Wimbledon:Nadal verhindert das Aus mit letzter Kraft

Day Ten: The Championships - Wimbledon 2022

Dem Aus von der Schippe gesprungen: Rafael Nadal trifft nun auf Nick Kyrgios.

(Foto: Getty Images)

Trotz einer Bauchmuskelverletzung rettet sich der Spanier in einer dramatischen Viertelfinalpartie in den fünften Satz - und ringt den Amerikaner Taylor Fritz im Match-Tie-Break nieder. Nun wartet am Freitag der Exzentriker Nick Kyrgios.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Die Partie auf dem Centre Court hatte zu einer passablen Zeit am Nachmittag begonnen. Als sich aber Rafael Nadal und Taylor Fritz ihren letzten Ballwechseln näherten, hatte die Sonne, die an diesem Mittwoch auf die Anlage des All England Clubs schien, schon zum akuten Sinkflug angesetzt. Auf dem berühmten Henman Hill, einem kleinen Hügel vor dem Court No.1, von dem aus man auf einer Videoleinwand das Hauptmatch auf dem Centre Court verfolgen konnte, harrten noch Tausende von Zuschauern aus. In der größten Arena sowieso. Es war 19.30 Uhr, als diese intensive, dramatische, auch eigenwillige Partie im Viertelfinale des Wimbledon-Turniers zu Ende ging. 3:6, 7:5, 3:6, 7:5, 6:6 stand es aus Nadals Sicht sowie 9:4 im sogenannten Champions-Tie-Break, als Nadal den nächsten Punkt schaffte - 10:4.

Nadal, ja, er hatte wieder mal überlebt.

Nach vier Stunden und 21 Minuten jubelte er und nicht sein tapferer Kontrahent Fritz. Der 24-Jährige hatte erst im März bewiesen, dass er Nadal gefährlich werden kann. Im Finale beim Masters-Turnier in Indian Wells hatte er den Spanier gar besiegt und seinen ersten großen Titel gewonnen. Wenngleich Nadal seinerzeit körperlich angeschlagen war. Wie am Mittwoch. Nur war es nicht die Rippe, wie damals in Kalifornien, die ihn plagte. Und auch nicht sein chronisch mitgenommener linker Fuß, der ihn zuletzt bei den French Open Sorgen bereitete. Diesmal war es wohl der Bauchmuskel.

Beim kurzen Interview auf dem Platz sagte Nadal, nachdem er zunächst tosenden Applaus entgegennehmen durfte, auf die Frage, wie er dieses Viertelfinale gedreht habe: "Ich weiß es nicht. Ehrlich, ich genieße es, diese Art von Matches hier vor euch zu spielen." Es sei ein "harter Nachmittag gegen einen großartigen Gegner" gewesen, und, das räumte er sofort ein: "Persönlich für mich war es kein einfaches Match." Sein Körper sei generell in Ordnung - nur irgendwas in der Bauchmuskelregion stimme nicht. Konkreter wurde er nicht.

"Nick ist ein toller Spieler, vor allem auf Rasen", sagt Nadal mit Blick auf das Halbfinale gegen Kyrgios. "Ich muss am Freitag bei hundert Prozent sein, um eine Chance zu haben."

Und wieder johlte die Menge, als Nadal auf seinen nächsten Gegner angesprochen wurde. Er trifft am Freitag auf den Australier Nick Kyrgios, den gerne als Bad Boy titulierten Hochbegabten, der nach einem 6:4, 6:3, 7:6 (5) -Erfolg gegen den Chilenen Cristian Garín sein allererstes Halbfinale bei einem Grand Slam erreichte. "Ich hoffe, ich bin bereit zu spielen", sagte Nadal. "Nick ist ein toller Spieler, vor allem auf Rasen. Ich muss bei hundert Prozent sein, um eine Chance zu haben." Unter schallendem Jubel verließ er den Centre Court. Nadal hat nun tatsächlich weiterhin die Chance, das dritte Grand-Slam-Turnier in dieser Saison zu gewinnen. Er hatte ja schon bei den Australian Open im Januar und bei den French Open im Juni triumphiert.

Der Mallorquiner hatte gut begonnen, er nahm sofort Fritz das Aufschlagspiel ab, führte 3:1 und 30:15 - doch dann holte er kein Spiel mehr im ersten Satz, 3:6. Schon da gab es erste Anzeichen, dass ihn etwas belastete. Wieder ein frühes Break, 3:0 - Fritz glich aus, 3:3. Nadal krümmte sich erstmals nach einem Aufschlag, das Gesicht schmerzverzerrt. Im Internet begann gleichzeitig ein kurzes Video zu kursieren, dass Vater Nadal zeigte, wie er ein Zeichen an seinen Sohn machte. Es sah aus wie: Höre auf! So wurde es interpretiert. Und tatsächlich: Auf der Pressekonferenz später bestätigte Nadal: "Sie sagten, ich solle aufgeben."

Nadal litt, bei jedem Ballwechsel war das zu sehen. Er drosselte die Härte seiner Schläge, und Fritz überdrehte in der engen Schlussphase der Sätze zwei und vier

Schon nach seinem Achtelfinale hatte es Fragen zu einem Pflaster an Nadals Bauch gegeben, das bei einem Hemdwechsel des Spaniers zu erspähen gewesen war. Er hatte da Antworten abgelehnt, indirekt aber zugegeben, dass er nicht ganz fit sei. Er sei indes müde, immer über seine körperlichen Beschwerden zu reden. Bei 4:3 nahm Nadal eine Behandlungspause, verließ den Platz. Als er zurückkam, nahm er den Schläger in die Hand. Er gab nicht auf. Aufgeben kann er offenbar nicht. Das Match wurde jetzt aber ein anderes.

Nadal litt, bei jedem Ballwechsel war das zu sehen. Er drosselte die Härte seiner Schläge, und Fritz überdrehte in der engen Schlussphase, 5:7 verlor er den Satz. Aber immer wieder folgten Sekunden, in denen Nadal sich sichtlich unwohl fühlte. Etwa nach einem Doppelfehler, mit der er Fritz das Break zum 1:2 ermöglichte. Mit einem zweiten Aufschlagverlust musste Nadal abermals einen Satz abgeben - 3:6.

Wimbledon: Er litt und kämpfte auch: Taylor Fritz aus den USA trieb Nadal bis an dessen körperliche Grenzen.

Er litt und kämpfte auch: Taylor Fritz aus den USA trieb Nadal bis an dessen körperliche Grenzen.

(Foto: Adrian Dennis/AFP)

Im vierten Satz suchte Fritz weiter nach Wegen, den angeschlagenen Gegner auszumanövrieren. Nach je zwei Breaks war es Nadal, der überraschend das letzte Break schaffte und den Satz abermals mit 7:5 verbuchte. Der fünfte Satz blieb lange genauso eng wie das Match bislang. Es war jetzt nur noch ein Kampf um jeden winzigen Vorteil. Fritz hielt sein Niveau extrem hoch. Break Nadal zum 4:3, Re-Break, 5:4, 5:5. 6:6. Champions-Tie-Break bis zehn Punkte.

Diese Partie, die zuvor ein einziger Schlagabtausch war, begann in diesem Entscheidungsformat völlig einseitig. Nadal gelangen fünf Punkte hintereinander - 5:0. Davon sollte sich Fritz, der sich bei einem Ballwechsel gar mal der Länge nach hinwarf, nicht mehr erholen.

Kyrgios erreicht erstmals ein Grand-Slam-Halbfinale - und ist selbst davon überrascht, das noch geschafft zu haben

Der Exzentriker Nick Kyrgios, Nadals Halbfinalgegner, zeigte gegen Cristian Garín ein alles andere als exzentrisches Tennis, er glänzte mit brutaler Effizienz. Mit 6:4, 6:3, 7:6 (5) setzte sich der 27-Jährige durch. "Ich dachte nie, dass ich mal in einem Semifinale eines Grand Slams stehen würde", sagte er staunend beim Interview auf Court No. 1, "ich dachte, das Schiff sei abgefahren." Er war wirklich gut gelaunt, "ich haben keinen Coach, ich würde niemals jemandem diese Last aufbürden", sagte er in feiner Selbstironie, um dann ernst hinzuzufügen: "Niemand kennt mein Tennis besser als ich."

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