Nadal schlägt Thiem:Showdown in der New Yorker Nacht

2018 US Open - Day 9

Erleichterung: Rafael Nadal feiert seinen Sieg gegen Dominic Thiem.

(Foto: AFP)
  • Im bisher hochklassigsten Spiel der US Open bezwingt Rafael Nadal Dominic Thiem nach fünf Sätzen.
  • Der Österreicher macht mehr Punkte und gewinnt den ersten Satz mit 6:0 - doch in den entscheidenden Momenten ist Nadal da.
  • Nun trifft der Spanier auf den Argentinier Juan Martin del Potro.

Von Jürgen Schmieder, New York

Um 1.52 Uhr morgens, nach mehr als viereinhalb Stunden Spielzeit bei der bislang hochklassigsten und spannendsten Partie dieser US Open, da verdichtete sich dieses Duell zwischen Rafael Nadal (Spanien) und Dominic Thiem (Österreich) auf diesen einen Moment. Es stand 5:5 im Tie Break des entscheidenden Durchgangs, und wer immer den nächsten Ballwechsel für sich entscheiden sollte, der würde einen Matchball bekommen. Alles, was zuvor passiert war, das war nun völlig bedeutungslos - obwohl natürlich alles, was vorher gewesen war, eine gewaltige Rolle spielte.

Es liegt an der hundsgemeinen Struktur dieser Sportart, dass die Dramaturgie bisweilen auf so einen winzigen Augenblick zusteuert und dass es nach 334 Ballwechseln nur noch darum geht, wer die nächsten beiden für sich entscheidet. Beim 100-Meter-Lauf gewinnt, wer zuerst ins Ziel kommt. Beim Fußball und Handball, wer mehr Tore erzielt. Beim Boxen, wer den Gegner umhaut oder die Punktrichter überzeugt. Beim Tennis geht es um Punkte und Spiele und Sätze, und so kann es eben passieren, dass Nadal in diesem Viertelfinale mit 0:6, 6:4, 7:5, 6:7(4), 7:6(5) obsiegte, obwohl er insgesamt weniger Punkte (166) schaffte als sein Kontrahent (171).

Man ist bisweilen versucht, den Ausgang einer solchen Partie dem Zufall oder den Launen der Götter zuzuschreiben, so wie man ein Elfmeterschießen beim Fußball als Glückssache bezeichnet oder Kampfrichter-Urteile als willkürlich - aber das stimmt meistens nicht, und genau deshalb spielt es immer eine gewaltige Rolle, was vor so einem bedeutsamen Moment bei einer Tennispartie, im Turnierverlauf oder gar der Karriere passiert ist. "Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben so eine epische Partie absolviert, auf so einen Moment am Ende kann sich niemand vorbereiten", sagte Thiem danach. "Man denkt da an überhaupt nichts mehr, das ist geistig auf einem ziemlich tiefen Niveau."

Niemand kann sich beim Boxtraining auf einen linken Aufwärtshaken von Mike Tyson vorbereiten - der deshalb übrigens mal diesen unvergessenen Satz gesagt hat: "Jeder hat einen Plan, bis er getroffen wird." Niemand kann die Abwehr eines Dribblings von Lionel Messi üben, und kein Skifahrer kann am Hausberg trainieren, wie es ist, die Streif hinunterzufahren. Sportler müssen das erleben, im Wettkampf, gegen die Besten ihrer Disziplin, unter kniffligsten Bedingungen. Aus diesen Erfahrungen lernen sie, wenn sie denn lernen wollen, und irgendwann, da sind sie dann die Erfahrenen, die diese entscheidenen Punkte häufiger für sich entscheiden, als dass sie solche Ballwechsel und Partien verlieren. Nadal marschierte bei 5:5 im Tie Break des entscheidenden Durchgangs mutig nach vorne und spielte seinen Volley ins Feld, Thiem verschlug danach einen vermeintlich einfachen Schmetterball auf geradezu groteske Art. Das war's.

Nadal hat solche Partien schon häufig erlebt, gegen die Besten, auf den größten Bühnen. Er hat solche Duelle auch schon verloren, gewiss, aber diese Erfahrungen haben letztlich dazu geführt, dass in der Nacht zum Mittwoch um 1.52 Uhr genau das passiert ist, was passiert ist - und dass Nadal den kompletten Abend über unfassbar cool geblieben ist. Er hatte den ersten Satz verloren, 0:6, er hatte gerade einmal sieben Punkte geschafft, und die ehemalige Weltklassespielerin Pam Shriver eilte, sie ist mittlerweile Reporterin des TV-Senders ESPN, sogleich hinauf zu Nadals Trainer Carlos Moya und wollte wissen: Was ist da los? Moya wirkte angespannt, wie auch die anderen Leute in dieser Box in der Ecke. Da gestikulierte vom Spielfeld aus Nadal zu seiner Gefolgschaft, sie mögen sich doch bitteschön mal beruhigen. Alles in Ordnung, keine Panik. Wird schon.

Nadal gewann die nächsten beiden Durchgänge, und es ist der Nerven- und Spielstärke von Thiem an diesem Abend geschuldet, dass diese Partie überhaupt auf diesen dramatischen Moment zusteuerte. "Ich habe in meiner Karriere einige lange und schwierige Partien durchleben müssen, das ist nun die nächste", sagte Nadal: "Man leidet ungemein, und irgendwann geht es gar nicht mehr ums Gewinnen oder Verlieren, sondern nur noch darum, sein Bestes zu geben und mit der richtigen Einstellung zu spielen." So ähnlich formulierte er es auch im Dokumentarfilm Strokes of Genius über den fünften Satz des Wimbledon-Finales 2008 gegen Roger Federer, das nach allgemeinem Dafürhalten beste Tennisspiel der Geschichte: "Wenn Roger besser ist als ich, dann darf er gewinnen - aber ich werde dieses Spiel nicht verlieren."

Nadal, 32, hat bei diesen US Open erlebt, dass er nicht mehr unverwundbar ist, was freilich auch daran liegt, dass jüngere Akteure ihn mittlerweile an eine Grenze treiben können, an die er bislang nur gegen Federer, Novak Djokovic, Andy Murray oder Stan Wawrinka gehen musste. Die Jungen wollen gegen Nadal antreten, sie wollen wissen, wie das ist, sie wollen eine packende Partie erleben und diese wichtigen Erfahrungen machen. Noch kann Nadal diese Angriffe meist abwehren, noch gewinnt er die packenden Partien wie jene gegen Karen Chatschanow (Russland) in der dritten Runde - der zweitbesten Partie bei diesen US Open bislang - oder nun gegen Thiem. Er weiß aber auch: "Thiem wird weiterhin solche Chancen bekommen, und er wird sie bald auch nutzen."

Im Halbfinale am Freitag ("Ich habe heute umgeheim gelitten, deshalb freue ich mich auf zwei Tage Pause.") trifft Nadal auf Juan Martin del Potro (Argentinien), der den Amerikaner John Isner mit 6:7(5), 6:3, 7:6(4), 6:2 besiegt hat. Der US-Open-Sieger von 2009 hat schon viele solcher epischer Partien erlebt, im vergangenen Jahr in New York gegen Thiem zum Beispiel oder zuletzt in Wimbledon-Viertelfinale gegen Nadal. Er weiß, wie sich das anfühlt, gegen die Besten, auf den größten Bühnen. Und er weiß bereits, wie man solche Partien gewinnt.

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