Nachwuchsschwimmerin Lisa Höpink:Träume und der Weg dorthin

Lisa Höpink, Schwimmen, Schwimmerin

Jahrgang 1998 und für ihre Trainer "ein Riesentalent": Lisa Höpink, Schülerin und Schwimmerin aus Essen

(Foto: Thomas Stuckert)

Mit mehr Training zum Erfolg: Der Deutsche Schwimmverband krempelt sich nach dem Debakel bei den Olympischen Spielen um, neue Talente wollen sich bei den Deutschen Meisterschaften beweisen. Geschichten wie die von der 14-jährigen Lisa Höpink zeigen, welche Hatz zwischen Schule und Pool der Leistungssport ist.

Von Claudio Catuogno

Am Donnerstagmorgen ist Lisa Höpink drei Stunden später aufgestanden als sonst. Um acht. "Ohne Wecker", sagt sie und lächelt das Zahnspangenlächeln einer 14-jährigen Schülerin, die mit dem Wort "Olympia" noch einen fernen, gewaltigen Traum verbindet. Kein Trauma, wie so viele etablierte Schwimmer hier um sie herum. Nach dem Aufstehen hat Lisa Höpink dann etwa zehnmal so lange gefrühstückt wie üblich, ohne dass man sich das jetzt als ausschweifende Völlerei vorstellen muss.

Dann ist Lisa Höpink in den roten Kapuzenpulli der SG Essen geschlüpft, und so gegen halb elf war sie in der Schwimmhalle. Normalerweise ist sie um diese Zeit schon wieder dreieinhalb Stunden draußen aus dem Wasser. Deutsche Meisterschaften können ja so erholsam sein. Wenn man sie mit dem Alltag vergleicht.

Die Athleten des Deutschen Schwimm-Verbands (DSV) wagen gerade mal wieder den Neuanfang: neuer Chefbundestrainer, neues Qualifikationsverfahren für die WM im Sommer in Barcelona. Aufbruchstimmung - jedenfalls verglichen mit jenem Wehklagen, mit dem der DSV vergangenen Sommer die Null-Medaillen-Bilanz seiner Beckenschwimmer bei Olympia begleitete.

Und dann fehlt bei diesen Meisterschaften ja auch noch der Weltrekordler Paul Biedermann, der die gesamte Saison sausen lässt wegen einer langen Erkältung im Winter. All das lenkt den Blick auf den Nachwuchs, auf die neuen Gesichter, die den DSV in Zukunft wieder heranschwimmen sollen an Amerikaner, Chinesen, Australier. Wenn das überhaupt möglich ist. Und somit wäre man - zum Beispiel - bei Lisa Höpink aus Essen angelangt.

"Ein Riesentalent", sagt Henning Lambertz, 42, der DSV-Stützpunkttrainer in Essen, der gerade zum neuen Chefbundestrainer aufgestiegen ist. "Wenn sie so weitermacht, kann sie weit kommen", sagt ihr Trainer Mitjta Zastrow. Talent ist der Anfang von allem, "und das habe ich offenbar", sagt Lisa Höpink. Die Voraussetzungen für eine Karriere im Leistungssport scheinen also zu stimmen. Aber reicht das schon, um in der weltweiten Hatz nach Gold, Gold, Gold zu bestehen?

Der Wecker klingelt also gewöhnlich um 5 Uhr in einem Internatszimmer in Essen, ein paar Happen frühstücken, dann Training im nahen Schwimmbad von 5:30 Uhr bis 7:15 Uhr. Um 7:45 beginnt der Unterricht. "Die Erzieherinnen haben uns dann schon ein paar Brötchen geschmiert", erzählt Lisa Höpink, die stecken die jungen Sportler dann ein wie bei der Verpflegungsstation eines Triathlons, mit dem Unterschied, dass in dieser Geschichte nach dem Schwimmen noch mehr als zwei Disziplinen folgen. Schule bis zwei. Mensa (Mittagessen), Hausaufgabenbetreuung, einmal die Woche Physiotherapie. Dann wieder Training von 15.45 Uhr bis gegen sieben, wieder Mensa (Abendessen), Hausaufgaben. "Und um zehn gehe ich dann meistens schon schlafen." Weil um fünf wieder der Wecker klingelt.

Siebzig-Stunden-Woche

In so ein Leben kann man hineinrutschen, wenn der Sport von klein an dazugehört, wenn aus den kleinen Zielen nach und nach große Träume werden. Deutsche Meisterschaften. Olympia. Aber irgendwann muss man sich dann wohl aktiv für diese etwas andere Art des Heranwachsens entscheiden. Lisa Höpink ist nach der vierten Klasse erst mal nur als Pendlerin auf das Sport-Elitegymnasium nach Essen gewechselt.

Da kamen pro Tag noch zwei Zugfahrten hinzu, Herne - Essen und zurück. Nach der siebten Klasse hat sie dann eine Pro-und-Contra-Liste geschrieben. Pro Internat, contra Internat - das Internat ist in Essen direkt neben Schule und Bad. Auf der Contra-Seite stand, dass sie ihre Eltern nicht mehr so oft sieht, "das eigentlich vor allem". Auf der Pro-Seite standen die Verlockungen der Sportförderung: "dass ich die Physiotherapie kostenlos nutzen kann", oder auch mal eine Sportpsychologin, wenn es denn nötig werden sollte.

Und nun hat sie also diese Siebzig-Stunden-Woche, ist ein Musterbeispiel für die Disziplin, die es im Spitzensport braucht. Und das Problem ist nur, dass das alles womöglich immer noch nicht reicht.

"Fehlende Belastungsverträglichkeit, zu geringes Ausdauerniveau", so lautete die Schadensmeldung, die der DSV-Leistungssportchef Lutz Buschkow in London bezüglich der deutschen Schwimmer formulierte. Also: Noch mehr trainieren. Lisa Höpink schafft derzeit etwa 40 Trainingskilometer in der Woche. Katie Ledecky, das US-Talent, das in London mit 15 Jahren Olympiasiegerin über 800 Meter Freistil wurde, bringt es auf 80 Kilometer.

Von minderjährigen Chinesinnen, die gar keine Schule besuchen, gar nicht zu sprechen. Mehr trainieren, das klingt erst mal abstrakt. Aber wenn man in das freundliche Zahnspangengesicht der Schülerin Lisa Höpink blickt, wird es zu einer Forderung, die an Grenzen stoßen muss. "Wie will ich so einem Kind, mit 70, 80 Stunden Belastung die Woche, das ja schon an einer Sportschule ist, wie will ich dem sagen: Pass auf, wir müssen jetzt aber noch mehr trainieren?", fragt Henning Lambertz.

Ein paar Stellschrauben gäbe es wohl noch: eine Schulzeitstreckung bis zum Abitur zum Beispiel, damit der Unterricht nicht schon vor acht Uhr beginnt - an einer Eliteschule des Sports! "In anderen Bundesländern funktioniert das besser als in Nordrhein-Westfalen", sagt Lambertz, in NRW scheitert vieles an der Bildungspolitik. "NRW muss sich da mal entscheiden, ob es ein sportbetontes Land sein will."

Eine Stunde mehr Schlaf, findet Lisa Höpink, das würde schon helfen. Vielleicht nicht gegen die Chinesen und Amerikaner, 2016 bei Olympia in Rio. Aber dem Weg dorthin. Wobei: "Wenn man das gewohnt ist", hat sie festgestellt, "ist man irgendwann auch um fünf gar nicht mehr müde."

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