das Idol ihrer Kindheit besiegt: "Als ich sie am Netz umarmt habe, da habe ich mich wie ein kleines Kind gefühlt." Es war ihr Moment, es war ihr Triumph, doch sie wurde auch danach an die Seite gedrängt von Williams, die sich nicht beruhigen wollte und dem Schiedsrichter später auch noch Sexismus vorwarf und sich selbst zur generösen Verliererin stilisierte. So etwas muss eine 20 Jahre alte Sportlerin erst einmal verarbeiten, doch angesichts der Bilder von diesem Finale stehen die Chancen dafür doch sehr gut.

Als sie fertig war mit all den Terminen, die eine Open-Siegerin absolvieren muss, ging Osaka hinauf in den Aufenthaltsraum im Arthur Ashe Stadium. Dort warteten ihr Trainer Aleksandar Bajin, ihre Mutter Tamaki, ihr Vater Leonard Francois, Freunde. Sie umarmte alle, und sie lächelte. Sie war nun der Mittelpunkt. Endlich.

© SZ vom 10.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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